Fernverkehr

Entwurf der Nachhaltigkeitsstrategie 2016: Bund streicht Verlagerungsziele im Güterverkehr

Die Bundesregierung hat unter Federführung des Bundeskanzleramts einen Entwurf für die Neufassung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet und am 31. Mai 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieser Entwurf ist ein Rückschritt, denn für den Verkehrsbereich enthält er weder konkrete Maßnahmen noch messbare Indikatoren.

Bis zum 31. Juli 2016 konnten interessierte Bürger und Verbände zu dem vorgestellten Entwurf Stellungnahmen bzw. Verbesserungsvorschläge abgeben. Auch seitens des Deutschen Bahnkunden-Verbands wurden Vorschläge zum Bereich Verkehr unterbreitet.

Zug und Schiff
Nachhaltigkeitsstrategie 2002: Kläglich versagt hat die Verkehrspolitik beim Ziel „Verlagerung von Transportleistungen von der Straße auf Bahn und Schiff“. Foto: Christian Schultz

Nicht nachvollziehbar ist bei dem Entwurf, dass das bisherige Verlagerungsziel, welches einen höheren Marktanteil des klimafreundlichen Schienenverkehrs vorsieht, gestrichen wurde. Denn gerade der Verkehrsbereich hat als einziger Sektor der Volkswirtschaft seit 1990 (im Gegensatz beispielsweise zu Industrie, Handel und privaten Verbrauchern) keine Senkung der von ihm ausgehenden Treibhausgasemissionen erzielen können.

Der Verkehr ist in Deutschland nach Angaben des Umweltbundesamtes für rund 18 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Verursacher ist hierbei mit einem Anteil von 95 (!) Prozent der Straßenverkehr.

Weil kontinuierlich mehr Güter auf der Straße transportiert werden und zusätzlich auch der Trend zu schwereren Fahrzeugen mit höherer Leistung geht, haben sparsamere Motoren dem Klimaschutz letztlich wenig genutzt. Allein im Jahr 2015 war beispielsweise eine Steigerung der Kohlendioxid-Emissionen um 1,5 Prozent auf 163,6 Mio. Tonnen zu verzeichnen.

Dabei war ein zentraler Bestandteil der aktuellen Nachhaltigkeitsstrategie, welche im Jahr 2002 erarbeitet wurde, die Verlagerung von Straßenverkehr auf Schiene und Wasser. Als Ziel wurde für das Jahr 2015 seinerzeit ein Anteil des Schienengüterverkehrs von 25 Prozent bzw. der Binnenschifffahrt von 14 Prozent formuliert.

Grafik
Quelle: Allianz pro Schiene auf Basis von Statistisches Bundesamt, 2016 = 1. Quartal.

Aber diese Werte wurden deutlich verfehlt! Während es in den Jahren 2003 bis 2008 noch kontinuierliche Steigerungen des Marktanteils der Schiene von 15,7 auf 17,7 Prozent gab, lag der Wert 2015 (nach Einbrüchen in den Jahren 2009 und 2010) bei gerade einmal 17,6 Prozent. Unverständlich ist die Untätigkeit der Verkehrspolitik vor dem Hintergrund der erheblichen Unterschiede bezüglich der Emissionen an Treibhausgasen (angegeben als Kohlendioxid-Äquivalente):

LKW (ab 3,5 t) 97,5 g/tkm
Eisenbahn 23,4 g/tkm
Binnenschiff 33,4 g/tkm
Flugzeug 1539,6 g/tkm

Schlimmer noch: Staatlich induzierte Kostenbelastungen, u. a. durch die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), sorgen ausgerechnet beim ressourcenschonenden Schienenverkehr für spürbare Steigerungen der Transportkosten. Und während die Trassenpreise im Schienenverkehr kontinuierlich angehoben wurden – und zwar seit Jahren deutlich über dem Anstieg des Verbraucherpreisindexes, profitiert der Straßengüterverkehr von sinkenden Mautsätzen. So lag der Durchschnittsmautsatz 2010 bei 17,42 Cent/Kilometer, 2015 dagegen bei rund 14,7 Cent/Kilometer. Diese Maßnahme konterkariert damit die oben beschriebenen Verlagerungsziele. Konsequente Maßnahmen zur Erreichung der obigen Ziele sehen anders aus!

Verkehrsvermeidung muss verkehrspolitisches Ziel sein

Für eine verantwortungsvolle, nachhaltige Verkehrspolitik muss es selbstverständliches Ziel sein, die Verkehrsbelastung für Mensch und Umwelt nicht ständig weiter zu erhöhen. Das Hinnehmen des ungehemmtem Verkehrswachstums, und zwar schwerpunktmäßig des Straßen- und Luftverkehrs, hat nichts mit nachhaltiger Verkehrspolitik zu tun.

Das im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 vorgestellte Szenario ist dabei eine verkehrspolitische Bankrotterklärung: Im Zeitraum zwischen 2010 und 2030 wird ein Zuwachs der Transportleistung von 437,3 Mrd. tkm auf 607,4 Mrd. tkm beim Verkehrsträger Straße (d.h. + 170,1 Mrd. tkm), aber lediglich von 107,6 Mrd. tkm auf 153,7 Mrd. tkm beim Verkehrsträger Schiene (d.h. + 46,1 Mrd. tkm) prognostiziert.

Hinzu kommt, dass im neuen Bundesverkehrswegeplan offen zugegeben wird, dass die Vorhaben des BVWP zumindest teilweise auch zusätzlichen Verkehr induzieren oder höhere Reisegeschwindigkeiten ermöglichen, die wiederum mit zusätzlichen Emissionen verbunden sind.

Mit den Projekten des Vordringlichen Bedarfs (VB) und der Vordringlichen Bedarfs-Engpassbeseitigung (VB-E) der Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße wurde eine Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes von gerade einmal 0,4 Millionen Tonnen errechnet, wobei für 2030 sogar eine Gesamtmenge von insgesamt 190 Millionen Tonnen prognostiziert wird. Dabei leistet der Straßenverkehr einen deutlich negativen und lediglich die Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße einen positiven Beitrag zu der geringen Emissionsreduzierung.

Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass bei der Mittelverteilung nicht das im Bundesverkehrswegeplan beschriebene „Investitionsszenario 3“ (d.h. eine Stärkung der Verkehrsträger Schiene/Wasserstraße) festgelegt wurde.

Völlig unverständlich: Es wurde mit dem am 3. August 2016 vom Bundeskabinett beschlossenen Bundesverkehrswegeplan 2030 die Chance vertan, dieses Investitionsprogramm als strategischen Bestandteil der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie weiterzuentwickeln. Letzteres wäre jedoch dringend notwendig gewesen! Das zeigt, wo die verkehrspolitischen Prioritäten weiterhin gesetzt werden.

Aussagekräftige Indikatoren in der Nachhaltigkeitsstrategie 2016 festlegen!

Güterzug
Der Kombinierte Verkehr ist ein wichtiges Element der Klimapolitik. Daher muss die sogenannte Verlagerungsinfrastruktur (Umschlaganlagen, Kapazitätserhöhung des Schienennetzes) forciert ausgebaut werden. Foto: Christian Schultz

In der Endfassung der Nachhaltigkeitsstrategie müssen konkrete, messbare Marktanteilsziele aufgenommen werden, die eine Veränderung des Modal Splits zugunsten energieeffizienter und klimaschonender Verkehrsträger bewirken. Bis zum Jahr 2025 sollten daher Zielwerte von 25 Prozent für den Anteil des Schienenverkehrs bei der Güterverkehrsleistung und von 15 Prozent für den Anteil des Schienenverkehrs bei der Personenverkehrsleistung in die Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen werden.

Ein Verzicht auf aussagekräftige Indikatoren wäre nicht nachvollziehbar.

Auch das EU-Weißbuch Verkehr formuliert ambitionierte Ziele für den Klimaschutz: 30 Prozent des Straßengüterverkehrs über 300 km sollen bis 2030 auf andere Verkehrsträger wie Eisenbahn- oder Schiffsverkehr verlagert werden, mehr als 50 Prozent bis 2050 – angesichts teilweise chaotischer Zustände auf den Fernstraßen eine überfällige Maßnahme!

Um o. g. Ziele zu erreichen, müssen verkehrspolitische Rahmenbedingungen angepasst werden. Im Folgenden sind einige wesentliche Aspekte zum Güterverkehr beschrieben.

Überfällig: externe Kosten stärker berücksichtigen

Notwendig ist eine deutlich stärkere Internalisierung der externen Kosten. Im Güterverkehr bedeutet dies die Berücksichtigung von Kosten durch zum Teil schwerste Unfälle, kontinuierlich steigenden Flächenverbrauch für Straßen und Parkplätze (dazu zählen z. B. auch Lkw-Parkplatzflächen an den Bundesautobahnen), Zerschneidung der Landschaft bzw. steigender Emissionen durch Treibhausgase, Luftschadstoffe und Lärm bei der Festlegung der Mauthöhe.

Des Weiteren muss die Mautpflicht auch auf Landes- und Kreisstraßen ausgedehnt werden. Allein im Bundesland Brandenburg besteht ein Netz von 5707 km Landes- und 2970 km Kreisstraßen (Stand 1. Januar 2016). Schließlich muss der Bahnkunde ebenfalls für jeden gefahrenen Kilometer eine „Maut“ (Trassenpreis), noch dazu auf Basis einer Vollkostenkalkulation, über seinen Fahrbzw. Frachtpreis entrichten.

Zurzeit wird die Lkw-Maut lediglich auf rund 13 000 km Bundesautobahnen und zusätzlich auf rund 2300 km autobahnähnlich ausgebauten Bundesstraßen erhoben. Seit dem 1. Oktober 2015 gilt die Mautpflicht dabei auch für Lkw zwischen 7,5 und 12 Tonnen Gesamtgewicht. Die Ausdehnung der Mautpflicht auf alle Bundesstraßen (zusätzlich rund 40 000 km) ist geplant, jedoch erst ab 1. Juli 2018.

Überfällig: Engpässe im Schienennetz beseitigen

Dass die Stärkung des Schienenverkehrs bislang verkehrspolitische Lippenbekenntnisse sind, zeigt wiederum der kürzlich beschlossene Bundesverkehrswegeplan 2030. Für insgesamt 40 Schienenprojekte wurde eine Bewertung bislang gar nicht durchgeführt (gegenüber 26 neuen Vorhaben der Kategorien VB und VB-E)!

Für die dafür kreierte Kategorie „Potenzieller Bedarf“ muss eine Bewertung bzw. Einstufung in Dringlichkeitskategorien nun erst noch erfolgen. Unverständlich: Einen verbindlichen Termin gibt es dafür nicht.

Waggon
CargoBeamer: Diese Variante des Kombinierten Verkehrs ermöglicht eine schnelle Bahnverladung speziell auch der seitens des Transportgewerbes (leider) überwiegend eingesetzten nicht kranbaren Sattelauflieger. Technische Lösungen für eine umfassende Verlagerung von Transporten auf die Schiene sind damit vorhanden! Foto: Christian Schultz

Dabei gibt es im „Potenziellen Bedarf“ keineswegs Projekte zweitrangiger Bedeutung, sondern wichtige Maßnahmen zur Engpassbeseitigung bzw. Kapazitätserhöhung des Systems Schiene. Ein Beispiel: Mit dem Projekt „740-m-Netz für Güterzüge“ sollen punktuelle Engpässe im Bereich der Infrastruktur aufgelöst werden. Die größere Zuglänge ermöglicht einerseits einen deutlichen bzw. dringend notwendigen Effizienzsprung, andererseits eine höhere Kapazität des bestehenden Netzes.

Diese bislang ungenutzten Kapazitäten werden für Verkehrsverlagerungen jedoch benötigt. Nach Angaben der Deutschen Bahn verkehren derzeit (oft wegen nur geringfügiger Netzbeschränkungen) gerade einmal 11 Prozent der Züge mit der europäischen Standard-Zuglänge. Während sich das Projekt „740-m-Netz für Güterzüge“ noch in der Warteschleife befindet, plant Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt dagegen bereits die Regelzulassung für Gigaliner und damit eine Fortsetzung der straßenlastigen Verkehrspolitik.

Überfällig: Trassenpreise im Schienenverkehr senken

Die Bundesregierung will von den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) auch weiterhin die hohen Vollkostenpreise verlangen und folgt damit nicht der Empfehlung der EU-Kommision, die deutlich günstigeren Trassenpreise auf Grenzkostenbasis (d.h. die unmittelbaren Kosten des Zugbetriebs) zu veranschlagen. Die derzeit üblichen Vollkostenzuschläge umfassen dabei rund 70 Prozent der gesamten Trassenpreise.

Vor dem Hintergrund sinkender Mautsätze und gesunkener Dieselpreise ist die Höhe der Trassenpreise gerade für den preissensiblen Schienengüterverkehr existenziell. Hier besteht somit dringender Korrekturbedarf!

Überfällig: Kombinierten Verkehr besser fördern

Für die Förderung von Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs will die Bundesregierung 2017 insgesamt 92,7 Millionen Euro bereitstellen. Im Jahr 2015 waren es 92 Millionen Euro. Allerdings wurden von dieser Summe nur knapp 28 Millionen Euro tatsächlich abgerufen, 2014 waren es sogar nur 17 Millionen Euro.

Zielgruppe dieser Fördermaßnahme sind dabei Unternehmen in Privatrechtsform. Nach der notwendigen Vereinfachung des bislang viel zu komplizierten Förderverfahrens (dazu zählt auch die deutliche Verkürzung der Planungszeiten und die deutlich beschleunigte Bearbeitung von Förderanträgen) muss die Summe der Investitionsmittel aufgestockt werden, da die derzeit bestehenden intermodalen Umschlaganlagen in der Regel hoch ausgelastet sind.

Die Aufstockung der Fördermittel für den Neu- bzw. Ausbau von Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs ermöglicht einen entsprechend forcierten Ausbau und damit die Verlagerung von Verkehren auf die Schiene. Durch die Zweckbindung eines Teils einer Lkw-Mauterhöhung kann dabei künftig eine deutlich verbesserte Förderung des Kombinierten Verkehrs realisiert werden.

Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 5/2016 (November 2016), Seite 27-29

 

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