Trotz einiger Kontroversen hatte der Bundesrat
das Gesetz zur Einführung der Pkw-Maut
am 31. März 2017 überraschend gebilligt.
Die Empfehlung der Fachausschüsse zur Einberufung
des Vermittlungsausschusses von
Bundestag und Bundesrat entsprechend Artikel
77 Absatz 2 des Grundgesetzes erhielt
keine Mehrheit.
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Gera Hbf – bisher ohne Fahrdraht. Ein fragwürdiger Deal Thüringens (Duldung der Pkw- Maut) beschert dem Land immerhin die überfällige Elektrifizierung einer wichtigen Bahnstrecke. Sie verbindet die Landeshauptstadt Erfurt mit der zweitgrößten Stadt Jena und der drittgrößten Gera mit knapp 100 000 Einwohnern. Foto: Florian Müller |
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Wesentlich dazu beigetragen hat die
Stimmenthaltung von Thüringen. Zwar
hätte die Anrufung des Vermittlungsausschusses
das Gesetz am Ende wohl nicht
verhindert oder nur Detailänderungen bei
der Maut für grenznahe Regionen bewirkt,
dennoch war es ein unerwarteter Erfolg
für Verkehrsminister Alexander Dobrindt
und sein CSU-Prestigeprojekt einer „Ausländermaut“.
Dieser Begriff wurde von den
Kritikern eingeführt, weil die in Deutschland
zugelassenen Kraftfahrzeuge durch diese
Maut aufgrund gleichzeitiger Entlastungen
nicht zusätzlich belastet werden sollen.
Stoppen können die Pkw-Maut jetzt nur
noch Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH). Österreich bereitet eine
entsprechende Klage bereits vor.
Doch ohne einem Urteil vorgreifen zu
wollen, sind Dobrindts Pkw-Maut-Pläne
überflüssiger nationaler Aktionismus und
europarechtlich höchst fragwürdig. Hinzu
kommt, dass die EU-Kommission angekündigt
hat, auf europäischer Ebene eine
fahrleistungsabhängige Pkw-Maut bis 2019
einführen zu wollen. Das wäre der sehr viel
bessere Weg, denn eine erhöhte Beteiligung
der Autofahrer an den Kosten der Verkehrsinfrastruktur
ist ja grundsätzlich richtig.
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Die West-Ost-Strecke Weimar—Jena—Gera—Gößnitz soll elektrifiziert werden. Karte: DB AG 2013 |
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Kurios ist, dass nun die Bahnkunden – zumindest
ein Teil von ihnen – von der unsinnigen
bzw. diskriminierenden Pkw-Maut Dobrindts
profitieren. Denn Thüringens Ministerpräsident
Bodo Ramelow (Linke) hat als
Gegenleistung zu seiner Stimmenthaltung
im Bundesrat erwirkt, dass der 103 km lange
Abschnitt Weimar—Gößnitz der Mitte-Deutschland-Verbindung elektrifiziert wird
und damit dieses seit langem geplante Projekt
endlich umgesetzt wird.
Elektrifizierung Weimar—Gößnitz jetzt
als „Vordringlicher Bedarf“ eingestuft
Für insgesamt 46 der in der Anlage des Bundesschienenwegeausbaugesetztes
gelisteten
Projekte wurde bislang keine Bewertung
durchgeführt. Diese Projekte gehören zur
Kategorie „Potenzieller Bedarf“ und befinden
sich damit in der Warteschleife. Einen
verbindlichen Termin für die Bewertung gibt
es nicht, obwohl im „Potenziellen Bedarf“
keineswegs zweitrangige Projekte, sondern
wichtige Maßnahmen zur Engpassbeseitigung
bzw. Kapazitätserhöhung aufgeführt
sind, die die Wettbewerbsfähigkeit des Systems
Schiene spürbar verbessern würden.
Auch das Projekt der Ausbaustrecke
Weimar—Gera—Gößnitz war hier eingestuft.
Der Maut-Deal zwischen Ministerpräsident
Bodo Ramelow und Verkehrsminister Alexander
Dobrindt hat nun zur Folge, dass der
Ausbau bzw. die Elektrifizierung dieser Strecke
seit dem 2. Juni 2017 in den „Vordringlichen
Bedarf” eingestuft ist!
Die Finanzierung des Projekts ist damit
gesichert und die Planungen können jetzt
ohne weiteren Zeitverzug aufgenommen
werden.
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Unverständlich: Während der polnische Abschnitt Węgliniec—Zgorzelec bis voraussichtlich Ende 2020 elektrifiziert sein wird, verharren die für den Lückenschluss auf deutscher Seite notwendigen Elektrifizierungsprojekte Dresden—Görlitz und Cottbus—Görlitz lediglich im „Potenziellen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans bzw. des Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Foto: Christian Schultz (Bahnhof Görlitz) |
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Auch Thüringen hat für dieses Projekt
insgesamt 30 Millionen Euro in den Landeshaushalt
eingestellt. Somit kann das
Bahnangebot in dieser Relation deutlich
verbessert werden. Außerdem wird ein Beitrag zur
Elektromobilität geleistet bzw. die
Umweltbilanz des Verkehrsträgers Schiene
wird weiter verbessert – ein anrüchiger und
doch sehr cleverer politischer Deal.
Verpasste Chance für Strecken
nach Görlitz?
Hatten nicht auch Brandenburg und Sachsen
diese Chance, Schienenprojekte aus der
Warteschleife zu holen? Dies betrifft insbesondere
die Ausbaustrecke (ABS) Cottbus—Görlitz
(Projekt-Nr. 2-028-V01 im Bundesverkehrswegeplan)
und die Ausbaustrecke
(ABS) Dresden—Görlitz—Grenze Deutschland/Polen (Projekt-Nr. 2-029-V01).
Beide Vorhaben sind ebenfalls lediglich als
„Potenzieller Bedarf“ eingestuft und die Projektbewertung
ist noch nicht abgeschlossen.
Angesichts der langjährigen erheblichen Attraktivitätsprobleme
des Schienenverkehrs
u. a. in der Relation Berlin—Wrocław (Breslau)
ist dies nicht nachvollziehbar.
Der Ausbau bzw. die Realisierung würde
u. a. die Führung durchgehend elektrisch
betriebener Züge in der Relation Berlin—Cottbus—Horka—Węgliniec
(Kohlfurt)—Wrocław ermöglichen – und das
mit deutlich kürzeren Fahrzeiten von rund
3:20 Stunden zwischen Berlin und Wrocław.
Im Auftrag der Industrie- und Handelskammer
Cottbus wurde für die Ausbaustrecke
Cottbus—Görlitz im August 2016 zudem
eine Potenzialanalyse erstellt, die die positiven
Impulse für den Schienenverkehr
nachweist.
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Horka Güterbahnhof (Bauzustand Juni 2017). Die durchgehend ausgebaute bzw. elektrifizierte Strecke Berlin—Cottbus—Horka—Węgliniec—Wrocław würde in dieser Relation attraktive Reisezeiten ermöglichen. Im Gegensatz zur Strecke Cottbus—Görlitz schreitet der Ausbau des Abschnitts Knappenrode—Horka—Grenze D/PL inzwischen zügig voran und soll voraussichtlich im Dezember 2018 abgeschlossen sein. Foto: Christian Schultz |
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Nicht zuletzt besteht für die Realisierung
beider Projekte hoher Handlungsdruck:
Nach derzeitigem Planungsstand soll bis Dezember
2020 die Elektrifizierung des 27 km
langen polnischen Abschnitts Węgliniec—Zgorzelec
abgeschlossen sein, aber der Lückenschluss
im elektrifizierten Schienennetz
auf deutscher Seite ist bis zu diesem Zeitpunkt
schon gar nicht mehr zu schaffen!
Doch gerade weil beide Elektrifizierungsvorhaben
so wichtig sind, dürfen sie nicht
zum Spielball irgendwann möglicher und
irgendwie anrüchiger Deals werden. Deshalb
sollte Brandenburg und Sachsen nicht
fehlende Cleverness bei fragwürdigen Deals
vorgeworfen werden, sondern höchstens
unzureichendes Engagement für die Bahnstrecken
nach Polen. Doch wer das Desinteresse
des Bundesverkehrsministers am
Bahnverkehr Deutschland—Polen kennt,
der weiß auch, wie schwer es die ostdeutschen
Bundesländer haben.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und
IGEB Fernverkehr
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