Planfeststellung

Straßenbahn Adlershof II

Vier wichtige Straßenbahnabschnitte will der rot-rot-grüne Berliner Senat bis zur nächsten Wahl 2021 realisieren. Für die Verlängerung zum U-Bahnhof Turmstraße und die Verlegung zum Bahnhof Ostkreuz haben wir die Planungen in SIGNAL 1/2018 vorgestellt. Nun folgt die Verlängerung zum Bahnhof Schöneweide. Das vierte Projekt, die Anbindung an den Bahnhof Mahlsdorf, ist durch anhaltende Streitigkeiten und fehlende Entscheidungen des Senats nicht mehr bis 2021 zu schaffen.

Vom 11. Juni bis 10. Juli 2018 erfolgte endlich die Öffentliche Auslegung der Planfeststellungsunterlagen für den Straßenbahnneubau von der Wissenschaftsstadt Adlershof zum Regional- und S-Bahnhof Schöneweide, genannt „Adlershof II“.

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Grafik: renderwerke

Es ist merkwürdig, dass ausgerechnet diese Planung so viel später als angekündigt ausgelegt wurde, denn schon vor zwei Jahren lagen nahezu identische Pläne von Senat und BVG vor. Dazu kommt, dass von den drei bisher gestarteten Vorhaben diese Strecke die einfachste ist. Ein langer Abschnitt der Trasse wurde schon vor vielen Jahren im Mittelstreifen des Groß-Berliner-Damms freigehalten, so dass hier zum Beispiel kaum Straßenbauarbeiten oder die Verlegung unterirdischer Leitungen erforderlich werden.

Eigentlich hätte diese Strecke also schon in diesem Jahr in Betrieb gehen können. Das wäre auch deshalb gut gewesen, damit die jetzt neu nach Adlershof ziehenden Bewohner einerseits von Beginn an die Straßenbahn hätten nutzen können und andererseits nicht zu Bedenkenträgern in der Planfeststellung hätten werden können.

Überall Verfahrenshürden

Am Projekt „Adlershof II“ lassen sich anschaulich die Hürden zeigen, die solche Vorhaben heutzutage generell bewältigen müssen. Zunächst muss in den dafür zuständigen Behörden ausreichend Personal vorhanden sein. Doch jahrelang gab es für das größte deutsche Straßenbahn-Netz bei der Senatsverkehrsverwaltung nur einen einzigen Planer – und auch jetzt sind noch nicht alle neuen Stellen besetzt.

Außerdem muss die genehmigungsfähige Detailplanung auch umsetzbar sein, u. a. müssen alle Maßnahmen im Umfeld abgeschlossen sein. Am Bahnhof Berlin-Schöneweide ist das leider nicht der Fall. Zusammen mit der neuen Strecke durch die Wissenschaftsstadt Adlershof sollten auch die Bestandsanlagen in Schöneweide umgebaut werden.

Eine neue Wendeanlage für Bus und Tram soll sowohl den Betriebsablauf als auch die Umsteigesituation verbessern. Zwar lagen für die Neugestaltung des Verkehrsknotens die Pläne ebenfalls rechtzeitig vor, aber diese gingen von einem pünktlichen Abschluss der zuvor nötigen Umbauten im Eisenbahnteil der Station aus und sind außerdem umstritten (siehe SIGNAL 6/2008 und 6/2017).

Der nun schon um Jahre verzögerte Umbau des Bahnhofs Schöneweide durch die Deutsche Bahn sorgte aber dafür, dass die Planungen für die Straßenbahn schon weit vor einem möglichen Baubeginn veraltet waren, weil sich zahlreiche Vorschriften inzwischen geändert hatten. Der Beginn eines teuren Planfeststellungsverfahrens mit nicht genehmigungsfähigen Plänen ist natürlich ausgeschlossen.

In der Folge standen Senat und BVG vor der Alternative, entweder wegen fehlender 500 Meter Strecke den gesamten Neubau um weitere Jahre zu verschieben oder das schon fertige Verfahren in zwei separate Teile zu trennen, so dass nur die eigentliche Neubaustrecke ihre endgültige Gestalt erhält, aber der Anschluss an das Bestandsnetz in Schöneweide in einem Provisorium erfolgt, das dem späteren Umbau des Bahnhofs nicht vorgreift.

Diese (unvermeidliche) Notlösung verschlechtert die betrieblichen Möglichkeiten für die Straßenbahn: Da in der alten Anlage in Schöneweide die Bahnen aus Adlershof nicht wenden können, sind Durchbindungen von Linien nötig, was durch die damit einhergehenden langen Umlaufzeiten die Betriebsqualität verschlechtern und eine Reaktion auf Störungen erschweren wird.

Eine weitere Hürde konnte unter dem Vorgängersenat ebenfalls noch nicht abgesehen werden: die Dringlichkeit eines neuen Betriebshofes für den Südosten Berlins. Die bisherigen zaghaften und immer wieder verzögerten Ausbauplanungen für die Straßenbahn ließen die bestehenden Betriebshofkapazitäten der BVG für die nächsten Jahre ausreichend erscheinen. Zudem wären die wenigen Neubaustrecken nicht im dünner besiedelten Südosten, sondern mehr im Zentrum der Stadt zu finden.

Mit der vom neuen Senat ausgerufenen ÖPNV-Erweiterungspolitik werden nun auch im Bestandsnetz mehr Wagen benötigt. Außerdem wurde die Wissenschaftsstadt Adlershof (WISTA) eines der erfolgreichsten Berliner Stadtentwicklungsprojekte und verlangte nach einer adäquaten Anbindung mit dichten Takten.

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Links die neugestaltete Anbindung an das Bestandsnetz auf der Kreuzung Sterndamm/Groß-Berliner Damm. Nördlich anschließend wird an der Kombispur Bus/Tram eine provisorische Haltestelle eingerichtet. Grafik: SGT-Plan GmbH

Da die alten Betriebshöfe im Umfeld dieser Neubaustrecke, Köpenick und Schöneweide, nicht erweiterbar und für Niederflurzüge kaum nutzbar sind, muss nun sehr schnell eine neue Lösung her. Nachdem zunächst ein Standort östlich vom Groß-Berliner Damm favorisiert wurde, entschied man sich nun für eine Fläche südlich der Wendeschleife am S-Bahnhof Adlershof, was Auswirkungen auf den Bauablauf hat. Schließlich soll eben diese Schleife genutzt werden, wenn diejenige am heutigen Streckenende an der Karl-Ziegler-Straße beim Anschluss der Neubaustrecke aufgelassen wird.

Betrachtet man die Verzögerungen bei Adlershof II, einer wichtigen, aber eigentlich kleinen und einfachen Streckenerweiterung, fragt man sich besorgt: Wie soll das erst bei den richtig großen Projekten werden, zum Beispiel dem Neubau vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz und weiter zum Rathaus Steglitz?

Die Strecke im Detail

Da die am 4. September 2011 in Betrieb genommene Strecke zur Wendeschleife Karl-Ziegler-Straße (siehe SIGNAL 4/2011) schon der erste Teil der „WISTA-Straßenbahn“ ist, schließt die neue Trasse genau hinter der letzten Haltestelle an. Dabei soll die heute vorhandene Wendeschleife entfallen und durch eine Wendeanlage für Zweirichtungswagen gleich an der nächsten Haltestelle ersetzt werden – dazu unten mehr.

Das erste Stück der neuen Trasse verlässt das rechtwinklige Straßenraster des Neubaugebietes und führt diagonal durch eine öffentliche Grünanlage, das Oktagon, bevor mit der Haltestelle Landschaftspark Johannisthal wieder neben eine Straße, die Hermann-Dorner-Allee, eingeschwenkt wird. Dementsprechend schließt sich unmittelbar an diese Haltestelle ein 90-Grad-Bogen in den Groß-Berliner-Damm an, auf dem die Strecke dann weitgehend geradlinig bis kurz vor den Bahnhof Schöneweide geplant ist.

Direkt hinter der Kurve wird im nun benutzten Mittelstreifen eine Kehranlage mit zwei hintereinander liegenden Wartepositionen für 40-m-Züge gebaut, die sich zwar die Einfahrweichen teilen müssen, aber separate Gleiswechsel für die Ausfahrt zurück auf das Streckengleis haben. Zusätzlich ist das Wendegleis am Ende wieder an das Streckengleis Richtung Schöneweide angeschlossen, so dass im Störungsfall auch in der Gegenrichtung gewendet werden kann.

Der eigene Bahnkörper auf dem Mittelstreifen wird so weit wie möglich als Rasengleis ausgeführt, lediglich an einer Stelle im Bereich einer Feuerwache wird er überfahrbar gestaltet. An dieser Stelle wird auch eine Ampel (Lichtsignalanlage – LSA) errichtet, die sowohl die Straßenbahn als auch den gesamten Autoverkehr stoppt, wenn aus der Wache zum Einsatz ausgerückt wird.

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Oben beispielhaft ein neu gestalteter Kreuzungsbereich auf dem Groß-Berliner-Damm ohne separate Linksabbiegespuren, was den Straßenbahnvorrang verhindert. Dafür behalten die Autos ihre zwei Fahrspuren pro Richtung trotz prognostiziertem Verkehrsrückgang! Grafik: SGT-Plan GmbH

Im übrigen Streckenverlauf werden zahlreiche Überfahrten für Autos auf dem Mittelstreifen geschlossen, und an den verbleibenden Knotenpunkten soll es eine funktionierende Vorrangschaltung für die Straßenbahn geben. Die geschlossenen Überfahrten sollen allerdings als Fußgängerüberwege erhalten bleiben. Auch die Bäume auf dem Groß-Berliner-Damm bleiben fast alle stehen, wenn die Straßenbahn gebaut wird. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob die neu gepflanzten Bäume zu dicht an der Straße stehen und gefällt oder versetzt werden müssten.

Kfz-Verkehr hat Vorrang vor Tram

Was sich auf den ersten Blick wie eine zeitgemäße Bahnplanung anhört, hat allerdings einige Haken in den Kreuzungsbereichen: Weil der Senat trotz des erklärten Zieles einer Verringerung des parallelen Autoverkehrs durch eben diese Neubaustrecke mit einer Zunahme des Kfz-Verkehrs rechnet, sollen durchgehend zwei Spuren pro Richtung erhalten werden, und zwar zulasten separater Linksabbiegespuren. Das hat zur Folge, dass die Linksabbieger zusammen mit dem bahnparallelen Autoverkehr freigegeben werden und dann auf den Straßenbahngleisen warten müssen, was wiederum als „Argument“ gegen mehr Freigaben für die Tram dient. Das bedeutet, dass die Straßenbahn stets erst nach dem Straßenverkehr fahren kann.

Auf einer neuen Trasse auf den ÖPNV-Vorrang zu verzichten, ist ein Armutszeugnis für den rot-rot-grünen Senat. So jedenfalls ist die angestrebte Verkehrswende nicht zu schaffen.

Da der größte Teil der Strecke heute von einer Buslinie, quasi im Straßenbahn-Vorlaufbetrieb, bedient wird, werden im Streckenverlauf einige Bushaltestellen entbehrlich. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat sich in seiner Stellungnahme zum Planfeststellungsverfahren dafür ausgesprochen, dass die Möglichkeit erhalten bleibt, im Störungsfall schnell einen Ersatzverkehr anbieten zu können. Dort wo dies nötig ist, sollten die Bushaltestellen also nicht vorschnell aufgegeben werden. An den anderen Stellen sollten die Flächen nicht dem Autoverkehr überlassen werden, sondern zu gut zugänglichen Fahrrad-Abstellanlagen umgebaut werden.

Strecke sucht Anschluss

Der S- und Regionalbahnhof Berlin-Schöneweide ist einer der letzten nicht modernisierten in Berlin. Gleiches trifft auch auf die Straßenbahnanlagen in seinem Umfeld zu. Nachdem die letzten realisierten Netzverknüpfungen Straßenbahn/Eisenbahn entweder schlecht geplant (Adlershof, Pankow) oder zu umsteige-feindlich gebaut wurden (Hauptbahnhof, Friedrichstraße), haben Senat, Deutsche Bahn und BVG hier eine neue Chance, eine zukunftsweisende fahrgastfreundliche Verknüpfungsstelle mit kurzen und wettergeschützten Wegen zwischen Tram/Bus einerseits und S-Bahn/Eisenbahn andererseits zu schaffen.

Die bautechnischen Prinzipien zur Erreichung dieses Ziels wurden im SIGNAL schon ausführlich vorgestellt (siehe u. a. SIGNAL 6/2017)

In jedem Fall wird die Straßenbahntrasse nach Johannisthal, in die die von Adlershof kommende Neubaustrecke einmündet, von der Seiten- in die Mittellage der Straße Sterndamm gebracht. In diesem Zusammenhang wird dann auch die heute noch bestehende Haltestelle südlich des Bahnhofs aufgelassen und durch die neue beidseitig angebundene Kombi-Wendeschleife für Bus und Bahn mit integrierter Haltestelle ersetzt.

Weil dieser Umbau aus den oben beschriebenen Gründen jedoch in ein zweites, separates Planfeststellungsverfahren ausgelagert wurde, muss auch in der neuen Trasse in Mittellage ein Ersatz für den bisherigen Haltestellenstandort geschaffen werden. Da die Straßenbahn Richtung Süden wegen anderer bauzeitlicher Einschränkungen schon eine neue Haltestelle unter den Bahnbrücken mit direktem Zugang zu den Bahnsteigen erhält, wird das Provisorium im Sterndamm nur Richtung Norden ausgeführt.

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Das Gleidreieck an der Schleifeneinfahrt Adlershof. Die neu geplante Verbindung dient nicht nur der verlängerten Linie M 17, sondern auch dem geplanten neuen Betriebshof hinter der Wendeschleife. Grafik: SGT-Plan GmbH

Am südlichen Streckenende gibt es schon heute die Wendeschleife am S-Bahnhof Adlershof, die genau richtig liegt, um während des Abbaus der Schleife Karl-Ziegler-Straße die dort verkehrenden Linien 61 und 63 aus Köpenick aufzunehmen. Diese Wendeanlage ist der letzte Rest der ehemaligen Strecke Adlershof—Altglienicke (gebaut von den Teltower Kreisbahnen), einer von drei Abschnitten des Tramnetzes, die nach 1989 stillgelegt wurden.

In diesem ebenfalls völlig neu zu bebauenden Entwicklungsgebiet südlich der WISTA ergibt sich die einmalige Gelegenheit, einen neuen Straßenbahn-Betriebshof nahe am Zentrum des Teilnetzes Schöneweide/Köpenick zu errichten. Da für die geplante Verlängerung der Linie M 17 über die Neubaustrecke nach Adlershof die Erweiterung der Schleifeneinfahrt zum vollständigen zweigleisigen Gleisdreieck sowieso nötig ist, bietet sich eine Doppelfunktion dieser Investition geradezu an. Deshalb wurde dieser Anschluss neu in den zweiten Anlauf dieses Planfeststellungsverfahrens aufgenommen und geschickt so in den Bauablauf eingearbeitet, dass immer eine der beiden noch vorhandenen Wendeschleifen nutzbar bleibt.

Auf die Plätze, fertig, los!

Auch wenn die Planung für dieses Bauvorhaben zu lange dauerte und mit dem Anschluss in Schöneweide der wichtigste Teil der gesamten Maßnahme noch nicht entschieden ist, kann diese Strecke in den jetzt zu beschließenden Abschnitten zum größten Teil überzeugen.

Da die Trasse und ihr Umfeld keine weiteren Verzögerungen beim Bau erwarten lassen, könnte dieser Neubau noch die anderen beiden, schon früher gestarteten Projekte überholen und bei der Eröffnung ganz vorne liegen. Sowohl der BVG als auch dem Senat und natürlich ganz besonders den Fahrgästen wäre eine schnelle Realisierung zu wünschen, denn das Bautempo bei den Berliner Straßenbahnprojekten seit 1990 hat der Stadt schon genug Spott aus aller Welt eingebracht.

Eine rasche Eröffnung von Adlershof II hätte aber auch eine Signalwirkung, denn erstmals nach dem Ende der DDR wäre ein Stadtentwicklungsgebiet wieder vor seinem vollständigen Bezug auf der Schiene erschlossen.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 4/2018 (November 2018), Seite 14-17

 

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