Neue U-Bahn-Fahrzeuge

Neue U-Bahn-Fahrzeuge
Oder: Wann hat das Warten auf Fahrkomfort endlich ein Ende?

Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat sich in der Vergangenheit mehrfach positiv zu den vielen Verbesserungen geäußert, die das Senatsprogramm „Wachsende Stadt“ mit sich brachte – aber auch stets darauf hingewiesen, dass für die Umsetzung mehr Fahrzeuge und mehr Personal im Fahrdienst nötig sind. Während das entsprechende Beschaffungsprogramm bei der Straßenbahn seit fast zehn Jahren erfolgreich mit den Flexity-Wagen läuft, muss die U-Bahn seit 20 Jahren (!) ohne neue Fahrzeugserien auskommen. Dieser Zustand soll sich in den nächsten Jahren endlich ändern.

U-Bahn
Positiv! Auch im Fahrgasteinsatz lassen sich die beiden Kleinprofil-Baureihen HK (links) und IK (rechts) kuppeln und ermöglichen einen flexiblen Einsatz. Aber da nur Fachleute sie unterscheiden können, ist die unterschiedliche Anordnung der Abteile für Rollstühle und Fahrräder ein Problem. Foto: Holger Mertens

Bis zum Jahr 2000 war die heutige Nachfragesteigerung noch nicht absehbar, so dass die damals beschafften H- und HK-Züge nicht zur Erweiterung des Bestandes genutzt wurden, sondern nur die ältesten Typen aus den 1950er Jahren ersetzten. Da durch die (erstmals) gewählte Zugkonfiguration aus fest gekuppelten Vollzügen im Großprofil und Halbzügen im Kleinprofil der Bedarf an Zugeinheiten größer wurde, diese aber trotzdem in geringerer Stückzahl gekauft wurden, entstand schon bald nach der Jahrtausendwende ein Mehrbedarf, zunächst für die U-Bahn-Linien 1 bis 4 des Kleinprofilnetzes.

Deshalb hatte die BVG 2012 eine Ausschreibung nur für das Kleinprofil-Netz gestartet, die Stadler mit der Baureihe IK gewann, deren Züge mit der Baureihe HK kuppelbar sind.

Aufgrund der heute üblichen langen Konstruktions- und Zulassungszeiträume kommen die ersten Serienzüge nach zwei Prototypen (2015) erst im Jahr 2017 zur Auslieferung. Dadurch ergibt sich das Paradox, dass gerade dann, wenn eine Streckenverlängerung im Großprofil erfolgt, nur Kleinprofilzüge geliefert werden. Die BVG überraschte daraufhin mit der Bestellung zusätzlicher 11 IK-Halbzüge, die für eine Umrüstung auf das Großprofil vorbereitet sind. Dadurch wird kurzfristig der Mehrbedarf gedeckt, den die für 2020 angestrebte Verlängerung der U 5 mit sich bringt.

Museumsbetrieb auf der U 55

Wie prekär die Lage beim Großprofil ist, kann man auf der U 55 erleben: Selbst die drei bisher dort eingesetzten Doppeltriebwagen der Baureihe F waren im Hauptnetz unentbehrlich und wurden auf dem kleinen Inselbetrieb am Reichstag durch teilmodernisierte Fahrzeuge der schon längst ausgemusterten Baureihe D ersetzt. Für einige Jahre hat die BVG hier also einen täglichen Museumsbetrieb zu bieten. Die bequemen und vor allem gut gepolsterten Sitzbänke der alten Wagen werden die Fahrgäste erfreuen. Die Fahrgastinformation wurde teilweise erneuert, aber weil die betroffenen Wagen später wieder (wie vorher) als Museumsfahrzeuge dienen sollen, sind alle Änderungen reversibel ausgeführt worden.

Innenaufteilung
Prinzip-Skizze der geplanten Baureihe JK. Um einen weiteren Sitzplatzverlust zu vermeiden, werden im Kleinprofil die schon früher einmal üblichen zwei Türen pro Wagenseite verwendet. Die BVG ist zuversichtlich, dass es zu keinen Fahrgast-Staus kommt. Grafik: BVG
Türenschema
Türen sind heute komplexe Systeme, die Skizze für die Baureihen J und JK zeigt allein den sichtbaren Teil von innen. Grafik: BVG

Die BVG, die den Fahrzeugmangel in ihrem Tagesgeschäft täglich spürt, begann ab der Jahrtausendwende zweigleisig zu fahren: Einerseits wurde ein Ertüchtigungsprogramm für die ältesten Großprofilwagen der Baureihen F74 bis F76 gestartet, das von 2014 bis 2017 alle 40 Doppeltriebwagen dieser Serien für weitere 20 Jahre fit macht. Der lange Arbeitszeitraum erklärt sich aus der Tatsache, dass immer nur wenige Fahrzeuge gleichzeitig im Betrieb entbehrlich waren. Andererseits wird zusammen mit dem Senat, der ja die Finanzierung dafür sichern muss, die Ausschreibung einer ganz neuen Generation von U-Bahn-Wagen für beide Teilnetze vorbereitet. 2016 fanden dazu die Anhörungen der Verbände statt, dabei war auch der Berliner Fahrgastverband IGEB.

Die neue Generation J und JK

Bei den Kleinprofilzügen hat sich die Aufteilung in zwei Halbzüge grundsätzlich bewährt und soll auch bei der nächsten Bestellung beibehalten werden. Zusätzlich sollen (auch für das Großprofil) einzelne Minizüge aus nur 2 Wagen bestellt werden. Die IGEB hält dies für Mehraufwand ohne Fahrgastnutzen. Allein die zusätzlichen Fahrerräume in Zugmitte verschwenden zahlreiche Fahrgastplätze und kosten zusätzliches Geld, für das sich genauso gut mehr längere Züge anschaffen ließen. Auch das Ziel einer stetigen Verkehrssteigerung von Senat und BVG läßt sich nur mit längeren Zügen erreichen. Hier zu sparen und durch kleinteilige Einheiten den Fehler zu geringer Reserven zu wiederholen, wäre geradezu kontraproduktiv.

Von der BVG wird zwar gefordert, dass sich die 4-Wagen-Einheiten im Großprofil um zwei Wagen erweitern lassen müssen, aber die Entwicklung einer leichteren Entkupplung bei durchgehenden 6-Wagen-Zügen in Zugmitte für den Havariefall wäre die zukunftsweisendere Alternative.

Wie schon bei den H-, HK- und IK-Zügen sollen auch bei den neuen Baureihen J und JK ausschließlich Längsbänke eingebaut werden. Sowohl innen als auch außen sollen die Neuen eine für beide Teilnetze klar zusammengehörende Fahrzeugfamilie werden. Das zeigt sich bei denselben Türabständen und Fenstern, denselben Sitzgruppen mit je 7 Plätzen zwischen zwei Türen, denselben Anordnungen der Stellflächen (immer an der ersten Tür hinter dem Fahrerraum entfallen je vier Sitze an einer Seite) und weiteren technischen Details, um die Lagerkosten der BVG für Ersatzteile zu vermindern.

Die genormte Anordnung der Stellflächen für Rollstühle, Kinderwagen und Fahrräder ist ein großer Vorteil gegenüber den Zugkombinationen HK-IK, die sich äußerlich ebenfalls ähneln, aber die darauf angewiesenen Nutzer zu Spurts über den Bahnsteig oder Gedränge im Zug veranlassen, weil diese Abteile an ganz unterschiedlichen Stellen im Zug zu finden sind.

Das Ziel einer Fahrzeugfamilie mit einheitlicher „Benutzeroberfläche“ führt allerdings im Kleinprofil zum Verzicht auf eine Tür pro Wagenseite. Die IGEB hält das angesichts der geringeren Platzzahl pro Wagen und dem schon lange geforderten Gewinn von Sitzplätzen in den Fahrzeugen für richtig.

Ebenfalls erfreulich ist das Ziel der BVG, das Schließen der Türen zu beschleunigen. Die Entwicklung der letzten Jahre (besonders im Regionalverkehr) hat unter dem Deckmantel der Benutzerfreundlichkeit und -sicherheit zu einer deutlichen Verlängerung der Haltezeiten und zu Fehlanreizen für das risikofreudige junge Publikum geführt. Die Praxis, die sich schließenden Türen zu blockieren und damit hunderte andere Fahrgäste warten zu lassen, weil man selbst zu spät auf dem Bahnsteig erschien, kann aber leider nicht abgeschafft werden – die Aufsichtsbehörden fordern diese Türfunktion weiterhin. Selbstverständlich werden auch die Türen der neuen U-Bahn-Züge alle Sicherheitsanforderungen erfüllen und eine Abfahrt des Zuges verhindern, falls noch jemand oder etwas eingeklemmt ist.

Bitte keine Türkonzerte

IK-Zug von vorne
Die Baureihe IK mit den „bombierten“ (ausgewölbten) Seitenwänden, die auch beim Nachfolger JK verwendet werden. Foto: Tom Gerlich
Innenansich IK-Zug
Wagenübergang im IK-Zug. Die Verkleidung des Faltenbalgs ist ein guter Ort für großformatige Fahrgastinformation. Leider passen schon zwei recht dünne Personen nicht gemeinsam auf den Doppelsitz. Foto: Florian Müller
Innenansicht
Eine Fensterscheibe vom Fahrgastraum zur Fahrerkabine im IK-Zug bietet etwas Ausblick auf die Strecke. Foto: Florian Müller

Wie in einem barrierefreien System heute üblich, werden sowohl das Finden der Türen durch Tastleisten am Türgummi als auch das Öffnen durch für Rollstuhlfahrer tiefer angebrachte Bedientaster erleichtert. In dieselbe Kategorie fallen auch die schon lange üblichen Warnsignale vor der Abfahrt. Auf eine akustische Umweltverschmutzung durch weitere Tonsignale (Türen finden, wenn sie zu sind, Warnung vor dem Öffnen, Ton beim automatischen Schließen bei weiter erfolgter Freigabe – also ein ständiges elektronisches Konzert von 18 Türen am Bahnsteig) sollte unbedingt verzichtet werden.

Auf das Thema Fahrgastinformation legt der Fahrgastverband IGEB traditionell großen Wert. Gerade im Kleinprofil gab es leider auch bei den HK-Zügen keine Verbesserungen gegenüber dem BVG-Bus-Standard der 1990er Jahre! Die seither erfolgte Miniaturisierung und Verbilligung der erforderlichen Elektronik und die absehbar rasche Weiterentwicklung auf diesem Gebiet haben dazu geführt, dass diese Systeme nach maximal der Hälfte der Lebensdauer eines Schienenfahrzeugs veraltet sind. Darum sollte das gesamte Informationssystem in den Baureihen J und JK als unabhängige Einheit mit genormten Schnittstellen zur Daten- und Energieübertragung gestaltet werden. Dadurch ist es für die Zulassung der Fahrzeuge nicht mehr relevant und kann bei einer Hauptuntersuchung oder Modernisierung nach halber Einsatzdauer durch Zeitgemäßes ersetzt werden.

Wie sich bei der gerade laufenden Umrüstung der Bestandsflotte auf elektronische Linien- und Zielanzeigen herausstellt, kann neue Technik auch zu Verschlechterungen der Lesbarkeit führen. Für die hier angesprochenen Anzeiger sollte bei den zukünftigen Fahrzeugen wieder Wert auf die Primärfunktion dieser Elemente gelegt werden: gute Lesbarkeit durch klare Farben, hohen Kontrast und sorgfältige Auswahl der programmierbaren Schrifttypen.

Im Fahrzeug Linienverlauf anzeigen

Von der BVG geplant sind Infomonitore in allen Zügen nach Art der schon jetzt in den Straßenbahnen verwendeten. Aus Fahrgastsicht sollte man aber noch einen Schritt weitergehen, denn die aus Bus und Straßenbahn bekannten Bildschirme haben den grundsätzlichen Nachteil, dass nur die nächsten drei Haltestellen und das Ziel zu sehen sind. Besser wäre es, im Innenraum den befahrenen Linienverlauf in zeitgemäßer Technik darzustellen. Eine dynamische Anzeige des Standortes auf dem Linienband und die an der nächsten Station erreichbaren Anschlüsse sollten für Fahrzeuge, die bis nach 2050 im Einsatz sind, selbstverständlich sein.

Ein dynamisch arbeitendes Linienband mittels Monitortechnik hätte drei Vorteile: Es ließe sich in beiden Fahrzeugprofilen in die Dachvoute einbauen, ohne dadurch wie bei Normalbildschirmen die Durchgangshöhe im Zug einzuschränken; es wären immer alle Haltestellen der Linie ersichtlich und es könnten Abschnitte mit Ersatz- oder Pendelverkehr mit einprogrammiert werden.

Die ebenfalls vorgesehenen Anschlusshinweise in Echtzeit sollten auf separaten Monitoren gegeben werden, wobei Größe und Einbauort noch zu klären sind. Die beim Typ IK verwendeten Anzeigen in den Windfängen haben den Nachteil, dass sie direkt vor den beliebtesten Stehplätzen im Türraum angebracht sind und so von den dort befindlichen Personen regelmäßig verdeckt werden. Falls diese sich mit scharfkantigen Rucksäcken dagegen lehnen, werden sie obendrein beschädigt. Überlegenswert wäre, hier zum Türraum hin lediglich das Rückseitengehäuse zu zeigen und den Bildschirm in die Sitzgruppen scheinen zu lassen – natürlich hoch genug angebracht, um nicht von sitzenden Kunden verdeckt zu werden, und flach genug, um keinen Stehplatz im Türraum zu versperren. Falls es im Großprofil doch zu den quer unter der Decke hängenden Monitoren kommt, dann muss die Durchgangshöhe groß genug bleiben.

Diskussion um Prototypen

Innenansicht
Mehrzweckabteil im IK mit Klappsitzen. Deutlich zu sehen: die Platzverschwendung durch die große Einbautiefe dieser minderkomfortablen Sitze. So bringt die „Bombierung“ nichts! Foto: Tom Gerlich
Innenansicht
Rollstuhl-Stellfläche hinter der Fahrerkabine im IK-Zug mit Anlehnhilfe für stehende fahrgäste, leider ebenfalls sehr voluminös ausgeführt. Foto: Florian Müller
Fahrzeugaufteilung
Geplante JK-Zugbildungs-Varianten mit 8-, 6-, 4- und 2-Wagen-Zügen. Auf die 2-Wagen-Minizüge sollte die BVG allerdings verzichten, zumal die Fahrgäste dann keine 6-Wagen-Sparzüge auf den Hauptlinien befürchten müssen. Grafik: BVG

Bei der Anhörung zusammen mit dem Senat war sich die BVG noch nicht sicher, ob für die neuen Baureihen Prototypen beschafft werden sollten. Um belastbare Erkenntnisse aus dem Alltagsbetrieb zu gewinnen und auch noch in die folgende Serienfertigung einfließen zu lassen, müssten diese mindestens einen Sommer und einen Winter im Einsatz stehen, und danach müssten die Ergebnisse ausgewertet werden, bevor mit dem Serienbau begonnen werden kann. Das würde zu einem Zeitverzug von rund zwei Jahren führen. Somit müsste die BVG länger auf die dringend benötigten Züge warten und die schon längst geplanten Angebotsverbesserungen könnten nicht umgesetzt werden. Andererseits hat sich zuletzt bei den Flexity-Straßenbahnfahrzeugen gezeigt, wie sinnvoll Prototypen vor der Serienfertigung sind. Dass die BVG überhaupt vor die Frage „Prototypen oder schnelle Serienlieferung“ gestellt wurde, ist selbstverschuldet durch den großen Zeitverzug bei der Vorbereitung der Ausschreibung.

Neben einer zeitgemäßen und zweckmäßigen technischen Ausstattung erwarten die Kunden der BVG von neuen Zügen aber auch guten Komfort. An erster Stelle stehen hier die Anzahl und Ausführung von Sitzplätzen. Niemand erwartet im Berufsverkehr eine Sitzplatzgarantie, aber Zuglängen und Fahrplantakte sollten in der Nebenverkehrszeit (NVZ) eine solche erreichbar machen. U-Bahn-Fahrten sind nicht nur Kurzstreckenverkehre, gerade deshalb sollte auf allen Linien eine ausreichende Polsterung für die Fahrgäste selbstverständlich sein. Alle diese Forderungen konnten die Verbände bei der BVG und dem Senat einbringen und erwarten nun, dass im Sinne der neuen verkehrspolitischen Prioritäten des neuen Senats bei der Bestellung nicht an den falschen Stellen gespart wird. (af)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 1/2017 (März 2017), Seite 12-15

 

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