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Altstadt Spandau: Typisch postmoderne Architektur und typisch später Rümmler-Stil. Als Gestaltung gilt nur, was man auch merkt, Funktionalität ist unwichtig. Blechluken stören das Bodenmuster, besonders schmutzanfällige Stellen sind hell verkleidet. Foto: Jan Gympel |
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Am 1. Juni 1958 begann bei der Berliner
U-Bahn eine eigenartige Episode, die weitgehend
in Vergessenheit geraten ist: Die Stadt
besaß damals nicht nur das größte, sondern
neben Hamburg auch das einzige U-Bahn-Netz
Deutschlands. Es wurde von zwölf Linien
befahren. Doch die West-BVG hielt es
für eine gute Idee, diese fortan nicht mehr
zu kennzeichnen, sondern nur noch nach
ihren Endpunkten zu benennen. Was umso
verwirrender wirkte, als die seit rund 40 Jahren
benutzten Bezeichnungen vom Senat für
den seinerzeit eifrig betriebenen Bau neuer
U-Bahn-Strecken weiter verwendet wurden.
(Gleiches galt für die Ost-BVG, die ab dem
Mauerbau freilich nur noch die beiden von
ihr betriebenen Linien A und E kannte.)
Es dauerte einige Jahre, bis die West-BVG
ein Einsehen hatte: Mit den Streckenneueröffnungen
am 28. Februar 1966, einem
Montag, wurde das bis heute verwendete
System von Liniennummern eingeführt.
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Bezeichnungen wie „U 1“ wurden in West-Berlin erst 1984, mit der Übernahme der dortigen S-Bahn durch die BVG, eingeführt. Die alte Namensgebung blieb aber noch lange präsent und in den Köpfen – weshalb das 1986 uraufgeführte Musical „Linie 1“ heißt. Im U-Bahnhof Zitadelle hängt noch immer die Wegweisung von 1984, weshalb dies womöglich die letzte Station ist, wo im Eingangsbereich noch auf „Linie 7“ anstatt „U 7“ hingewiesen wird. Liebe BVG: bitte nicht ohne Not ändern! Foto vom 20. Februar 2016. Foto: Jan Gympel |
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Die Zahlen waren vage nach dem Eröffnungsdatum
des ältesten Streckenteils einer
Linie vergeben worden. Willkommener Nebeneffekt:
Auf diese Weise wurde das Rückgrat
des West-Berliner Netzes, die Verbindung
zwischen Schlesisches Tor und Ruhleben,
zur „Linie 1“. Die 1913 in Betrieb genommene
Wilmersdorf-Dahlemer Bahn (die heutige U 3)
befuhr noch bis 1972 die 1902 eröffnete Hochbahn
in der Bülowstraße und erhielt damit zu
Recht die Nummer 2. Bis 1985 wurde auf den
Netzplänen der West-BVG auch gezeigt, dass
sie eigentlich weiterführt nach Pankow.
Ein Bruch in der Systematik war es aber,
der ebenfalls 1913 eröffneten Strecke zwischen
Wittenbergplatz und Uhlandstraße
die Nummer 3 zu geben, der 1910 eröffneten
Schöneberger U-Bahn jedoch die Nummer
4 und dem 1906 in Betrieb gegangenen
Abzweig von Deutsche Oper nach Richard-Wagner-Platz die 5.
Bei Letzterem spielte womöglich eine Rolle,
dass schon 1966 die Einstellung dieser Minilinie
vorgesehen war. Ab 1970 gab es dann
keine Linie 5 mehr, und allgemein wurde es
so verstanden, dass diese Zahl nun für die
einzige vollständig in Ost-Berlin verlaufende
Linie vorgehalten würde. Da nach der Wiedervereinigung
tatsächlich in dieser Weise
verfahren wurde, erscheint die U 5 heute
von der Zahlenfolge her fälschlicherweise
als die älteste Großprofillinie.
Für die Fahrgäste änderte sich durch die
Einführung der Liniennummern nicht viel.
Schon im Juli 1958 hatten die „Berliner
Verkehrsblätter“ bemerkt, es wäre „sehr zu
wünschen, wenn sowohl die Züge als auch
die Fahrtrichtungsanzeiger auf den Bahnhöfen
mit den betreffenden Linienbezeichnungen
ausgestattet würden“. Aber noch im
Tagesspiegel vom 25. Januar 1970 beklagte
Günther Kühne in einer „So stell´ ich mir die
U-Bahn vor“ betitelten Generalkritik: „Zwar
sind auf den kleinen – viel zu kleinen und
zu sparsam angebrachten – Netzplänchen
in den U-Bahn-Wagen die Linien mit Farben
und Nummern bezeichnet, doch entpuppt
sich das als formale Spielerei eines Graphikers.
Weder Farben noch Nummern haben
Informationswert – sie kehren nirgendwo
als bildhafte Erinnerungsmarke wieder.“
Erst im Laufe der siebziger Jahre sollte sich
daran etwas ändern. Und erst so konnte die
Linie 1 zu Musicalruhm gelangen: Bevor diese
Bezeichnung auf vielen Stationen prangte,
hätte mit ihr in Berlin kaum jemand etwas
anzufangen gewusst.
„Gebrochener Verkehr“
auch unter der Erde
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Aktuelle Moden der Berliner U-Bahnhofs-Gestaltung auf einen Blick: Wenn nicht mit Platten aus Blech werden Hintergleisflächen mit solchen aus Naturstein verkleidet. Ergänzt wird dies hier mal nicht mit einer Fototapete, sondern gleich mit einer ganzen Reihe bunter Bildchen. Ob das erkennbare Desinteresse an der Lesbarkeit des Stationsnamens eine Referenz an den späten Stil Rümmlers sein soll? Davon, wie dieser bis 1966 den damals umgebauten U-Bahnhof Mehringdamm auskleidete, ist inzwischen fast nichts mehr zu sehen. Foto: Jan Gympel |
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Noch ihrer „Grundinstandsetzung“ harrt die 1966 eröffnete Bahnsteighalle an der Möckernbrücke. Keramikriemchen, gerade Linien, rechte Winkel, abgehängte Putzdecke und eine Beschilderung, die man gut lesen kann – lange wird man dies vermutlich auch hier nicht mehr finden. Man beachte: Auch damals gab es schon helle Bodenbeläge – anders als heute üblich aber mit einer Musterung, auf der Schmutz kaum auffällt. Und der Drang nach Transparenz ging auf vielen seinerzeit gebauten Stationen so weit, dass selbst die Wasseranschlüsse nicht hinter Blech versteckt, sondern hinter Glas gezeigt wurden. Foto: Jan Gympel |
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Die 1971 eröffnete Bahnsteighalle am Fehrbelliner Platz sorgte seinerzeit mit ihrer „Pop-Architektur“ für Aufsehen: Alles der damaligen Mode entsprechend klobig, klotzig, knallig, mit breiten Rahmen, vielen Rundungen, großer Schrift. Nur ein Teil davon hat die Renovierung vor einigen Jahren überstanden. Darunter immerhin auch die gerundeten Putzdecken, die die BVG heute vermutlich abbrechen würde. Foto: Jan Gympel |
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Neugestaltung nach BVG-Art: Wo Rümmler auf dem 1978 eröffneten U-Bahnhof Adenauerplatz die Hintergleisflächen mit breiten „A“s bedeckte, von denen jedes zweite auf dem Kopf stand, ist das strahlende Gelb einem trüben gewichen und die etwas schrille Gestaltung einer sehr öden – so sie inzwischen nicht einfach mal überpinselt wurde. Foto: Jan Gympel |
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Entgegen einer weitverbreiteten Annahme
nahm die West-BVG am 28. Februar 1966
auch keine große Neuordnung der U-Bahn-Linien
vor. Wie ein Blick auf den offiziellen
Netzplan von 1965 zeigt, wurde das Netz
bereits damals in fast der gleichen Weise
befahren. Das bedeutete vor allem: Die Streckenverzweigungen
wurden nicht mehr für
durchgehende Verbindungen genutzt. Im
Kleinprofilnetz, das vor dem Ersten Weltkrieg
nach anderen Kriterien entworfen
worden war, hatte dies die Entstehung der
Stummellinien 3, 4 und 5 zur Folge.
Im Gegensatz zur Abschaffung der Linienbezeichnungen
ist klar, welche Ideologie
hinter diesem Vorgehen steckte: Man meinte,
es „vereinfache die Betriebsführung“,
wenn jede Strecke nur von einer einzigen
Linie befahren würde. Außerdem wäre es für
die Fahrgäste übersichtlicher, wenn an jeder
Bahnsteigkante nur eine Linie hielte.
Das sind gute Argumente, nur: Sie beeinträchtigten
die effiziente Nutzung der Kapazitäten.
Bis heute wird die nicht einmal drei
Kilometer lange U 4 mit ihren Zwei-Wagen-Zügen
von vielen als sonderbar, von manchen
sogar als überflüssig betrachtet. Die
obere Bahnsteighalle der Station Kurfürstendamm
war nach ihrer Eröffnung über 30
Jahre lang weitgehend verwaist – nur Touristen
und andere Unwissende stiegen hier
in die Linie Wittenbergplatz—Uhlandstraße
um. Der eine Endbahnhof war besser via Zoo
oder Spichernstraße zu erreichen, der andere
besser mit dem Bus, zumal wegen des geringen
Fahrgastaufkommens die Zwei-Wagen-
Züge nur im Zehn-Minuten-Takt fuhren.
Gut frequentiert wird diese Bahnsteighalle
erst, seit die BVG 1993 den dogmatischen
Verzicht auf Linienverzweigungen aufgab
und wieder Züge zwischen Uhlandstraße
und Schlesisches Tor verkehren ließ.
Warum auch nicht? In München baute
man seit 1965 ein wohldurchdachtes
U-Bahn-Netz, in dem jeweils zwei Linien auf
einer gemeinsamen Stammstrecke durch
die Innenstadt verkehren. Und die Berliner
S-Bahn wurde in vergleichbarer Weise schon
betrieben, als sie noch gar nicht so hieß.
Der Verzicht auf Linienverzweigungen
und -bündelungen reduziert die Zahl der
Direktverbindungen und zwingt damit zum
häufigeren Umsteigen. Letztlich scheint
dahinter das Konzept des „gebrochenen
Verkehrs“ durch, das in der Nachkriegszeit
nicht nur in Deutschland schwer in Mode
war: Straßenbahn abschaffen, den Bus
möglichst zum Einsammeln der Fahrgäste
benutzen und diese dann gebündelt mit
der U-Bahn befördern. Also warten, treppab,
warten, womöglich noch mal warten, treppauf,
warten.
In einer Zeit, in welcher der Privat-Pkw –
der immer eine Direktverbindung bietet –
zum Inbegriff von Fortschritt und Wohlstand
avancierte, glaubte man allen Ernstes,
so ließe sich attraktiver öffentlicher Personennahverkehr
schaffen. Und wunderte
sich, dass die Fahrgastzahlen immer weiter
sanken und das Defizit bei den Verkehrsbetrieben
immer weiter wuchs.
Der längste Tunnel der Welt
Nur eine wesentliche Veränderung gab es
1966 in der Liniengestaltung: Die einzige
Verzweigung im Großprofilnetz, die 1923
eröffnete Nord-Süd-Bahn, die ab 1930 von
Seestraße nach Tempelhof bzw. Grenzallee
geführt hatte, wurde aufgegeben. Die Veränderung
war um so größer, als der Tempelhofer
Zweig seit je her als nachrangig behandelt,
in der unmittelbaren Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg bei Wagen- oder Strommangel
auch wiederholt stillgelegt worden
war. Meist pendelten die Züge nur zwischen
Mehringdamm und Tempelhof. Diese Verbindung erscheint im BVG-Netzplan von
1965 denn auch als eigenständige Linie.
Das Ende der alten Nord-Süd-Bahn am
28. Februar 1966 brachte die neue Linie 6
als, bis auf einen „Knick“ am Oranienburger
Tor, nahezu geradlinig verlaufende Nord-Süd-Verbindung,
die am selben Tag von
Tempelhof bis Alt-Mariendorf verlängert
wurde. Und es brachte die neue Linie 7 aus
dem zu jener Zeit bis Britz-Süd reichenden
Neuköllner Zweig und einer neuen Strecke
nach Möckernbrücke.
Der U-Bahnhof Mehringdamm war dafür
vom dreigleisigen Abzweigbahnhof zum
viergleisigen Kreuzungsbahnhof umgebaut
und bei dieser Gelegenheit auch verlängert
worden. Die Idee, die Linie 7 geradlinig von
der Gneisenau- in die Yorckstraße zu führen,
hatte man verworfen, um den Fahrgästen
von und nach Neukölln die direkte Verbindung
zur Linie 1 zu erhalten. Außerdem
konnte an der Möckernbrücke bequemer
umgestiegen werden als am Halleschen Tor,
wo die Nord-Süd-Bahn die Hochbahn kreuzte.
Derweil es dort 1966 noch nicht eine
einzige Rolltreppe gab, erhielt die Station
Möckernbrücke neun, darunter zwei parallel
angeordnete, die vom Zwischengeschoss
der Linie 7 zur neuen Brücke über den Landwehrkanal
führen. Dieser bis dahin bei der
Berliner U-Bahn einzigartige Vorgang zeigt,
welches Fahrgastaufkommen man erwartete.
Aus dem gleichen Grund versuchte man
auf dem U-Bahnhof Alt-Mariendorf mit getrennt
voneinander angeordneten aufwärts
bzw. abwärts führenden Rolltreppenpaaren
die Ströme der Ankommenden und der Abfahrenden
zu trennen.
Weil sie auch aus einem kurzen Stück
Vorkriegsstrecke besteht, scheint die historische
Bedeutung der U 7 manchmal etwas
unterschätzt zu werden. Dabei ist sie neben
der vollständig neu errichteten U 9 das
Hauptergebnis des West-Berliner U-Bahn-
Baubooms der fünfziger bis siebziger Jahre.
„Die ersten hundert sind voll“ titelte Der
Abend vom 26. Februar 1966 mit Blick auf
den durch die anstehenden Neueröffnungen
erreichten Umfang des U-Bahn-Netzes
von 101,5 Kilometern Bauwerkslänge. Zur
selben Zeit wurde an der westlichen wie
der östlichen Verlängerung der U 7 ebenso
gearbeitet wie an der südlichen der U 9.
Bis 1984 (also, gerechnet vom Baubeginn
der Verlängerung nach Britz-Süd, innerhalb
von 25 Jahren) entstand mit der U 7 die mit
knapp 32 Kilometern längste U-Bahn-Linie
Deutschlands, die vollständig unterirdisch
verläuft. Für einige Jahre galt sie sogar als
der längste Tunnel der Welt.
U 7-Fahrgäste auf die Ringbahn?
In dem Abschnitt zwischen Möckernbrücke
und Jungfernheide möchten manche einen
überflüssigen Parallelverkehr zur Ringbahn
erkennen. Aber man stelle sich vor, diese
müsste die Fahrgäste aufnehmen, welche
von der U 7 im Berufsverkehr im Vier- bis
Fünf-Minuten-Takt mit Sechs-Wagen-Zügen
befördert werden.
In Wahrheit handelte es sich beim Bau
der U 7 um einen der wenigen Fälle, wo das
seinerzeit nicht nur in Berlin gern gegebene
Versprechen, die Straßenbahn auf ihren
wichtigsten Trassen durch die U-Bahn zu ersetzen,
auch einmal eingelöst wurde.
Ebenso trat die 1966 eröffnete Strecke der
U 6 an die Stelle der Tram – allerdings nur
bis Alt-Mariendorf. Dort hieß es: Umsteigen
auf den Bus. Manche Lichtenrader schmerzte
der Verlust der bequemen Direktverbindung
nach Tempelhof und in die Innenstadt
so, dass sie jahrelang die Verlängerung der
U-Bahn bis in ihren Stadtteil forderten (die
dort verkehrende S-Bahn wurde seinerzeit
ja nicht nur boykottiert, sondern ignoriert).
Der U 7-Abschnitt zwischen Mehringdamm
und Mierendorffplatz war schon in jenem ambitionierten
Ausbaukonzept vorgesehen gewesen,
das Ernst Reuter, Johannes Bousset und
Hermann Zangemeister 1929 unter dem Titel
„Denkschrift über das künftige Berliner Schnellbahnnetz“
vorgelegt hatten. Wie die U9 rangierte
diese Strecke allerdings nicht unter den
als vordringlich erachteten Bauten, sondern
nur unter jenen, die „das Schnellbahnnetz in
wünschenswerter Weise ergänzen“.
West-Berlin-Denkmale
U 7 und U 9 sind vor allem insofern Produkte
der Teilung Berlins, als diese die Verkehrsströme
verändert hatte. Aber ein richtiges
West-Berlin-Denkmal stellt der U 7-Abschnitt
zwischen Jakob-Kaiser-Platz und Rathaus
Spandau dar: Die naheliegende Idee, mit einer
Weiterführung nach Norden das gerade
im Entstehen begriffene neue Terminal des
Flughafens Tegel anzubinden, wurde um
1970 verworfen. Man wollte die Arbeitsplätze
im West-Berliner Tiefbau sichern. Und zwar
nicht mit der Errichtung sinnvoller Strecken
wie der U 9 nach Lankwitz, sondern indem
man sich durchs Industriegebiet von Haselhorst
buddelte und mit immensem Aufwand
unter der Havel hindurch.
Spandau erhielt so nicht den ursprünglich
geplanten, schnell und kostengünstig, da weitgehend
oberirdisch herzustellenden U-Bahn-
Anschluss via Ruhleben – und damit auch keine
U-Bahn-Direktverbindung zum Zoo, zum
Potsdamer Platz, zum Alex. Das Ergebnis sind
ein mäßig ausgelastetes Westende der U 7
und ein schlecht ausgelastetes Westende der
U 2, für das ebenfalls immer mal wieder Stilllegungspläne
auftauchen und von wo die Züge
vermutlich nie bis zum U-Bahnhof Rathaus
Spandau fahren werden, wo seit 1984 zwei
leere Gleiströge auf sie warten.
Älteren Besuchern aus Westdeutschland
kann man zwischen Jakob-Kaiser-Platz und
Rathaus Spandau zeigen, wo zu Mauerzeiten
Bundesgelder versenkt wurden. Noch
besichtigenswerter ist die U 7 aus einem anderen
Grund: Von Kreuzberg nach Spandau
kann man auf ihr eine Reise in die Postmoderne
unternehmen, die auch dem Laien
eindrucksvoll verdeutlicht, wie sich die Architekturmode
zwischen den sechziger und
den achtziger Jahren wandelte.
Eine Reise in die Postmoderne
Die 1966 eröffneten Stationen Mehringdamm
und Möckernbrücke wurden noch
ganz im kühl-sachlichen Stil der Sixties gehalten,
bestimmt von geraden Linien und
rechten Winkeln, größtenteils verkleidet mit
Keramikriemchen. Auf dem folgenden, 1971
in Betrieb gegangenen Abschnitt bis Fehrbelliner
Platz wurde die Gestaltung abwechslungsreicher:
Auch große Fliesen, kunststoffbeschichtete
Eternitplatten oder Metallelemente
kamen zum Einsatz. Eine erste Abkehr
von der Sachlichkeit, die bei der Berliner
U-Bahnhofs-Architektur vorgeherrscht hatte,
brachte die vorläufige Endstation Fehrbelliner
Platz: Dem Zeitgeist gemäß war hier alles
klobig, klotzig, knallig, mit breiten Rahmen,
vielen Rundungen, übergroßer Schrift.
Die Verkleidung von Stützen, Aufbauten,
Treppenhäusern und der Wände in den
Zwischengeschossen mit hohen Platten
aus eloxiertem Aluminium stellte nicht nur
einen ruhigen Kontrast zu dieser lauten Gestaltung
dar. Die Modefarbe silber-metallic
zeigend, wirkten diese Elemente auch als
Versatzstücke einer technoiden, futuristischen,
dem Raumfahrtzeitalter angemessenen
Architektur – man betrachte das Äußere
des 1979 eröffneten ICC.
Auf den 1978, 1980 und 1984 eröffneten
Abschnitten wurde die Formgebung der
Bahnsteighallen dann immer bunter, verspielter
und disfunktionaler. Weltweit avancierte
damals die postmoderne Architektur
zur Mode, die in den Achtzigern ihren Höhepunkt
erlebte. Ernüchtert von der Moderne
und deren Sachlichkeit überdrüssig, wurde
ihr gern bemühtes Motto „form follows
function“ gekontert mit „form follows fiction“
oder „form follows fantasy“.
Die Auskleidung unterirdischer Bahnsteighallen
sollte nun stets Bezug nehmen auf den
Namen der Station oder auf deren Umgebung.
Was so zwingend klingt, führte zu völliger Beliebigkeit,
da keine Idee zu sehr an den Haaren
herbeigezogen war: So wurde die Station
Paulsternstraße als nächtliche Phantasieheidelandschaft
dekoriert, in Erinnerung an die
verlorene Natur in dem zersiedelten Industriegebiet,
in dem sie liegt. Und damit das Publikum
staunt und applaudiert, wurde auch noch
die Decke bemalt – blau mit weißen Sternchen,
die ja auch zum Namen passen.
Dieser jüngste Abschnitt der U 7 sollte
besonders prachtvoll wirken, wobei die
Devise aber lautete: viel hilft viel. So blieb
dann selbst der Bahnsteigboden nicht mehr
von auffälliger Musterung verschont. Am
Rathaus Spandau, wo auch im übertragenen
Sinne „großer Bahnhof“ gemacht werden
sollte, wirkt die Perronhalle mit vielen
Details überladen und daher letztlich klein –
man vergleiche es mit der sachlich gestalteten
Halle der U 5 am Alexanderplatz.
Für die Denkmalpflege ist der Fall
erledigt
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Die Bahnsteighalle als Farbraum: So sah der 1980 eröffnete U-Bahnhof Halemweg noch bis vor kurzem aus (Aufnahme vom 1. Juni 2012). Auch auf der benachbarten Station Jakob-Kaiser-Platz sind die Verkleidungen inzwischen größtenteils entfernt worden. Dort ist die unregelmäßige Betondecke, verputzt und getüncht, nun sichtbar. Foto: Jan Gympel |
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Orange und dunkelbraun, zwei absolute Modefarben der Siebziger, auf dem 1980 eröffneten U-Bahnhof Siemensdamm. Die BVG montierte schon vor Jahren die meisten der bunten Wandelemente ab und überpinselte den Sichtbeton mit einem trüben Grün. Motto: Grün und blau schmückt den Bau! Foto: Jan Gympel |
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Der cremefarbene Anstrich auf vielen 1984 eröffneten Stationen „schwächelte“ schon nach kurzer Zeit und wirkte fleckig. Auf der Station Zitadelle sind diese Bereiche (wie der Balken über den Mittelstützen) inzwischen dunkelblau getüncht worden (Foto 30. Mai 2012). Foto: Jan Gympel |
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Der gleichgültige Umgang der BVG mit dem Ambiente ihrer U-Bahnhöfe trifft auch Rümmlers ambitionierte Stationen: Rathaus Spandau, wo alles edel und feierlich wirken sollte, erstrahlt der Kiosk auf dem Abfahrtsbahnsteig mittlerweile in Quietschgrün und ist übersät mit Aufklebern. Foto: Jan Gympel |
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Doch wer weiß, wie lange dieser Vergleich
noch möglich ist: Die „Reise in die Postmoderne“,
die man von Mehringdamm bis
Rathaus Spandau unternehmen konnte, war
um so bemerkenswerter, als alle diese Stationen
vom selben Architekten ausgekleidet
wurden: Rainer Gerhard Rümmler, der fast
alle zwischen 1966 und 1996 neu eröffneten
(West-) Berliner U-Bahnhöfe gestaltete.
Zwölf Jahre nach seinem Tod verschwindet
das Schaffen dieses Beamten der Senatsbauverwaltung
aber immer schneller.
Von allen nach 1961 in Betrieb genommenen
Stationen steht nur eine einzige unter
Denkmalschutz: Pankstraße, als „Mehrzweckbau
U-Bahnhof mit Zivilschutzanlage“.
Darüber, ob es nicht Zeit wäre, die erhaltenswerten
Werke der späten Moderne und der
Postmoderne auszuwählen, wird nicht einmal diskutiert.
Für die behördliche Denkmalpflege
gilt das Thema als erledigt, seit sie vor
mittlerweile 15 Jahren mit der BVG darüber
eine Grundsatzvereinbarung geschlossen
hat, zu der auch eine Liste mit Schutzgut gehörte.
So wird nun ein Rümmler-Werk nach
dem anderen teilweise oder vollständig seines
Gesichts beraubt. Da dieses zeittypisch
war, konnte man an ihm erkennen, wann die
Station, mehr noch: wann der ganze Streckenabschnitt
entstanden war.
Während auf diese Weise Geschichte getilgt
wird, hat die BVG in den letzten Jahren
einen Hang zur Heimatkunde entwickelt:
An verschiedensten Stellen wurden in den
U-Bahnhöfen großformatige historische
Photos angebracht. Derweil die Architektur
der siebziger Jahre schlechte Karten hat, besitzt
die gern als Geschmacklosigkeit jener
Zeit verschriene Phototapete bei der BVG
offenbar große Fans.
Während die eloxierten Aluminiumplatten
aus den Siebzigern abgebaut werden
mit dem Argument, die ollen verbeulten
Dinger seien den Fahrgästen nicht länger
zuzumuten, gehört andernorts die Wandverkleidung
mit Blech zu den großen Favoriten
der BVG-Bauabteilung.
Während einerseits die Helligkeit in den
Stationen erhöht werden soll und auch
deshalb überall helle Bodenfliesen verlegt
werden, auf denen Schmutz besonders gut
ins Auge fällt, wichen die weißen Wandfliesen
im U-Bahnhof Bundesplatz solchen in
einem trüben, stumpf und schmuddelig
wirkenden Blau und Beige. Vergleichbares
geschah auf den Stationen Adenauerplatz
und Blaschkoallee.
Das Verschwinden von Gesichtern und
Geschichte
Natürlich gibt niemand gern zu, dass er einfach
einer Mode folgt. Schöner ist es, das
aktuelle Faible als alternativlos hinzustellen.
Und wer gar nicht diskutieren möchte,
kommt mit der Sicherheit.
So wurde gegen die in Ungnade gefallenen
Asphaltbeläge (1971 in einer Senatsbroschüre
noch als „bewährt“ bezeichnet)
schon ins Feld geführt, diese wären feuergefährlich.
Und Eingangsportale, die die BVG
inzwischen selbst an Stationen aufstellt, die
nie damit ausgestattet waren, wurden in
der Nachkriegszeit abgesägt, weil diese, so
damals eine Begründung, die Sicht der Autofahrer
behinderten.
Abgehängte Decken gelten seit einiger Zeit
als mögliche Todesquellen. Sie verschwanden
daher auch bei der jüngsten Neugestaltung
des U-Bahnhofs Mehringdamm. Allerdings
orientierte sich diese, bei der im Moment noch
die letzten Spuren der Sixties-Architektur ausgemerzt
werden, ohnehin „am historischen
Vorbild“, wie vielerorts zu lesen war. Freilich
sind die schlanken Stützen auf dem östlichen
Bahnsteig, die zwischenzeitlich freigelegt worden
waren, wieder zu wuchtigen Pfeilern geworden.
Die Hintergleisflächen, ursprünglich
hell verputzt, verkleidete man mit grau-braunen
Steinplatten. Wo 1924 Emailleschilder hingen,
prangen nun große silberfarbene Lettern.
Die Leuchten sind viel größer, der Bahnsteig
ist nicht mehr asphaltiert, seine Möblierung
besteht aus der aktuellen Standardware. Aber
sonst alles „nach historischem Vorbild“. Denn
das klingt immer gut.
Allmählich werden so die seit dem Zweiten
Weltkrieg entstandenen Stationen von
Zeugnissen ihrer Zeit, die sich teils deutlich
voneinander unterschieden und an denen
man die Geschichte des Berliner U-Bahn-Baus
ablesen konnte, allesamt zu Beispielen
für die Gestaltungsmoden, denen die BVG in
unseren Tagen folgt.
Jan Gympel
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