Die Jury, welche die Bahnhöfe prüfte und
bewertete, bestand wieder aus Vertretern
der Allianz pro Schiene, des Deutschen
Bahnkunden-Verbandes (DBV), des Auto
Club Europas (ACE), des Verkehrsclubs
Deutschland (VCD), des Allgemeinen Deutschen
Fahrrad-Clubs (ADFC) und von Pro
Bahn. Um touristische Qualitäten zu bewerten,
waren an der Entscheidung auch
Verkehrsexperten des „Deutschen Tourismusverbandes“
(DTV) und der Kooperation
„Fahrtziel Natur“ beteiligt.
Ausgezeichnet werden grundsätzlich
nur Bahnhöfe, die nach einer festen Kriterienliste
am besten auf die Bedürfnisse von
Besuchern bzw. Bahnkunden eingehen und
ein hohes Maß an Vorbildfunktion für die
vielfach leider überfällige Revitalisierung
von Bahnhöfen haben. Objektive Erfordernisse
wie Kundeninformation, Sauberkeit,
Integration in die Stadt und Verknüpfung
mit anderen Verkehrsmitteln sind dabei
ebenso entscheidend wie ein eher subjektiver
Wohlfühlfaktor. Demgegenüber gibt es
K.O.-Kriterien für eine Auszeichnung, u. a.:
kein Service-Personal vor Ort, noch keine
Barrierefreiheit, Sicherheitsmängel z. B. an
Bahnsteigbelägen oder schmutzige/defekte
Toiletten.
Auf dieser Grundlage entschied sich die
Jury am Ende für zwei Bürgerbahnhöfe in
Hessen und Nordrhein-Westfalen.
Bahnhof Eppstein
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Außen wie innen vorbildlich saniert: Das Empfangsgebäude des Bahnhofs Eppstein in Hessen. Der Bahnhof ist seitdem zu einer zentralen und attraktiven Anlaufstelle für Bürger, Pendler und Ausflügler geworden. Foto: Christian Schultz |
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Der Bahnhof Eppstein liegt an der Main-Lahn-Bahn zwischen Frankfurt-Höchst
und Limburg/Lahn und wurde am 15. Oktober
1877 eröffnet. Bedient wird er heute
durch die S-Bahn-Linie 2 (Niedernhausen/Taunus—Dietzenbach
Bahnhof des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV). Das hier zunächst
errichtete provisorische Empfangsgebäude
wurde im Jahr 1903 durch das noch
heute bestehende zweigeschossige Gebäude
ersetzt, das unter Denkmalschutz steht.
Es stand seit 1990 weitgehend leer und
wurde seitens der Deutschen Bahn schließlich
an die Stadt Eppstein verkauft. Nach
einer Kernsanierung (Baukosten 2,75 Millionen
Euro) wurde es am 26. Mai 2007 mit
einer neuen Nutzung wiedereröffnet. Untergebracht
sind hier nunmehr das Bürgerbüro
von Eppstein und das Restaurant „Wunderbar
Weite Welt“.
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Im Zuge des Baus des neuen Eppsteiner Tunnels wurde das Bahnhofsumfeld komplett umgestaltet. Bestandteil ist nun u. a. eine wettergeschützte Umsteigemöglichkeit zwischen Bahn und Bus. Foto: Christian Schultz |
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Ungewöhnlich ist hier das Konzept:
Geboten wird nicht nur ein gewöhnlicher
Gaststättenbetrieb. Abends werden die
Räumlichkeiten schwerpunktmäßig für
Kultur- und Politikveranstaltungen genutzt.
Positiver Nebeneffekt: Durch die
umfassende Nutzung wird, im Gegensatz
zu vielen anderen Bahnhöfen, das Risiko
von Vandalismus auf dem Bahnhofsareal
deutlich reduziert, was vom zuständigen
Bahnhofsmanagement auch bestätigt
wurde.
Der personenbediente Fahrausweisverkauf
ist selbstverständlich Bestandteil des
Gesamtkonzepts.
Im Zuge des Baus des neuen Eppsteiner
Tunnels in den Jahren 2010 bis 2013 wurden
in enger Abstimmung mit dem RMV auch
umfangreiche Umbauten bzw. eine deutliche
Attraktivitätssteigerung der Bahnsteige
und des Bahnhofsumfeldes möglich.
Zu den realisierten Einzelmaßnahmen gehören
u. a.:
- Umgestaltung der Vorplatzfläche am
Empfangsgebäude;
- Neubau einer kombinierten Überdachung
des Bahn- und Bus-Verknüpfungspunktes
am Hausbahnsteig (zur Gewährleistung
kurzer Umsteigewege);
- Neubau einer Bike+Ride-Anlage mit Überdachung;
- Neubau einer Park+Ride-Anlage;
- Bepflanzung und Begrünung des gesamten
Areals.
Im Ergebnis ist ein sehr attraktiver Verknüpfungspunkt
realisiert worden. Mit dem ungewöhnlichen
Nutzungskonzept für das
Empfangsgebäude hat der Bahnhof insgesamt
eine ganz neue Zentralität für die Stadt
erhalten.
Bahnhof Winterberg
Seine Bahnanbindung erhielt Winterberg im
Jahr 1906 im Zuge der 1908 vollendeten Verbindung
Bestwig—Allendorf (Eder)—Frankenberg.
Der Personenzugverkehr zwischen
Winterberg und Allendorf (Eder) wurde jedoch
1966 eingestellt bzw. der Streckenabschnitt
in der Folgezeit abschnittsweise abgebaut.
Das historische Empfangsgebäude
wurde 2014 abgerissen.
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Ähnlich wie in Eppstein wurde auch im Bahnhof Winterberg in Nordrhein-Westfalen ein für Bürger und Gäste der Stadt attraktives, vielseitiges Nutzungskonzept umgesetzt. Beim Neubau des Empfangsgebäudes haben Stadt und Architekt bewusst markante Akzente gesetzt und so für einen hohen Wiedererkennungswert gesorgt. Foto: Christian Schultz |
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Ähnlich wie in Eppstein überzeugte auch
im nordrheinwestfälischen Winterberg das
neuartige bzw. ungewöhnliche Bahnhofskonzept.
Im Herbst 2017 feierte die Stadt nach
einjähriger Bauzeit die Eröffnung des neuen
Bürgerbahnhofs. Das futuristische neue
Empfangsgebäude stellt dabei mit der abstrahierten
Skisprungschanze den Bezug
zum Skisportort Winterberg schon in der
Form des Gebäudes her.
In der großzügigen, lichtdurchfluteten
Empfangshalle mit Wartebereich erhält der
Bahnkunde traditionell Fahrkarten, aber es
ist auch die erste Anlaufstelle für das städtische
Bürgeramt. Im Gebäude befinden sich
zudem ein Servicepunkt der Winterberg
Touristik und Wirtschaft GmbH, die Volkshochschule
des Hochsauerlandkreises, das
Jugend- und Gesundheitsamt und ein italienisches
Restaurant.
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Auch in Winterberg wurden im Rahmen der Neugestaltung des Bahnhofs u. a. kurze Umsteigewege zwischen Zug und Bus realisiert. Foto: Christian Schultz |
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Auch die übrigen Anlagen bieten weit
mehr als Standardniveau: Wanderer finden
eine Schließfachanlage für überschüssiges
Gepäck. Ein integrierter Bahn-Bussteig für
kurze Umsteigewege, ein Park+Ride-Platz,
Aufladestationen für E-Bikes und nicht zuletzt
eine sorgfältige Ausschilderung der
Bahnhofsumgebung gehören zum umfassenden
Service dazu. Und auch das Problem
der heutigen Randlage des Bahnhofs
wird derzeit behoben: Zwischen Stadt und
Bahnhof wächst zurzeit ein neues Stadtzentrum
mit Wohnungen, Gewerbe bzw.
Geschäften.
Kleine Bahnhöfe
Bei den beiden im Jahr 2018 prämierten Bahnhöfen
zeigt sich, dass auch bei kleinen Bahnhöfen
die Umsetzung neuer und sehr attraktiver
Nutzungskonzepte möglich ist. Der vielfach
anzutreffende und wenig einladende Zustand
von Haltepunkten und Bahnhöfen bzw. ihres
Umfeldes muss keinesfalls Dauerzustand sein.
Die vorbildliche Entwicklung wie in Eppstein
und Winterberg setzt dabei zweifellos Maßstäbe.
Eine engagierte, lösungsorientierte Zusammenarbeit
zwischen Kommune und Bahn
ist für eine erfolgreiche Wiederbelebung aber
zwingende Voraussetzung!
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV)
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