Seit dem 1. Januar 2017 dürfen Lang-Lkw
in Deutschland nunmehr im unbefristeten
Regelbetrieb auf einem Netz von rund
11 600 km (Positivnetz) fahren. Wie aus einer
entsprechenden Kleinen Anfrage der
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
(Drucksache 18/11296) hervorgeht,
muss die von Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt (CSU) ohne ausreichende
Abstimmung mit den anderen Ressorts
und ohne Einbeziehung der Bundesländer
erlassene Ausnahmeverordnung jedoch
noch einmal überarbeitet werden.
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Leider kein Einzelfall: Im Gegensatz zu den politischen „Sonntagsreden“ werden immer mehr Güter auf der Straße transportiert, während Gleisanschlüsse verwaisen wie hier im brandenburgischen Ferch-Lienewitz. Foto: Christian Schultz |
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Weil Minister Dobrindt noch 2016 vollendete
Tatsachen schaffen wollte, wurde
offenkundig bei der Ausarbeitung der
Rechtsverordnung zur Regelzulassung
von Lang-Lkw die notwendige Sorgfalt
vernachlässigt. Konkret ist die Mindestanforderung,
dass jeder Lang-Lkw mit allen
eingesetzten Ladeeinheiten im Kombinierten
Verkehr (KV) Schiene/Straße kompatibel
sein muss, bisher nicht gewährleistet.
Die Bundesregierung hat in der Antwort
auf die genannte Kleine Anfrage
eingeräumt, dass „festgestellte Auslegungsspielräume
bei der Anwendung der
Vorschriften behoben werden“ müssen.
Sattelauflieger vom Typ 1, d. h. Fahrzeuge
mit einem auf 14,90 m verlängerten Sattelanhänger
und einer Gesamtlänge von
17,80 m, können nur unter bestimmten
technischen Voraussetzungen auf
Eisenbahn-Taschenwagen (und hierbei leider
auch nicht auf alle Bauarten) verladen
werden. Ein klappbarer hinterer Unterfahrschutz
ist nur eine der notwendigen
Voraussetzungen (s. auch SIGNAL 1/2017).
Es ist unverständlich, dass durch den
Aktionismus im Rahmen der
Lang-Lkw-Zulassung neue, völlig unnötige Probleme
geschaffen wurden. Langjährige Probleme
des Schienengüterverkehrs, wie z. B.
die staatlich induzierten Kostenbelastungen
durch die Novellierung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und hohe
Trassenpreise, wurden dagegen bislang
nicht einmal ansatzweise gelöst!
Klage eingereicht
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Die in Deutschland sehr straßenlastige Verkehrspolitik hat erhebliche negative Auswirkungen auf den Schienengüterverkehr: Im Jahr 2016 ist die Transportleistung auf der Straße um 2,8 Prozent gestiegen, auf der Schiene dagegen um 0,5 Prozent gesunken. Foto: Christian Schultz |
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Ein Verbändebündnis aus Allianz pro
Schiene, BUND und Deutscher Umwelthilfe
(DUH) hat am 4. April 2017 beim Verwaltungsgericht
Berlin Klage gegen die Regelzulassung
von Lang-Lkw eingereicht.
Denn die Regelzulassung für Lang-Lkw
verstößt auch gegen die Richtlinie 96/53/EG,
welche zulässige Höchstabmessungen
für Lkw festlegt. Erlaubt sind in Europa bislang
Sattelanhänger mit einer Länge von
13,60 m bzw. eine Lkw-Gesamtlänge von
16,50 m. Entsprechend dieser Richtlinie
dürfen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union längere Lkw nur „für bestimmte
Tätigkeiten“ zulassen, soweit ausschließlich
der innerstaatliche Einsatz betroffen
ist. Dobrindts Ausnahmeverordnung für
Lang-Lkw beinhaltet demgegenüber nun
allerdings den dauerhaften Betrieb für alle
üblichen Verkehrszwecke bzw. für alle üblichen
Gütertransporte auf den bislang
fast 11 600 km hierfür zugelassenen Straßenabschnitten.
Die Ausnahmeverordnung regelt des
Weiteren eine erneute Befristung des
Testzeitraums für den Lang-Lkw Typ 1 für
weitere sieben Jahre. Dies ist jedoch gemäß
Richtlinie 96/53/EG ebenfalls nicht
zulässig. Eine Kettenbefristung bedeutet
letztlich den Regelbetrieb „durch die Hintertür“.
In diesem Zusammenhang besonders
perfide: Da in dem Lang-Lkw Typ 1 allgemein
der Eins-zu-Eins-Ersatz des bestehenden
Fuhrparkbestandes gesehen
wird, ist damit zu rechnen, dass sich
Speditionen innerhalb der sieben Jahre
die um 1,30 m längeren Sattelzüge auch
beschaffen. Für diese Fahrzeuge gelten
im Übrigen nicht die Restriktionen des
Positivnetzes. Welche Regierung wagt
es dann wohl noch, diese Regelung nach
sieben Jahren wieder zurückzunehmen?
In diesem Fall sollen offensichtlich Fakten
geschaffen werden.
Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt verstößt mit seiner Ausnahmeverordnung
damit einmal mehr vorsätzlich
gegen EU-Recht und setzt einseitig
die Interessen der Automobilindustrie
bzw. der Lkw-Lobby um! Der Deutsche
Bahnkunden-Verband und der Berliner
Fahrgastverband IGEB begrüßen daher
die Klage gegen die Regelzulassung von
Lang-Lkw.
Klimabilanz: Quittung für das Versagen
der Verkehrspolitik
Das Versagen der Verkehrspolitik unter
Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt zeigt sich nicht zuletzt in der
Klimabilanz für 2016. Die Treibhausgas-
Emissionen sind im Verkehrssektor im vergangenen
Jahr am stärksten gestiegen.
Gegenüber 2015 wurden 5,4 Millionen
Tonnen mehr emittiert, eine Steigerung
um 3,4 Prozent.
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Auf den Hauptstrecken des Schienennetzes ist die Elektromobilität bereits heute Realität. Politisch unverantwortlich ist daher die Tatsache, dass daraus resultierende Potenziale zur Energieeinsparung und zur Senkung von Treibhausgas-Emissionen nur unzureichend genutzt werden. Foto: Christian Schultz |
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Wesentliche Ursache für diese Entwicklung
ist der deutliche Anstieg der Transportleistung
im Straßengüterverkehr um
2,8 Prozent. Dies bedeutet eine Steigerung
um 12,8 Milliarden (!) auf 471,8 Milliarden
Tonnenkilometer. Der Zuwachs
im Straßengüterverkehr entspricht dabei
rund 11 Prozent der gesamten Transportleistung
im Schienengüterverkehr, bezogen
auf das Jahr 2016. Im Gegensatz dazu
sank die Transportleistung des Schienengüterverkehrs
um 0,5 Prozent!
Grund für diese Fehlentwicklung sind
nicht zuletzt die viel zu niedrigen Mautsätze
für Lkw, der günstige Preis für Dieselkraftstoff
bzw. die Subventionen in
Form des Dieselsteuerprivilegs und nicht
zuletzt die Umgehung des Mindestlohngesetzes
durch den Einsatz von Fahrpersonal
osteuropäischer Subunternehmen.
Verkehrspolitisch sind speziell die steuerlichen
Vorteile für Dieselkraftstoff ein völlig
falsches Signal und gehören schrittweise
abgestellt!
Fazit: Verkehrspolitisch, umweltpolitisch
und im Hinblick auf den erforderlichen
Klimaschutz ist die Bilanz der bundesdeutschen
Verkehrspolitik für die zu
Ende gehende Legislaturperiode ein einziges
Desaster.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr
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