Ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl gelang CDU, CSU und SPD die Bildung einer
neuen Regierungskoalition. Ihr Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 enthält zum
Schienenverkehr zwar viele Ziele, die bereits seit langem von Fahrgast- und Umweltverbänden
gefordert werden, doch die meisten sind derart unpräzise und ambitionslos
formuliert worden, dass auch in den nächsten vier Jahren in Deutschland keine
Verkehrswende zu erwarten ist. Die Wettbewerbsverzerrungen werden bleiben und
nennenswerte Verlagerungen des Verkehrs von der Straße auf die Schiene wird es
nicht geben. Somit wird der Verkehrsbereich auch keinen Beitrag zur Erreichung der
Klimaschutzziele leisten. Nicht infrage gestellt wird von der Koalition der integrierte
Konzern Deutsche Bahn AG.
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Bahnhof Hähnichen. Bestandteil des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD ist ein Förderprogramm zur Streckenelektrifizierung. Auch die Elektrifizierung der Strecken Cottbus—Görlitz bzw. Dresden—Görlitz—Grenze Deutschland/Polen muss in diesem Zusammenhang endlich deutlich forciert werden. Foto: Christian Schultz |
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Mit dem Koalitionsvertrag erfolgte ein Bekenntnis,
die Steigerung der Verkehrsinvestitionen
auf Rekordniveau fortzuführen. Für
die Planungs- und Finanzierungssicherheit
wird die Überjährigkeit der zur Verfügung
gestellten Haushaltsmittel dauerhaft sichergestellt.
Hierbei zeigt sich aber auch
ein erstes Problem des Koalitionsvertrages:
Es erfolgt leider keinerlei Differenzierung
nach Verkehrsträgern. Um die Klimaschutzziele
tatsächlich endlich umzusetzen, muss
die Bereitstellung von Investitionsmitteln
jedoch vorzugsweise für Maßnahmen der
Verkehrswende und damit für den zügigen
Ausbau des umweltschonenden Schienenverkehrs
erfolgen!
Erfreulich ist immerhin die klare Terminierung
der Bewertung der im Bundesverkehrswegeplan
2030 gelisteten Schienenprojekte
des sogenannten potenziellen Bedarfs: Diese
längst überfällige Maßnahme soll endlich
bis zum dritten Quartal 2018 abgeschlossen
werden.
Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz
Als Reaktion auf die teilweise inakzeptabel
langen Planungs- bzw. Genehmigungszeiten
von Infrastrukturmaßnahmen soll ein
Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz
verabschiedet werden. Die Änderungen bei
den rechtlichen Vorgaben sollen sich dabei
u. a. an den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit
orientieren.
Für ausgewählte Projekte von übergeordnetem
Interesse sollen nicht nur die Planungs-
und Genehmigungszeiten verkürzt,
sondern auch die Verwaltungsgerichtsverfahren
auf eine Instanz beschränkt werden.
An insgesamt fünf Projekten soll ein Baurecht
durch Maßnahmengesetze erprobt
werden.
Die Erfahrung mit Änderungen beim Planungs- und
Baurecht zeigt allerdings, dass
diese zumindest am Anfang eher zu Verzögerungen
führen, weil sich alle Beteiligten
umstellen bzw. einarbeiten müssen.
Förderprogramm zur
Streckenelektrifizierung
Für den Schienenverkehr soll ein umfassendes
Förderprogramm zur Elektrifizierung
von Strecken aufgelegt werden. Bis zum Jahr
2025 sollen 70 Prozent des Bundesschienennetzes
in Deutschland elektrifiziert sein.
Derzeit sind es rund 60 Prozent.
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Bahnhof Quedlinburg. Der Koalitionsvertrag sieht erfreulicherweise ein „1000-Bahnhöfe“-Förderprogramm vor. Wie dringlich das ist, verdeutlicht das abschreckende Erscheinungsbild vieler Bahnhöfe. Selbst der Bahnhof in der Welterbestadt Quedlinburg zählt dazu, wie sowohl Teile des Empfangsgebäudes … Foto: Christian Schultz |
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Um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen,
ist letztlich oben benanntes Planungs- und
Baubeschleunigungsgesetz von erheblicher
Bedeutung (siehe hierzu auch SIGNAL 5/17).
Aussicht auf Erfolg gibt es aber nur dann,
wenn eine Elektrifizierung nicht länger als
wesentliche Änderung einer Strecke behandelt
wird, so dass planungsrechtlich der Bestandsschutz
verloren geht und erhebliche
zusätzliche Investitionskosten notwendig
sind, die nichts mit der Elektrifizierung zu
tun haben.
Für Brennstoffzellen-Hybrid-Triebwagen
sind Investitionszuschüsse geplant. Bestandteil
der Förderung ist auch der Bau und
Betrieb von Wasserstofftankstellen.
Verdoppelung der Bahnkunden
Gemäß Koalitionsvertrag soll die Zahl der
Bahnkunden im Personenverkehr bis 2030
verdoppelt werden – ein äußerst ehrgeiziges
Ziel. Entsprechend den vorläufigen Ergebnissen
des Statistischen Bundesamtes
beförderte der Verkehrsträger Eisenbahn
2017 rund 2,7 Milliarden Fahrgäste im Regional-
und S-Bahn-Verkehr, darüber hinaus
142 Millionen Fahrgäste im Fernverkehr.
Güter auf die Schiene
Weiterhin soll „mehr“ Güterverkehr auf die
umweltfreundliche Schiene verlagert werden.
Dieses Ziel, dass letztlich nicht neu ist,
aber bislang regelmäßig auch nicht umgesetzt
wurde, ist leider nur sehr unpräzise formuliert.
Es fehlt ein klares, verbindliches und
nachprüfbares Ziel, wie sich der Modal-Split
im Güterverkehr stufenweise bis 2020 bzw.
2030 ändern soll.
Die Ernsthaftigkeit dieses Ziels muss deshalb
bezweifelt werden. So wurde beispielsweise
in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
(Fortschrittsbericht 2012) als Zielwert
seinerzeit noch ein Anteil des Schienenverkehrs
an der Güterbeförderungsleistung
von 25 Prozent für das Jahr 2015 (!) genannt.
Tatsächlich liegt der Anteil derzeit bei knapp
18 Prozent.
Keine Maßnahmen für Zielerreichung –
im Gegenteil
Die Koalition ist offensichtlich nicht interessiert,
das Ziel „Mehr Güter auf die Schiene“
auch zu erreichen.
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…und, schlimmer noch, der Personentunnel zeigen. Foto: Christian Schultz |
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Die Aussage im Koalitionsvertrag „Wir
wollen den Kombinierten Verkehr weiter
stärken“ ist zu wenig. Notwendig wäre vielmehr
die Formulierung konkreter Ziele, wie
diese „Stärkung“ realisiert werden soll. Hierzu
zählen beispielsweise konkrete Angaben
zum (deutlichen) Kapazitätsausbau bzw. zu
den Zielmengen für die Verlagerung von
Lkw-Transporten, u. a. auch im Transitverkehr.
Nicht zuletzt ist auch für eine möglichst
zeitnahe Erweiterung von Umschlaganlagen
das bereits benannte Planungs- und
Baubeschleunigungsgesetz notwendig.
Stattdessen will die Koalition den
Lkw-Verkehr durch den Ausbau des Parkplatzangebotes
auf den Rastanlagen der Bundesautobahnen
sogar noch weiter fördern! Hinzu
kommen die geplanten Ausbaumaßnahmen
des Fernstraßennetzes. Mit derartig
attraktivitätssteigernden Maßnahmen wird
eine Verlagerung von Güterverkehr auf die
Schiene nicht zu erreichen sein!
Auch die Dieselsubventionen werden
nicht angerührt. Eine wirksame Klimapolitik
müsste dagegen angesichts der negativen
Auswirkungen auf die Umwelt endlich die
schrittweise Abschaffung des ermäßigten
Dieselsteuersatzes beinhalten und mindestens
das Niveau des Benzinsteuersatzes
vorsehen. Allein im Jahr 2014 summierte
sich die Energiesteuervergünstigung in
Deutschland von Dieselkraftstoff auf 7,757
Milliarden Euro!
Wettbewerbsverzerrungen bleiben
erhalten
Der Koalitionsvertrag enthält kaum wirksame
Maßnahmen zur verkehrsträgerübergreifenden
Gleichbehandlung bei der Nutzung
der Bundesverkehrswege.
Bezüglich der Bemautung des Lkw-Verkehrs
sieht der Koalitionsvertrag lediglich
die Ausdehnung für alle Fahrzeuge ab 7,5
Tonnen nun auch auf Bundesstraßen vor.
Auf Grundlage eines neuen Wegekostengutachtens
soll eine durchschnittliche Mauthöhe
für Lkw auf allen Bundesfernstraßen
festgelegt werden.
Unverständlich: Ausgenommen von der
Maut ist weiterhin der Fernbusverkehr. Die
daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen
zu Lasten speziell des Schienenpersonenfernverkehrs
sollen also bestehen
bleiben.
Zur Kostenentlastung und Erhöhung der
Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs
soll „die Senkung der Trassenpreise
konsequent weiterverfolgt“ werden. Auch
dieses Ziel bleibt auf dem Niveau einer
Sprechblase.
Ein konkretes Ziel muss demgegenüber
sein, die hohen Trassenpreise im Schienenverkehr
endlich auf die europarechtlich zulässige
Höhe der Grenzkostenbepreisung
abzusenken und auf diese Weise eine Abkehr
von der bestehenden Vollkostenbepreisung
zu erreichen.
Der Handlungsbedarf ist mittlerweile erheblich:
Für das Jahr 2019 sind bereits die
höchsten Trassenpreissteigerungen schwerpunktmäßig
im Schienenpersonenfernverkehr
seit Einführung im Zuge der Bahnreform
vorgesehen!
Schienengüterverkehr: nichts Konkretes
zum Einzelwagenverkehr
Auch zum Einzelwagenverkehr finden sich
im Koalitionsvertrag keinerlei konkrete Maßnahmen.
Aussagen wie „Wir werden prüfen,
wie Einzelwagenverkehre wirtschaftlich betrieben
werden“ sind nicht konkret und dienen
letztlich nur dem Ziel, Zeit zu gewinnen
und Probleme „auszusitzen“.
Die Maßnahmen des Masterplans Schienengüterverkehr
sollen dauerhaft umgesetzt
werden. Im Gegensatz zu anderen unverbindlichen Zielen wurde die Realisierung
der priorisierten Maßnahmen des
740-Meter-Netzes für Güterzüge bis zum Jahr 2020
konkret benannt.
Klimaschutzziele nicht erreichbar
Im Hinblick auf die Klimaschutzziele 2020,
2030 und 2050 sind die im Koalitionsvertrag
formulierten Maßnahmen zum Güterverkehr
vollkommen unzureichend. Im Widerspruch
dazu verpflichten sich die Koalitionäre
jedoch, die ohnehin bereits entstandene
Handlungslücke bezüglich der Erreichung
des Klimaschutzziels 2020 durch entsprechende
Maßnahmenpakete so schnell wie
möglich zu schließen! Das Minderungsziel
2030 soll nun auf jeden Fall erreicht werden.
Solange aber die Verlagerungsmöglichkeiten
im Rahmen des Kombinierten Verkehrs,
aber auch des Einzelwagenverkehrs, nicht
ansatzweise genutzt werden, und der Infrastrukturausbau
(z. B. Ausbau der Knoten,
Ergänzung, ggf. auch Wiederaufbau zweiter
Gleise) nicht endlich vorangetrieben wird,
solange wird der Verkehrsbereich die Erreichung
der Klimaschutzziele nicht nur nicht
befördern, sondern er wird sie verhindern.
„Tausend-Bahnhöfe“-Förderprogramm
Zur Attraktivitätssteigerung gerade kleinerer
Bahnhöfe soll, unter Einbeziehung der
Bahnanlagen und des Bahnhofsumfelds,
ein „Tausend-Bahnhöfe“-Förderprogramm
aufgelegt werden. Angesichts der teilweise
erheblichen qualitativen Mängel speziell
kleiner Zugangsstellen ist dieses Vorhaben
zu begrüßen bzw. überfällig.
Erfreulich ist des Weiteren die Erhöhung
der Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
(GVFG) bis 2021 auf jährlich
eine Milliarde Euro. Hierbei handelt es sich
allerdings nur um das Bundesprogramm.
Ein Fortsetzung der gemäß Entflechtungsgesetz
an die Länder ausgereichten Mittel
über 2019 hinaus scheint nicht vorgesehen
zu sein.
Eine weitere Verlagerung von Pendlerverkehren
auf die Schiene soll auch durch
den Ausbau des Park+Ride-Systems erreicht
werden.
Kein Schienenpersonenfernverkehrsgesetz
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Hamburg Hauptbahnhof. Gemäß Koalitionsvertrag soll die Zahl der Bahnkunden bis 2030 verdoppelt werden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist allerdings auch die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Bahnknoten. Foto: Christian Schultz |
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Der Gewährleistungsauftrag des Bundes für
ein Grundangebot im Schienenpersonenfernverkehr
(SPFV) ist in Artikel 87 e Absatz
4 Grundgesetz (GG) geregelt. Das in diesem
Artikel benannte Bundesgesetz, das die Daseinsvorsorge
regelt, gibt es allerdings bis
heute nicht. Die wiederholt vorgetragene
Darstellung des Bundes, er nehme diese
grundgesetzliche Verantwortung bereits
durch die Bereitstellung von Investitionsmitteln
für die Bundesschienenwege in ausreichendem
Maße wahr, entspricht dabei
keineswegs dem Anliegen der benannten
gesetzlichen Regelung.
An diesem Missstand wollen CDU, CSU
und SPD offensichtlich auch künftig nichts
ändern, denn der Koalitionsvertrag enthält
hierzu keine Aussage, obwohl das Schienenpersonenfernverkehrsgesetz
überfällig ist!
Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde
bereits Anfang 2017 seitens des Bundesrats
beim Bundestag eingebracht (siehe SIGNAL 2/17),
jedoch in der abgelaufenen Legislaturperiode
nicht mehr behandelt. Der Bundesrat
hat in seiner Sitzung am 23. März
2018 allerdings beschlossen, den Entwurf
des Schienenpersonenfernverkehrsgesetzes
beim Deutschen Bundestag nun erneut
einzubringen.
Koalition will „Deutschlandtakt“
Die Umsetzung des „Deutschlandtaktes“,
also eines bundesweiten integralen Taktfahrplanes,
soll gemäß Koalitionsvertrag
„vorangetrieben“ werden. Die dafür notwendigen
Aus- und Neubaumaßnahmen sollen
bevorzugt umgesetzt werden. Konkreter
wird die Koalition leider nicht.
Ziel ist es auch, das Fernverkehrsangebot
auszuweiten und auf diese Weise mehr Direktverbindungen
zu schaffen.
Fazit
Mit den im Koalitionsvertrag gelisteten
Maßnahmen dürfte ein deutliches Umsteuern
in der Verkehrspolitik bzw. eine
Verkehrswende wohl kaum zu erreichen
sein. Vielmehr wird einmal mehr nach dem
Motto „Weiter so wie bisher“ geplant, verbunden
mit einigen wenigen Korrekturen.
Die Aufstockung der Mittel für die Förderung
von Maßnahmen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
ist dabei
einer der wenigen positiven Akzente des
Koalitionsvertrages.
Aber die großen Ziele „Abbau der den
Schienenverkehr benachteiligenden Wettbewerbsverzerrungen“
und „Verlagerung
von Personen- und Güterverkehr auf die
Schiene“ werden mit diesem Koalitionsvertrag
auch in den nächsten vier Jahren nicht
erreicht werden. Und somit sind auch die
deutschen Klimaschutzziele nur Makulatur.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und
IGEB Fernverkehr
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