Stadtverkehr

Mehr, länger und weiter – die ÖPNV-Offensive des Berliner Senats

Das Mehrleistungspaket „Wachsende Stadt“, das der BVG eine jährlich aufgestockte Finanzierung sichert, ist der von Fachleuten erwartete Erfolg. Eindrucksvoll wurden die Skeptiker in der Finanzverwaltung widerlegt, die bei wachsendem Angebot eine schlechtere Auslastung von Bussen und Bahnen befürchteten.

altvolle Bushaltestelletag
Kann gar nicht häufig genug fahren und ist fast immer überfüllt: Der Flughafenzubringer TXL. Er zeigt deutlich, wie wichtig eine Schienenanbindung bei Flughäfen ist. Foto: Marc Heller

Im Gegenteil zeigen die weiterhin vollen Züge das Potenzial, das eine konsequent nachhaltige Verkehrspolitik heben kann. Wenn die Finanzkrämer nun noch die dadurch möglichen Einsparungen beim Straßenbau erkennen würden und die Verkehrspolitiker und -verwaltungen die städtischen Straßenflächen zugunsten des Umweltverbundes ÖV/Rad/Fuß umgestalteten, könnte Berlin den Anteil des Bahn- und Busverkehrs am Gesamtverkehr noch weiter steigern.

Von 2008 bis 2013 sank der Anteil des „MIV“ (Motorisierter Individualverkehr, also Autos und Motorräder) von 33 auf 30 Prozent, während der Anteil von Bahnen und Bussen von 24 auf 27 Prozent stieg. Zusammen mit Rad- und Fußverkehr hatte der Umweltverbund 2013 also bereits einen Anteil von 70 Prozent an allen in Berlin zurückgelegten Wegen erreicht. Diese gute Verteilung der Verkehrsmittelwahl kommt zwar vor allem durch die äußerst geringe Pkw-Dichte in der Berliner Innenstadt zustande, aber der Verzicht auf den eigenen Wagen muss allen so lebenden jeden Tag aufs Neue durch ein attraktives Angebot an Alternativen als richtig bestätigt werden.

U-Bahn

U-Bahn
Fährt jetzt planmäßig mit acht Wagen: Die U-Bahn-Linie U 1. Um das Angebot zu halten, sind dringend neue Fahrzeuge nötig. Foto: Marc Heller

Bei der U-Bahn ist die Situation durch einen langfristigen Wagenmangel gekennzeichnet (siehe SIGNAL 3/2013). Dadurch können die Mehrleistungen leider nicht zu den Spitzenzeiten der Nachfrage erbracht werden, weil dann schon sämtliche verfügbaren Züge im Einsatz sind. Im Gegenteil sorgen selbst die kurzfristig nachbestellten 11 Vier-Wagen-Einheiten der Baureihe IK nur für den Erhalt des Status quo, denn das im europäischen Maßstab sehr hohe Durchschnittsalter des BVG-Wagenparks führt zu einem großen Reparatur- und Modernisierungsbedarf.

U-Bahnhof
Foto: Marc Heller
U-Bahnhofeingang
Baustelle (oben) und geplanter Endzustand (unten). Der U-Bahnhof „Neue Grottkauer Straße“ auf der U 5 wird schick gemacht für die Internationale Gartenausstellung IGA 2017. Außerdem erhält er einen neuen Namen: „Kienberg – Gärten der Welt“. Nebenbei: Auf die gleichzeitige Umbenennung der U3-Station „Thielplatz“ in „Freie Universität“ verzichtet der Berliner Senat leider. Visualisierung: BVG

Derzeit hat das Verfahren zur Entwicklung und Bestellung einer neuen Fahrzeuggeneration im Großprofil begonnen – leider zu spät, um schon bei der für jetzt 2020 geplanten U5-Verlängerung zum Berliner Hbf genügend Züge zur Verfügung zu haben.

Die bisher umgesetzten Angebotserweiterungen schließen aber empfindliche Lücken im U-Bahn-Abendverkehr, der speziell in der Innenstadt bisher nicht besonders weltstädtisch war. Durch die nahezu netzweite Einführung des 5-Minuten-Taktes an den Wochenenden bis nach 22 Uhr wurde endlich der großen Bedeutung dieses Verkehrsmittels für den Freizeit- und Touristenverkehr Rechnung getragen. Auf der Linie U 7 wurde auch der Spitzenzeitraum ausgeweitet, und im Fahrplan 2016 wurde mit einer geringfügigen Verdichtung im Berufsverkehr auf der Linie U 6 erstmals die künftig notwendige Richtung eingeschlagen. Ebenfalls in diese Richtung weist die Verlängerung der Züge auf der U 1 von sechs auf acht Wagen.

Straßenbahn

Bei der Straßenbahn ist die Fahrzeugsituation durch die fortlaufende Inbetriebnahme neuer Flexity-Züge entspannter, aber die 2015 offen zutage getretene Fahrerkrise verhinderte hier nicht nur fast alle Angebotszuwächse, sondern führte sogar zu monatelangen Fahrplaneinschränkungen! Erst am 9. Juni 2016 konnte die BVG-Pressestelle die Rücknahme der letzten Fahrplankürzungen bei der Straßenbahn ankündigen.

Straßenbahn
Die Straßenbahnlinie M 2 benötigt schon längst längere Fahrzeuge. Noch sind die größeren 7-Teiler selten auf der Linie zu sehen. Das muss sich schnell ändern. Foto: Marc Heller

Zu den bedeutsamen vom Senat bestellten Mehrleistungen gehört die Ausdehnung des 10-Minuten-Taktes von Mahlsdorf Süd zur Haltestelle Rahnsdorfer Straße durch Verlängerung der Linie 63 montags bis freitags. An dieser Stelle zeigen sich nämlich deutlich die Versäumnisse von Politik und Verwaltung, die sich bislang nicht auf den dringend erforderlichen Ausbau der Infrastruktur für die Durchbindung der Linie 63 bis zum wichtigen Umsteigepunkt S-Bf Mahlsdorf verständigen konnten.

Bus

Die meisten Maßnahmen wurden bisher im BVG-Busangebot umgesetzt. Sie umfassten verdichtete Angebote in der Hauptverkehrszeit (HVZ), Ausweitungen des HVZ-Zeitraums und des Tagesverkehrs, verdichtete Abendverkehre und Verlängerungen der Linienbetriebszeiten.

Hervorzuheben sind dabei die Linien M 41 und TXL. Auf dem Flughafenzubringer macht sich schon seit Jahren der stetig steigende Tourismusverkehr in Überlagerung zum ebenfalls starken lokalen Verkehr bemerkbar, und trotz eines weit überdurchschnittlichen Angebots (alle 5 bis 7 min bis etwa 21 Uhr, alle 10 min bis fast Mitternacht) sind die Busse dort oft überfüllt. Hier zeigt sich, dass für die Anbindung eines Flughafens eine Schienenstrecke unverzichtbar ist. Noch häufiger fährt der M 41. Aber die HVZ-Verdichtung auf dem Neuköllner Abschnitt von 5 auf 4 Minuten wurde von der BVG und externen Beobachtern von vornherein skeptisch gesehen, solange keine flankierenden Maßnahmen zur Störungsprävention gegen den Autoverkehr ergriffen werden. Und tatsächlich blieb die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit dieser Linie weit unter dem Durchschnitt.

Trotz dieser Mängel war die Angebotsausweitung ein Erfolg, denn einerseits gingen die Überfüllungen (100-Prozent-Meldungen) netzweit zurück, andererseits konnte neue Nachfrage generiert werden. Besonders deutlich wurde das bei den Linien und Streckenabschnitten, die für den Fahrgast spürbar verdichtet wurden, beispielsweise von 20- auf 10- oder von 10- auf 5-Minuten-Takt. Zu nennen wären hier die Linienbündel 165/265 sowie 136/236, 122/221 und M 29. Bei der letztgenannten war es keine Taktverdichtung, sondern der konsequente Einsatz größerer Fahrzeuge, der die Nachfragespitzen besser aufnahm.

Bus
Foto oben: Die neue Linie 310 ergänzt seit 4. April im Berufsverkehr die Stammlinien 110 und 249. Zukünftig werden beim Bus allerdings eher Taktverdichtungen und Kapazitätserweiterungen durch größere Fahrzeuge bei den bestehenden Linien nötig sein. Foto: Marc Heller

Für den Fahrplan 2016 ist erstmals seit Jahren auch eine völlig neue Linie dabei: Die 310 ergänzt seit 4. April im Berufsverkehr die Stammlinien 110 und 249. Statt neuer Linien sind in Zukunft aber eher Kapazitätserhöhungen wahrscheinlich, die man ohne Personalmehrbedarf durch den verstärkten Einsatz größerer Busse erreicht. Auch hier zeigen sich allerdings die begrenzten Möglichkeiten des Busbetriebs gegenüber Schienenfahrzeugen.

Ausblick auf 2017

Für das im kommenden Dezember beginnende Fahrplanjahr 2017 sind weitere Maßnahmen in Planung: Bei U- und Straßenbahn ist die weitgehende Abschaffung der ausgedünnten Ferienfahrpläne die beste Nachricht. Diese hatten (insbesondere bei gleichzeitiger Schwächung der Züge) immer wieder für Ärger gesorgt, weil dem Rückgang bei den verreisten einheimischen Fahrgästen ein Zuwachs bei den Touristen gegenüberstand, so dass es beispielsweise auf den Linien U 2, U 8, U 9 und M 4 keinen nennenswerten Fahrgastrückgang gab.

Ein Schwerpunkt des Fahrplanjahres 2017 wird die U-Bahn-Linie 5 sein. Zum einen wird sie Hauptzubringer zur Internationalen Gartenschau, weshalb es neben der Modernisierung der Station Neue Grottkauer Straße (mit Umbenennung in „Kienberg, Gärten der Welt“) auch eine Erweiterung des Fahrplanangebots, insbesondere an den Wochenenden, geben wird. Zum Anderen wird die U 5 im Jahr 2017 auch an Werktagen stark gefordert sein, weil dann eine Hauptbauphase im Bereich Ostkreuz bei der S-Bahn stattfindet, wofür diese U-Bahn-Linie die wichtigste Umfahrung sein wird. Es wird mindestens für diese Zeit deutliche Taktverdichtungen geben.

Ansonsten werden auch noch 2017 der Mangel an Fahrzeugen und Betriebspersonal eine Angebotserweiterung auf dem Schienennetz zu den Hauptverkehrszeiten verhindern. Das Land Berlin weiß, dass der Aufbau der entsprechenden Reserven noch einige Zeit in Anspruch nimmt. Deshalb wird auch im Fahrplanjahr 2017 die weitere Verdichtung von Buslinien die Mehrzahl der Maßnahmen bilden. Bei Straßenbahn und U-Bahn sind vor allem die Ausweitung der Zeiten mit dichtem Takt geplant.

Immerhin ist die Finanzierung gesichert: Nach 4 Millionen Euro für 2014 und 7,5 Mio für 2015 sind für dieses Jahr 12 Mio Euro und für 2017 15,5 Mio Euro für zusätzliche Verkehrsleistungen der BVG vorgesehen.

Um aber auch die Busmaßnahmen nicht zu teuer werden zu lassen, sollten künftig größere Fahrzeuge statt der 12-m-Solowagen auf vielen Linien zum Einsatz kommen. Insbesondere im Innenstadtbereich ist auf jeden Fall die Verdichtung auf einen 10-Minuten-Takt zwischen den Hauptverkehrszeiten nötig – und auch schon in Planung. Ebenso ist an den Wochenenden vielfach eine Taktverdichtung nötig. Das gilt mittlerweile sogar im Nachtverkehr – auch in Werktagsnächten. Hier muss insbesondere die U-Bahn-Ersatzlinie N1 verdichtet werden, um der rund um die Uhr starken Nachfrage gerecht zu werden. Andere Linien, die verdichtet werden sollten, sind die M 41, M 45, X 10, X 11, X 33, X 49, 114 und 248. Außerdem nur für den Sommer 2017 auch die Linien X 69 und 195 zur Anbindung des Gartenschaugeländes in Hellersdorf.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB, der sich jahrelang um eine nachhaltige Erweiterung des Angebots bemühte, darf sich durch den Erfolg der schon umgesetzten Maßnahmen bestätigt fühlen. Wir wissen, dass noch viel mehr Potenzial durch ein weiter verbessertes Angebot für den öffentlichen Verkehr erschlossen werden kann und wünschen uns auch nach den Berliner Wahlen im September 2016 weitere Schritte der Landespolitik auf dem eingeschlagenen Weg. (af)

Weitere Informationen zu den Themen „Wachsende Stadt“ und „Angebotsmaßnahmen“ finden Sie beim „Center Nahverkehr Berlin“ unter www.cnb-online.de

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2016 (Juli 2016), Seite 16-18

 

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