Die Erfolgsgeschichte der Berliner S-Bahn
wird überschattet durch die schlimmen
Jahre um 1945 (II. Weltkrieg) und 1961 (Mauerbau).
Für das westliche Teilnetz markiert
das Jahr 1980 (Streckenstilllegungen) einen
weiteren Tiefpunkt. Aber nach dem Mauerfall
1989 glaubten alle, dass es nun nur noch
aufwärts gehen kann. Die Präsentation der
S-Bahn zur Fußballweltmeisterschaft 2006
markierte einen Höhepunkt und zugleich
den Beginn eines Abstiegs, wie ihn sich niemand
vorstellen konnte.
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Der im Bau befindliche S-Bhf Adlershof mit Dach auf ganzer Länge! An vielen anderen wichtigen Stationen wurde bei der Modernisierung durch DB Station & Service auf eine minimale Dachlänge geachtet (Charlottenburg) oder das Dach ganz weggespart (Falkensee). Um so erfreulicher ist die neue Komplettüberdachung in Adlershof. Hier hält der erste Zug vsl. am 6. Juli, an den neuen Bahnsteigen Baumschulenweg vsl. am 20. nJuli (stadteinwärts) bzw. 5. Oktober (stadtauswärts). Foto: Florian Müller, 10.6.2009 |
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Zu kurze, unpünktliche und ausgefallene
Züge sowie schlechte Fahrgastinformation
haben inzwischen ein Ausmaß erreicht,
das die großen Qualitäten des Berliner
S-Bahn-Angebots und die großen Leistungen
der S-Bahn-Mitarbeiter in den Hintergrund
drängt. Schließlich kann die Berliner
S-Bahn seit Jahren steigende Fahrgastzahlen
vorweisen.
Börse und Personalpolitik
Vor allem zwei Ursachen sind für die negative
Entwicklung bei der Qualität der Berliner
S-Bahn maßgebend.
Zum einen wurde das Unternehmen unter
großen wirtschaftlichen Druck gesetzt, weil
die DB AG an die Börse gehen und dafür
schöne Bilanzen präsentieren wollte. Der für
2008 geplante Börsengang wurde wegen
der Wirtschaftskrise zumindest verschoben.
Aber die schönen Bilanzen wurden erzielt.
Eine Konzernumlage von 32 Millionen Euro
und ein Gewinn von 56 Millionen Euro im
Jahr 2008 zeigen, dass die Konzernmutter an
ihrer Tochter gut verdient.
Unverständlich ist, dass seitens der S-Bahn
GmbH die hohen Gewinne der letzten Jahre
gelegentlich mit dem finanziellen Engagement
der DB AG zur Beschaffung der 500
Viertelzüge der Baureihe 481 in den 1990er
Jahren gerechtfertigt werden. Dabei sind
Zins und Tilgung der Kredite für 400 Viertelzüge
(100 hat der Bund spendiert) richtigerweise
in der Unternehmensbilanz enthalten
– noch vor der Gewinnausweisung.
Würde die S-Bahn hervorragende Leistungen
beim Transportieren und Informieren
der Fahrgäste erbringen, dann würde
kaum jemand über die jährlichen Gewinne
sprechen. Weil aber wachsende Gewinne
einhergingen mit sinkender Angebotsqualität,
gibt es jetzt eine breite Diskussion, was
die Berliner S-Bahn überhaupt leisten kann
und will.
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Endlich: Öffnung des neuen Zugangs am S-Bhf Messe Nord/ICC. Der Fußweg vom S-Bahnhof zum ICC und Messegelände ist damit bedeutend bequemer. Foto: Marc Heller, 15.6.2009 |
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Zweite Ursache ist, dass in den letzten
Jahren zu viel Personal abgebaut wurde und
dass es auf zu vielen wichtigen Stellen der
S-Bahn GmbH Neubesetzungen und dabei
zum Teil Fehlbesetzungen gab. So verlor das
Unternehmen in großem Umfang Wissen
und Erfahrung.
Wechsel in der
S-Bahn-Geschäftsführung
„Peter Büsing (40) übernimmt zum 5. Juni
2009 die Position des Geschäftsführers
Produktion von Ulrich Thon (52), der in die
DB Regio-Zentrale in Frankfurt am Main
wechselt. Das beschloss der Aufsichtsrat der
S-Bahn Berlin GmbH“, meldete die Deutsche
Bahn einen Tag nach der Aufsichtsratssitzung
vom 4. Juni. „In seiner neuen Aufgabe
für DB Regio wird Ulrich Thon bundesweit
für alle Schienenfahrzeuge des Nahverkehrs
die Bauartverantwortung tragen.“
Dass Thon wechseln musste, weil er bei der
S-Bahn Berlin gescheitert war, schreibt die
DB verständlicherweise nicht. Wenn dann
aber sein „außerordentlicher Einsatz für eine
sichere S-Bahn sowie effiziente Prozesse bei
Fahrzeugbetrieb und -instandhaltung“ gelobt
werden, empfinden Kenner der Situation
das als peinlich und viele Mitarbeiter als
verwerflich, ja zynisch.
Sicherlich muss man vorsichtig sein, die
Verantwortung einer einzelnen Person
überzubewerten. Und man muss die Rahmenbedingungen
des Handelns berücksichtigen,
im vorliegenden Fall also den Druck
der DB AG auf ihre Tochter S-Bahn Berlin
GmbH. Doch niemand bei der S-Bahn bestreitet,
dass Ulrich Thon eine zentrale Rolle
bei der Reduzierung des Fahrzeugparks auf
heute 630 Viertelzüge und beim Abbau der
Werkstattkapazitäten gespielt hat.
Beides hat mit Sicherheit zu den hohen
Gewinnen beigetragen. Und beides hat die
S-Bahn in eine tiefe Krise gestürzt. Diverse
Vorkommnisse, angefangen von dem Auffahrunfall
am Südkreuz 2006 bis hin zum
Radbruch am 1. Mai 2009 haben gezeigt,
dass die Berliner S-Bahn durch Personalund
Fahrzeugmangel nicht mehr in der
Lage ist, auf die Auswirkungen – das sind
vor allem häufigere und umfangreichere
Untersuchungen in den Werkstätten – zu
reagieren. Sie muss nun zahlreiche Umläufe
mit verkürzten Zügen fahren. Und immer
wieder fallen planmäßige Fahrten aus, nicht
nur bei strengem Winterwetter.
Wohin geht die Reise?
Auch für Thons Nachfolger Peter Büsing,
zuvor bei DB Regio in Hannover für den
Bereich Produktion und Technik des Nahverkehrs
in Bremen, Hamburg, Niedersachsen
und Schleswig-Holstein verantwortlich,
gelten natürlich die Vorgaben der DB AG.
Und der zu kleine Fahrzeugbestand kann
nicht über Nacht aufgestockt werden. Aber
S-Bahner, die schon Kontakt mit ihm hatten,
loben seine menschlichen Qualitäten.
Und das ist eine nicht zu unterschätzende
Qualifikation, wenn es darum geht, die Mitarbeiter
eines Unternehmens in schweren
Zeiten zu motivieren und das Vertrauen der
Fahrgäste in eine sichere und zuverlässige
S-Bahn zurückzugewinnen.
Vor allem aber muss der Eindruck entkräftet
werden, dass die DB sich ausschließlich
für die Höhe des abgeführten Gewinnes
interessiert und die S-Bahn ansonsten abstürzen
lässt, weil man sie entweder aufgegeben
hat oder – im Gegenteil – sicher
ist, auch nach 2017 den Auftrag der Länder
Berlin und Brandenburg zu erhalten. Denn
jedes andere Verkehrsunternehmen wird
sich dreimal überlegen, ob es technisch und
finanziell möglich und sinnvoll ist, hunderte
Züge zu beschaffen, die ausschließlich auf
den Gleisen der Berliner Gleichstrom-S-Bahn
fahren können.
Abbau der Fahrgastinformation
Symptomatisch für die Fehlentwicklungen
der letzten Jahre war die Fahrgastinformation.
Zwar kommt der Ausbau der Strecken
und der Bahnhöfe viel zu langsam voran,
aber es gibt wenigstens Fortschritte. So werden
bei der Grunderneuerung der Görlitzer
Bahn die Stationen Adlershof und Baumschulenweg
in ihrer Lage und Zugänglichkeit
verbessert. Und 15 ½ Jahre nach der
Wiederinbetriebnahme des Südrings gibt
es beim S-Bahnhof Messe Nord/ICC (Witzleben)
seit dem 15. Juni nun endlich den wichtigen
Zugang nahe am ICC.
Aber bei der Fahrgastinformation gab es
in den letzten Jahren massive Rückschritte.
Es begann mit dem Abzug der Bahnsteigaufsichten.
Kritik an den personalfreien
Bahnhöfen wies die S-Bahn zurück mit Verweis
auf die Gewöhnung der Berliner an die
personalfreien U?Bahnhöfe. Der wesentliche
Unterschied: Auf allen U?Bahnhöfen gibt es
wenigstens Informations- und Notrufsäulen
sowie dynamische Zugzielanzeiger. Die
S-Bahn aber zog das Personal teilweise vor
dem Aufbau entsprechender Säulen ab und
verzichtete auf vielen Bahnhöfen auf Zugzielanzeiger
zugunsten von Blechschildern mit
Richtungsangabe. Diese gravierende und
nicht hinnehmbare Verschlechterung bei der
Fahrgastinformation soll nun, nach dem Ausscheiden
von Ulrich Thon, korrigiert werden.
Kein Verständnis
für Fahrpreiserhöhungen
Die hoffentlich schnelle und erfolgreiche
Korrektur der Fehlentwicklungen in den
letzten Jahren wird dazu führen, dass die
S-Bahn ab 2009 nicht mehr so hohe Gewinne
abführen kann. Aber sie wird weiterhin in der
Gewinnzone bleiben. Andererseits wird es
noch mindestens zwei Jahre dauern, bis die
S-Bahn ihren Fahrgästen wieder das gewohnt
qualitätvolle Verkehrsangebot bieten kann.
Vor diesem Hintergrund von eingeschränkten
Leistungen und hohen Gewinnen ist es
keinem Fahrgast zu vermitteln, dass er dafür
2010 eine Fahrpreiserhöhung zahlen soll.
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
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