Alle Parteien, die seit 1990 den
Berliner Senat stellten, haben
sich mit dem Projekt eines zweiten
Nordsüd-Tunnels für die Berliner
S-Bahn, der sogenannten
S 21, befasst. In der Koalitionsvereinbarung
für die Jahre 2016 bis
2021 schrieben SPD, Linke und
Grüne: „Von der Deutschen Bahn
AG fordert die Koalition, die S 21
zügig fertigzustellen, insbesondere
den Baubeginn für den
zweiten Bauabschnitt zeitnah
anzugehen und die Planungen
für den dritten Bauabschnitt
rasch voranzubringen. Sie setzt
sich auch für den Bau eines zusätzlichen
Bahnhofs Perleberger
Brücke ein.“ (siehe SIGNAL 6/2016).
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Die Brücke der S 21 wächst zusehens vom Hauptbahnhof nach Wedding, hier am Friedrich-Krause-Ufer Foto: Floran Müller |
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Um all das zu erleben, werden die rot-rotgrünen
Politiker allerdings noch viel Geduld
brauchen. Innerhalb ihrer derzeitigen Regierungsperiode
werden sie bestenfalls die
Eröffnung des ersten der drei Bauabschnitte
erleben können. Voraussichtlich ab Dezember
2020 sollen die Züge zwischen Gesundbrunnen
und Hauptbahnhof im 10-Minuten-Takt pendeln.
Erster Bauabschnitt mit Provisorium
Damit dieses möglich ist, muss am Hauptbahnhof
allerdings ein provisorischer Bahnsteig
nördlich des künftigen „richtigen“
Bahnsteigs gebaut werden. Bekanntlich
sind die Vorleistungen am Hauptbahnhof
unzureichend bzw. ungeeignet, um dort
den Tunnelbahnhof für die S 21 bauen zu
können. Wie diese Station dennoch gebaut
werden kann, ohne den Verkehr oben auf
der Stadtbahn monatelang einzustellen, war
bis zuletzt unklar. Inzwischen zeichnet sich
zwar nach Angaben der Deutschen Bahn
eine Lösung ab, die aber wohl sehr zeitaufwändig
und teuer ist.
Selbst die Zwischenlösung hatte sich
mehrfach verzögert, u. a. weil die Bahn ihren
Ankündigungen, die Mehrkosten der
Zwischenlösung zu übernehmen, keine entsprechenden
Taten folgen ließ. Zudem gab
es in der Baugrube einen Wassereinbruch,
der eine Unterbrechung der Bauarbeiten
erzwang.
Wegen der geringen Bahnsteiglänge
kann das Provisorium nur von Halbzügen
(vier Wagen) angefahren werden. Deshalb
ist eine Integration in das Liniennetz nicht
möglich, so dass bis zur Fertigstellung des
„richtigen“ Bahnsteigs 2025 (oder später)
nur die Variante mit den Pendelzügen mit
entsprechend geringem Verkehrswert übrig
blieb.
Immerhin gibt es für die Zeit nach der
Fertigstellung des „richtigen“ Bahnhofs
schon ein Linienkonzept. Gemäß Entwurf
zum neuen Nahverkehrsplan soll die neue
S-Bahn-Station unter dem Hauptbahnhof
von der S 46, verlängert von Westend, von
einer neuen S 15 aus Frohnau und der über
den Ostring und Gesundbrunnen kommenden
S 85 angefahren werden – jeweils im
20-Minuten-Takt.
S-Bahnhof Perleberger Brücke –
die unendliche Geschichte
Mindestens bis 2025 wird es auch dauern, bis
die S-Bahn-Züge zwischen Gesundbrunnen
und Hauptbahnhof nicht nur an der Station
Wedding halten, sondern auch an der Perleberger
Brücke, einem unstrittig wichtigen
zusätzlichen S-Bahnhof.
Dennoch wird der Bau dieses Bahnhofs
seit nun über 20 Jahren vom Land Berlin
blockiert. Wie in SIGNAL 3/2016 berichtet,
wurde zunächst immer suggeriert, der
Bahnhof würde den Nutzen-Kosten-Faktor
für die S 21 nach unten ziehen. Aber weder
1998 noch 2010 wurden Kostenschätzungen
erarbeitet und Varianten mit einem Bau des
S-Bahnhofs gerechnet. Erst bei der seit 2015
laufenden dritten Nutzen-Kosten-Untersuchung
sollte er berücksichtigt werden – tatsächlich
wurde mit diesem Unterpunkt aber
noch nicht einmal begonnen.
Doch selbst dann, wenn diese Untersuchung
ergibt, dass der S-Bahnhof aufgrund
seiner besonders komplizierten und damit
teuren Konstruktion den Faktor für die S 21
unter 1,0 drückt, könnte er gebaut werden,
wenn das Land Berlin Landesmittel einsetzt,
so dass er nicht in die Nutzen-Kosten-Untersuchung
für das vom Bund geförderte
S 21-Projekt einfließen müsste.
Der Senatsanspruch, die „Europacity“ als
„Nachhaltiges Quartier am Hauptbahnhof“
zu entwickeln, ist nur mit dem Bau eines
S-Bahnhofs Perleberger Brücke einzulösen.
Zweiter Bauabschnitt nicht absehbar
Die Planungen für den Abschnitt vom
Hauptbahnhof bis zum Potsdamer Platz
stecken immer noch in der Phase bis zum
Vorentwurf, obwohl erst mit diesem Teilstück
die S 21 entscheidenden Verkehrswert
erlangt. Klar ist nur, dass es auf diesem Abschnitt
keinen Halt geben wird. Der einst
am Reichstag geplante Bahnhof ist aus vom
Bundestag vermuteten Sicherheitsgründen
längst aufgegeben worden.
Doch auch die Planung, die beiden Tunnelröhren
mittels Schildvortrieb (für die vom
Hauptbahnhof kommenden Züge westlich
des Reichstages und die vom Potsdamer
Platz kommenden Züge östlich des Reichstages)
zu bauen, stößt noch beim Bundestag
auf Widerstand – erneut wegen „Sicherheitsbedenken“.
Optimisten erwarten eine Eröffnung dieses
Tunnelabschnitts nach 2030, Pessimisten
nach 2035.
Dritter Bauabschnitt
könnte zweiter werden
Der dritte Abschnitt zwischen dem Potsdamer
Platz und der Yorckstraße hat gute
Chancen, noch vor dem zweiten realisiert zu
werden. Anlass für die Beschleunigung sind
die ehrgeizigen Bauprojekte im Gleisdreieck-Umfeld.
Damit diese privaten Großvorhaben,
vor allem Wohnungs-, Büro und Hotelbau,
nicht eine künftige S-Bahn-Trasse blockieren,
muss durch Vorziehen der S-Bahn-Planung Klarheit geschaffen werden. Auch
wäre es im wechselseitigen Interesse, wenn
dann nach der Planung auch gleich mit dem
Bau der S-Bahn begonnen würde.
Selbst ohne die erst langfristig zu erwartende
Durchbindung zum Hauptbahnhof würde
eine Führung einzelner S-Bahn-Linien statt
über Anhalter Bahnhof über Gleisdreieck vielen
Fahrgästen nutzen – vor allem wegen der
Umsteigemöglichkeiten zu U 1, U 2 und U 3.
Optimisten schätzen, dass für diesen dritten
S 21-Abschnitt das Planfeststellungsverfahren
bis 2023 abgeschlossen werden kann
und noch vor 2030 die ersten Züge fahren
werden. Aber auch hier ist wohl eher „Berliner
Realismus“ erforderlich.
Aktuell stocken sogar die Planungen für
den zweiten und den dritten Bauabschnitt.
Dies ist umso bedauerlicher, als weitere
Verzögerungen außerordentlich kostentreibend
sind. So nähert sich die Summe der
Kosten für die bereits erbrachten Planungen
und Bauarbeiten zuzüglich der geschätzten
bzw. berechneten Kosten für die noch ausstehenden
Leistungen allmählich der Milliarden-Grenze.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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