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Der Wiederaufbau der EisenbahnstreckeDucherow—Karnin—Świnoujście (Swinemünde) ermöglicht deutliche Fahrzeitverkürzungen in der Relation Berlin—Usedom. Zur Firma Baltchem kann ein Güteranschlussgleis gebaut werden. Karte: UBB, Bearbeitung: IGEB (fm) |
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Die Ostseeinsel Usedom war von 1876 bis zum
Ende des Zweiten Weltkriegs über eine zunächst
eingleisige Eisenbahnstrecke mit dem
Festland verbunden. Diese Strecke zweigte
im Bahnhof Ducherow von der Hauptstrecke
Berlin—Stralsund ab und endete anfangs in
Swinemünde. Der zweigleisige Ausbau war
1908 abgeschlossen. Die Verlängerungen
über Swinemünde hinaus erfolgten 1894 bis
Seebad Heringsdorf und 1911 schließlich bis
Wolgaster Fähre.
Die Gleise der Strecke Ducherow—Swinemünde—
Seebad Ahlbeck wurden nach
dem Zweiten Weltkrieg als Folge der neuen
deutsch-polnischen Grenze zwischen 1946
und 1948 schrittweise demontiert. Der Wiederaufbau
dieser Bahnstrecke hat jedoch
nach wie vor u. a. für die Region Berlin/Brandenburg
große Bedeutung, ist sie doch die
kürzeste und schnellste Bahnverbindung an
die Ostsee.
Die seit dem 28. Mai 2000 auch vom Bahnverkehr
genutzte Peenebrücke Wolgast hat
bezüglich der Fahrzeit Berlin—Usedom lediglich
Teilerfolge gebracht. Die derzeit überlangen
Fahrzeiten zwischen Berlin und den „Kaiserbädern“
Usedoms könnten erst durch den
Entfall des Umwegs über Züssow auf rund 2
Stunden halbiert werden.
Eine derartige Fahrzeit wäre endlich auch
eine konkurrenzfähige Alternative zum Auto;
dies gilt erst recht wegen der seit Inbetriebnahme
der Autobahn A20 erreichten Fahrzeitverkürzungen
im Straßenverkehr. Von
einer Entlastung vom Pkw-Verkehr bzw. der
Straßen würde die Urlaubsinsel Usedom – gerade
in den Sommermonaten – erheblich profitieren.
Einheimische wie Gäste leiden heute
unter den wachsenden Pkw-Strömen speziell
in engen Ortsdurchfahrten. Kurze, aber
wichtige Teilabschnitte der Eisenbahnstrecke
Ducherow—Świnoujście—Seebad Ahlbeck
wurden mit Inbetriebnahme des 2,4 km langen
Abschnitts Seebad Ahlbeck—Ahlbeck
Grenze am 8. Juni 1997 und des 1,4 km langen
Abschnitts Ahlbeck Grenze—Świnoujście
Centrum am 20. September 2008
inzwischen realisiert. (siehe SIGNAL 5/2008)
Im Bundesverkehrswegeplan 2003 wurde
diese Strecke im Abschnitt „Bau leistungsfähiger
Verkehrswege in den neuen Bundesländern“
aufgenommen. Projekte, die im
Ergebnis der Nutzen-Kosten-Analyse
aber
ein NKV unter 1 aufweisen, werden bei der
Umsetzung weder im vordringlichen Bedarf
noch im weiteren Bedarf berücksichtigt. Sinnvollerweise
muss aber auch das Potenzial des
Güterverkehrs von/zum Hafen Świnoujście
(Seehafenhinterlandverkehre) bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung
berücksichtigt werden. Denn der Personenverkehr allein – so
zumindest das Ergebnis der Intraplan-Studie
mit einem NKV von 0,73 – ermöglicht den
Wiederaufbau der Strecke Ducherow—Karnin—
Świnoujście noch nicht.
Neues Gutachten belegt die Wirtschaftlichkeit
Der Seehafenhinterlandverkehr wird vom
Hafen Świnoujście derzeit generell über die
Wolliner Seite, also die Ostseite des Hafens
abgewickelt. Umgeschlagen wird vor allem
Massengut wie Kohle, Eisenerz, Getreide und
Holz. Auf der Usedomer Seite befindet sich
aber bereits heute ein Kraftstoffterminal des
Unternehmens Baltchem, das beispielsweise
als Kunde für einen Schienengütertransport
infrage kommt. Daneben bietet die Westseite
erhebliche Flächen als Reserven für den künftigen
Hafenausbau. Der Anschluss des Tanklagers
an die Strecke Ducherow—Świnoujście
wäre mittels einer kurzen Stichstrecke möglich.
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Karniner Brücke. Der Wiederaufbau der Strecke Ducherow—Świnoujście (Swinemünde) ermöglicht auch eine verbesserte Erschließung von Usedom. Orte wie Karnin, Usedom und auch der Flughafen Heringsdorf (Garz) würden künftig direkt mit der Bahn erreichbar sein. Foto: Christian Schultz |
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In Abhängigkeit vom Ausbau der Hafenanlagen
auf der Westseite wurde vom Gutachter
DB International für vier Szenarien ein Nutzen-
Kosten-Verhältnis unter Berücksichtigung des
Güterverkehrs von 2,6, 4,17, 5,56 und sogar
9,62 ermittelt! Der Grenzwert, an dem das
NKV den Wert von 1 übersteigt, liegt bei etwa
84 000 t/Jahr für den Güterverkehr. Szenario 1
mit einem NKV von 2,6 berücksichtigt dabei
lediglich den Anschluss des Terminals von
Baltchem. Das Beförderungsvolumen dürfte
hier bei voraussichtlich 48 000 t/Monat liegen.
Dass auch im Personenverkehr noch ein erhebliches
Potenzial besteht, zeigt die Erfolgsgeschichte
der Usedomer Bäderbahn (UBB)
seit Übernahme der Inselbahn am 1. Juni 1995.
Anfang der 1990er Jahre sollte der Bahnbetrieb
auf Usedom komplett eingestellt werden.
So nutzten im Jahr 1992 nur noch knapp
300 000 Fahrgäste die Züge, inzwischen sind
es pro Jahr weit über 3 Millionen!
Wiederaufbau der Eisenbahnstrecke finanzierbar
Sowohl im Gutachten von Intraplan als auch
von DB International wurde zugrundegelegt,
dass die Strecke Ducherow—Karnin—
Świnoujście als eingleisige Strecke wiederaufgebaut
und auch elektrifiziert wird.
Das Investitionsvolumen einschließlich der
Planungskosten wurde seitens Intraplan mit
rund 140 Mio. Euro für die rund 40 km lange
Strecke errechnet. Die Anbindung des Westhafens
von Świnoujście wurde von DB International
mit 6,8 Mio. Euro ermittelt.
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Empfangsgebäude Swinemünde Hbf. Mit Ausnahme des Stadtgebietes von Świnoujście kann die alte Bahntrasse wieder genutzt werden. Die heutige Bebauung lässt die Nutzung des ehemaligen Hauptbahnhofes von Swinemünde leider nicht mehr zu. Foto: Christian Schultz |
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Angesichts dieser Beträge ist die Haltung
des Bundes unverständlich, der für dieses
Projekt bislang offensichtlich keine Finanzierungsmöglichkeiten
sieht. Ein Projekt, das
vielen Einwohnern, Besuchern und Güterkunden
von Świnoujście bzw. Usedom insgesamt
einen erheblichen Nutzen bringt und noch
dazu eine nachhaltige Tourismusentwicklung
ermöglicht, soll in ferne Zukunft mit unbekanntem
Realisierungstermin verschoben
werden. Das Argument fehlender Finanzierungsmöglichkeiten
ist unglaubwürdig, wenn
für ein Prestigeprojekt wie „Stuttgart 21“ – mit
sehr zweifelhaftem Nutzen – mindestens
4,5 Milliarden Euro aufgebracht bzw. eine
entsprechende Finanzierungsvereinbarung
abgeschlossen werden. Unverständlich sind
in diesem Zusammenhang auch die Planungen
des Bundes, die Deutsche Bahn ab 2011
zu verpflichten, eine „Bahndividende“ in einer
Höhe von 500 Mio. Euro zu zahlen. Wenn der
DB schon ein solcher Betrag entzogen wird, so
wäre es verkehrspolitisch folgerichtig, diese
Finanzmittel zweckgebunden für den Ausbau
der Schieneninfrastruktur einzusetzen.
Eine Finanzierung des Wiederaufbaus
der Eisenbahnstrecke Ducherow–Karnin–
Świnoujście ist also durchaus realisierbar, und
zwar unabhängig von der Frage, inwieweit
das Projekt mit EU-Mitteln teilfinanziert würde.
Nicht fehlendes Geld, sondern Desinteresse
an dem Projekt dürfte die aktuelle Haltung
des Bundes wohl treffender beschreiben, was
im Übrigen auch für alle anderen deutschpolnischen
Bahnprojekte gilt.
„Aktionsbündnis Karniner Brücke“ gegründet
Das „Aktionsbündnis Karniner Brücke“ verfolgt
das Ziel der Wiedererrichtung der
Eisenbahnverbindung Ducherow–Karnin–
Świnoujście und wurde am 9. April 2010 in Berlin
im Beisein der Europastaatssekretärin des
Landes Berlin, Frau Monika Helbig, gegründet.
51 Personen aus Polen, Berlin, Brandenburg
und Mecklenburg-Vorpommern, die insgesamt
17 Organisationen und Institutionen aus
Wirtschaft und Politik vertreten, unterzeichneten
das Gründungsdokument. Auch der
Berliner Fahrgastverband IGEB und der DBV
haben kürzlich die entsprechenden Unterstützungserklärungen
abgegeben.
Erfreulich ist, dass auch Berlins Regierender
Bürgermeister Klaus Wowereit und der Ministerpräsident
von Mecklenburg-Vorpommern,
Erwin Sellering, ihre Unterstützung zugesagt
haben. Allerdings sind aus Mecklenburg-Vorpommern
auch die größten Widerstände zu
erwarten, denn in Rostock wird eine Verlagerung
des Hafenumschlags nach Świnoujście
befürchtet. Dass eine solche Verlagerung
durch kürzere Schienenwege den Gütertransport
auf der Schiene insgesamt stärkt, wird
dabei bewusst ignoriert.
Deutscher Bahnkunden-Verband
Berliner Fahrgastverband IGEB
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