Um es gleich vorweg zu sagen: Die neuen
Rahmenbedingungen boten Licht und
Schatten. So konnte die BVG-Chefin erstmals
direkt erfahren, welche Themen den
Sprechtagbesuchern wichtig sind, und dadurch
Anregungen bekommen, wo und
wie die BVG besser werden kann oder muss.
Auch das Publikum wurde mit einigen neuen
Sichtweisen auf Angebot und Nachfrage
des größten deutschen Stadtverkehrsbetriebes
aus dem sonst eher technisch-organisatorisch
geprägten Alltag herausgehoben.
Andererseits lassen sich die sonst
üblichen dreimal zwei Stunden der bisher
einzelnen Sprechtage nicht ohne Abstriche
in nur einmal zwei Stunden pressen, zumal
wenn wegen anderer Termine bei Frau Nikutta
nicht eine Minute Reserve vorhanden
war. Hier bestehen noch organisatorische
Reserven für das nächste Mal. Der größte
Verlust waren die traditionellen Vorschauen
der drei Betriebsbereiche für die Groß-(Bau-)
Vorhaben des kommenden Jahres.
Dieser Sprechtag fand wieder auf dem
Straßenbahnhof Lichtenberg statt, und die
Chefin der BVG hatte einige Zahlen zu diesem
Ort parat, auch aus der Geschichte. Sie
erinnerte unter anderem daran, dass hier
über 20 Jahre lang die O-Busse der Ost-BVG
stationiert waren; angesichts des Medienhypes
über die doch leider noch nicht so zuverlässigen
neuen E-Busse ein wichtiger Hinweis.
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M 4 mit reduziertem Angebot. Durch Fahrermangel musste die BVG auf mehreren Straßenbahnlinien den Fahrplan ausdünnen. Die Besucher des Fahrgastsprechtages kritisierten neben diesem Missstand vor allem die unzureichende Information der BVG über die Fahrplanänderungen. Foto: Angelo Januschew |
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Ebenso aufschlussreich waren die Akzente,
die Frau Nikutta bei der Präsentation
der BVG als Ganzes setzte. Einerseits die zu
erwartenden Erfolgsmeldungen über steigende
Nachfrage, Verkehrsleistung und Angebotsdichte,
andererseits eine Aufschlüsselung
der BVG-Kundschaft nach Alter und
Geschlecht, die deutlich zeigte, dass Gender-Mainstreaming
für die Verkehrsbetriebe ein
schon länger bearbeitetes Feld ist. Die aktuelle
Diskussion über die Personalpolitik
der BVG angesichts des Fahrermangels bei
der Straßenbahn wollte sie schon im Vorfeld
parieren mit der Mitarbeiterzahl, die 2014
um 1000 höher lag als noch 2010 (jetzt bei
13 500).
2015 voraussichtlich 1 Milliarde
BVG-Fahrgäste
Auch mit den ökonomischen Daten der
gerade fertiggestellten Jahresbilanz 2014
konnte Frau Nikutta glänzen: Die Fahrgastzahlen
nähern sich weiter der Milliardengrenze
(978 Millionen), für 2015 wird deren
Überschreitung prognostiziert. Und das
operative Geschäft schreibt nun schwarze
Zahlen, lediglich die Altschulden und die Investitionen
müssen noch vom Eigentümer
(Land Berlin) getragen werden.
Im Ausblick hat sie zwei Vorhaben angesprochen:
den barrierefreien Ausbau des
U-Bahn-Netzes und die großzügige Umgestaltung
des Bahnhofs Neue Grottkauer
Straße bis zur Internationalen Gartenbauausstellung
2017 und die damit verbundene
Umbenennung in „Kienberg – Gärten der
Welt“. Des Weiteren wurden für den Bereich
U-Bahn die Betriebsaufnahme der neuen
Leitstelle auf dem Gelände der Werkstatt
Friedrichsfelde sowie die Inbetriebnahme
des ersten Zuges der neuen Kleinprofilbaureihe
IK samt Taufe durch den Berliner
Bürgermeister auf den Namen „Icke“ hervorgehoben.
Für den Bereich Straßenbahn stand der
Rückblick auf das 150-Jahre-Jubiläum im
Mittelpunkt. Angesichts der knappen Zeit
wäre beim Nikutta-Vortrag der Verzicht
auf fast 10 Minuten Videomaterial der BVG
sinnvoll gewesen, während die BVG-Chefin
danach mit schnellen Antworten vielen
Fahrgästen Fragen ermöglichte. Das größte
Problem dieses Betriebsbereichs wurde von
ihr im einleitenden Vortrag nur kurz mit der
Bemerkung gestreift, dass es grundsätzlich
kein Problem sei, für den Bedarf an Fahrern
genügend Bewerber zu finden. Dabei erinnerten
sich die Stammgäste der Sprechtage
sofort, dass ihnen in den Vorjahren ähnliches
berichtet wurde, aber der Fahrermangel
bei der Straßenbahn dennoch nicht ab-,
sondern zugenommen hat (siehe auch Artikel
auf Seite 14).
Für den Unternehmensbereich Omnibus
war die Einführung der ersten elektrischen
Linie (204) ohne Oberleitung das Hauptthema.
Selbstverständlich konnte sie angesichts
der beim Sprechtag noch sehr kurzen
Betriebszeit seit 31. August keine Bewertungen
oder statistischen Daten vorlegen. Das
Durchschnittsalter der fossilen Busgeneration
beträgt bei der BVG sieben Jahre. Frau
Nikutta strebt eine Senkung an, von der sie
sich eine Verringerung der Wartungskosten
verspricht.
Eher nebenbei ließ sie in Sachen Doppeldecker
die Katze aus dem Sack, als sie
die kleinen zweiachsigen Testwagen als
Vorboten der nächsten Generation dieser
Bauart benannte. Die heute verwendeten
und auch grundsätzlich bewährten DL-Wagen
seien vielfach zu groß – sowohl was
die Manövrierfähigkeit im teilweise engen
Straßenraum als auch was die Wirtschaftlichkeit
auf schwächer nachgefragten Abschnitten
angeht. Darum hat Frau Nikutta
auch bei dieser Veranstaltung ihre vielleicht
bekannteste Zahl wieder vorgetragen: Die
durchschnittliche Auslastung aller Fahrzeuge
der BVG (inklusive Stehplätze) beträgt 17
Prozent, gerechnet über den gesamten Tag
einschließlich der Nachtstunden. Sie war
aber so fair zuzugeben, dass das keine aussagekräftige
Größe ist angesichts der Nachfrageverteilung.
Besucher kritisieren Fahrermangel
und Fahrplanausdünnung bei der
Straßenbahn
Bei der anschließenden Frage-Antwort-Stunde
waren neben der Fahrerkrise bei der
Straßenbahn und deren Folgen drei Themenschwerpunkte
erkennbar: Erstens die
Qualität des Verkehrsangebots, zweitens
die Information darüber sowie die sonstigen
Serviceleistungen und drittens der Rückhalt
der BVG beim Eigentümer und Aufgabenträger,
dem Land Berlin.
Bei der Qualität ging es sowohl um die
Sauberkeit und Sicherheit in Fahrzeugen
und Stationen (Verschmutzungen allgemein,
Drogenhandel in der U-Bahn, defekte
Fahrkartenautomaten und Aufzüge/Rolltreppen)
als auch um Aspekte einer
vorausschauenden Angebotsplanung, z.B.
Bus-Sonderverkehre zum Olympiastadion
bei Veranstaltungen. Bei Qualität wird auch
das leidige Thema „Fahrscheinautomat in
Straßenbahnen“ regelmäßig angesprochen,
das die BVG und uns (siehe SIGNAL 6/2012
und 4/2014) nun schon mehrere Jahre (!)
beschäftigt. In ihrer Antwort entschuldigte
die Chefin die Mängel wie bisher schon
Straßenbahn-Direktor Matschke mit den
europarechtlichen Vorgaben bei der Ausschreibung
neuer Geräte, die einer zügigen
Beschaffung entgegen stehen. Angesichts
der Tatsache, dass auch andere europäische
Verkehrsbetriebe dieses Recht anwenden
müssen und damit schon erfolgreich neue
Ticketautomaten beschafften, kann diese
Erklärung nicht befriedigen.
Ebenfalls in die Kategorie Qualität gehören
die häufigen Ausfälle der Klimaanlagen
in Bussen. Zwar wurden weder Zahlen genannt
noch das Ausmaß des Problems anerkannt,
aber die BVG hat hier offenbar selbst
ein ähnlich getrübtes Bild von der Zuverlässigkeit
der Technik, so dass im Gegensatz
zu den letzten Sprechtagen nun wirksame
Abhilfe bei Neubeschaffungen zugesagt
wurde. Außerdem sollen wieder vermehrt
Klappfenster in die Busse gebaut werden,
die im Regelfall verschlossen sind und bei
technischen Störungen vom Fahrer an den
Endstellen aufgeschlossen werden. Die IGEB
unterstützt in diesem Zusammenhang die
Haltung des Verkehrsbetriebs, auch in Zukunft
keine klimatisierten U-Bahnen zu beschaffen.
Themenschwerpunkt Kundeninformation
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Die BVG hat immer mehr Fahrgäste. Deshalb hat das Land Berlin auf zahlreichen Linien zusätzliche Fahrten bestellt. So fährt der M 41 seit Ende August auf der Sonnenallee zeitweise im 4-Minuten-Takt. Weil der Senat aber zu wenig für den Vorrang von Bus und Tram auf den Straßen tut, steht der M 41 oft im Stau oder fährt im Pulk, so dass die Fahrgäste trotz Taktverdichtung zum Teil lange warten müssen. Foto: IGEB |
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Frau Nikutta bekannte sich zum längst vollzogenen
Abschied der BVG von gedruckten
Informationsmedien wie Fahrplanbüchern.
Angesichts der somit vollständigen Abhängigkeit
der Kunden von den Internet-Diensten
verblüffte ihre Aussage, dass die BVG mit facebook
und twitter erst am Anfang steht, womit
sie natürlich in erster Linie einzelne beim
Sprechtag vorgetragene Fehler ihrer Mitarbeiter
entschuldigen wollte. Selbstverständlich ist
auch dieses Aufgabenfeld abhängig vom Geld,
was zur Verfügung steht. Das trifft auch auf
das neue Angebot WLAN in U-Bahnhöfen zu,
denn die BVG muss dies ja einem Anbieter bezahlen,
der dafür eine nicht ganz einfache Infrastruktur
in den Stationen unterhalten muss.
Dazu kommen technische Herausforderungen,
die mit den Mitteln einfacher Haushaltskommunikation
nicht mehr zu bewältigen sind.
Beispielsweise ist es eher Norm als Ausnahme,
dass auf einem Umsteigebahnhof wie der Probestation
Osloer Straße zwei Züge mit zusammen
800 Fahrgästen gleichzeitig ankommen.
Diese Spitzenlast muss das Netz dort alle paar
Minuten schaffen.
Mehr noch als den Ausfall von Straßenbahnfahrten
als Folge des Fahrermangels
kritisierten die Sprechtagsbesucher die vollkommen
unzureichenden bzw. verspäteten
Informationen der BVG über die ausgedünnten
Fahrpläne. Anhand zahlreich angesprochener
konkreter Beispiele müsste Frau
Nikutta von diesem Abend mitgenommen
haben, dass hier noch erheblicher Verbesserungsbedarf
bei der BVG-Öffentlichkeitsarbeit
besteht.
Wachsendes Angebot für die
wachsende Stadt
Schon im Vortrag hatte Frau Nikutta auf die
erweiterte Bestellung des Landes Berlin im
Programm „wachsende Stadt“ verwiesen,
das bei der BVG bis Oktober 2015 zu einem
Mehrleistungspaket mit 70 Maßnahmen auf
54 Linien führte. Zum Fahrplanwechsel im
Dezember kommen noch weitere 17 Maßnahmen
dazu (s. SIGNAL 4/2015). Außerdem
hat sie mit der für April 2016 geplanten
Einführung der neuen Buslinie 310 (U Wilmersdorfer
Str—Rathaus Schmargendorf— U Blissestr) schon die erste Maßnahme des
Folgejahres vorgestellt. Diese Linie soll stark
genutzte Abschnitte vom 110er und 249er
Bus im Berufsverkehr entlasten und zu mehr
umsteigefreien Fahrtmöglichkeiten führen.
Frau Nikutta legte dar, dass Berlin stärker
wächst als erwartet, so dass es trotz der
Mehrleistungen in Zukunft zu volleren Bussen
und Bahnen kommen wird. In diesem
Zusammenhang gab es mehrere Publikumsfragen
nach erweiterten Fahrzeugbestellungen
für U- und Straßenbahn sowie Vorschläge,
noch mehr ältere Wagen als bisher geplant
länger laufen zu lassen, um eben diese
Spitzenbelastungen abzufangen. Hier legte
sich die Vorstandsvorsitzende nicht fest
und verwies auf laufende Verhandlungen
mit dem Senat zur Finanzierung neuer und
auch (im Falle der Straßenbahn) größerer
Fahrzeuge. Ihre Antwort ließ aber erkennen,
dass auch die BVG den Bedarf für mehr und
größere Fahrzeuge inzwischen nicht mehr
leugnet, sondern offensiv formuliert.
Aber nicht für alle Problemlösungen ist
Geld erforderlich. Manchmal würde eine
sachgerechte Zusammenarbeit von BVG
und Senat schon viel Gutes bewirken. Ein
Negativbeispiel war der Berlin-Marathon
2015, der völlig unnötig zu einer beispiellos
großflächigen Ausschaltung des öffentlichen
Verkehrs führte, und das über zwei
Tage. Der Fahrgastverband schließt sich hier
gerne dem Appell der BVG an die zuständigen
Senatsstellen an, die Verkehrsbelange
schon in der Planung der Laufstrecke und
der benötigten Nebenflächen ausreichend
zu berücksichtigen. So ein Großereignis
dürfte nicht ohne die Mitarbeit der BVG in
der Vorbereitung möglich sein. (af)
IGEB Stadtverkehr
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