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Bei Veranstaltungen im Olympiastadion verstärkt die BVG den U-Bahn- und Busverkehr. Anders sieht es bei Fußballspielen im Stadion an der Alten Försterei aus. Dabei ist die BVG laut Verkehrsvertrag verpflichtet,bei Sonderveranstaltungen die Mehrverkehre durch entsprechende Zusatzfahrten abzudecken. Foto: Marc Heller |
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Das Land Berlin hat 2007 mit der BVG einen
Vertrag über Verkehrsdienstleistungen sowie
Bau- und Betrieb von Verkehrsinfrastruktur
geschlossen (siehe SIGNAL 6/2007). In diesem
sind Rechte, Pflichten sowie deren Finanzierung
geregelt.
Die genauen Details der dort getroffenen
Regelungen waren bis vor kurzem nur einem
ausgewählten Personenkreis zugänglich.
Selbst Berliner Abgeordnete durften derartige
Verträge nur in einem separaten Raum ohne
die Möglichkeit der Anfertigung
von Notizen
einsehen.
Nach dem erfolgreichen
Volksentscheid
vom 13. Februar 2011
über die Offenlegung
der Teilprivatisierungsverträge
bei den Berliner
Wasserbetrieben hat der
Senat seine Haltung hinsichtlich
der Geheimhaltung
von Verträgen, die
die Stadt mit den von Ihr
beauftragten Unternehmen
geschlossen hat,
geändert. Auslöser war
der Antrag eines Potsdamer
Studenten, der unter
Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz
im September 2011 die
Verkehrsverträge mit der S-Bahn Berlin GmbH
und der BVG AöR einsehen wollte, um, so seine
Begründung, „zu prüfen, ob BVG und S-Bahn
laut Verträgen ihre Fahrplandaten öffentlich
zur Verfügung stellen müssen, um etwa, mit
maschinenlesbaren Daten, Service-Apps oder
Internetseiten entwickeln zu können“. Nach
mehreren Monaten erhielt er sie schließlich,
wenn auch mit einigen geschwärzten Preisen,
und stellte sie im Februar 2012 ins Internet.
Daraufhin entschloss sich der Senat, die
S-Bahn-Verträge auf der Internetseite des Landes
Berlin zur Verfügung zu stellen. Zugleich
wollte er damit dem Volksbegehren für ein
„Gesetz zur Beendigung des Chaos bei der Berliner
S-Bahn“ den Wind aus den Segeln nehmen,
nachdem die Initiatoren im Dezember
2011 die erste Hürde erfolgreich genommen
hatten (siehe SIGNAL 3/2011).
Der mit der BVG abgeschlossene „Verkehrsvertrag
über die Erbringung von Verkehrs- und
Infrastrukturleistungen der Verkehrsmittel
U-Bahn, Straßenbahn, Bus und Fähre in Berlin
in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. August
2020“ ist allerdings weiterhin nur auf der
unten genannten privaten Internetseite verfügbar.
Er besteht aus 38 Seiten mit 37 Paragrafen,
der Anhang misst 130 Seiten. Geschwärzt
hatte das Land Berlin vor der Übergabe an
den Studenten lediglich die Zuschusswerte je
Nutzwagenkilometer (Euro/Nutzkm).
Leistungsumfang und Finanzierung
Im Jahr 2007 wurde, basierend auf dem Nahverkehrsplan
2006 bis 2009, ein Verkehrsvolumen
von 20 Millionen sogenannter Nutzwagenkilometer
(Nutzkm) bei der U-Bahn, 20
Millionen Nutzkm bei der Straßenbahn und 89
Millionen Nutzkm für den Bus festgelegt. Für
die Fähren wurden 18 400 Betriebsstunden
vereinbart.
Für den Betrieb der Fahrzeuge und Schiffe
erhält die BVG (Preisstand 2008) jährlich 75
Millionen Euro Ausgleichzahlungen
sowie 65 Millionen
Euro als Zuschuss
für vergünstige Zeitkarten
des Ausbildungsverkehrs
(z. B.
Schülermonatskarten).
Für den Betrieb
der Infrastruktur
(vornehmlich U- und
Straßenbahnstrecken)
erhält sie pro
Jahr 175 Millionen
Euro. Diese Zahlungen
werden nach
einem hier nicht
näher erläuterten
Schlüssel an die Inflation
und anderen
Kostensteigerungen
angepasst. Der BVG wird ein Gewinn von maximal
3 Prozent zugestanden. Eine Überkompensation
der Kosten über die 3 Prozent hinaus
soll nicht stattfinden.
Ausgewählte Parameter des Verkehrsangebotes
Für den Fahrgast interessant sind vor allem
jene Klauseln, die direkt den Komfort und das
Angebot beeinflussen. So ist im Betriebsbereich
Straßenbahn eine Pauschale von 500 000
Nutzkm enthalten, mit der Fahrten von und
zum Betriebshof abgegolten werden. Es wurde
festgelegt, dass diese Fahrten für die Fahrgastbeförderung
freizugeben sind. Hierbei
handelt es sich also nicht um eine Kulanzleistung
der BVG.
Des Weiteren wird festgelegt, dass die
BVG bei Sonderveranstaltungen verpflichtet
ist, die Mehrverkehre durch entsprechende
Zusatzfahrten abzudecken. Hier ist die BVG
in der Pflicht, von selbst die entsprechenden
Maßnahmen einzuleiten. Sie ist sogar
verpflichtet, notfalls Subunternehmer zu
beauftragen. Damit wird deutlich, dass die
BVG mit ihrem unzureichenden, von der
IGEB bereits mehrfach kritisierten Straßenbahnangebot
bei Fußballspielen im Stadion
an der Alten Försterei (siehe SIGNAL 5/2010
und 5-6/2011) gegen den Verkehrsvertrag
verstößt.
Bezüglich der Gestaltung der Fahrzeugkapazität
hat die BVG folgende Parameter
zu erfüllen: Jeder Fahrgast soll nicht länger
als 15 Minuten stehen müssen. Hier ist als
einzige Ausnahme der Bereich innerhalb des
S-Bahn-Ringes während des Berufsverkehrs
erlaubt.
Außerdem darf innerhalb eines 20-Minuten-
Zeitraums an keiner Stelle des Verkehrsnetzes
eine höhere durchschnittliche Belegung als
65 Prozent gegeben sein. Gerechnet wird hierbei
bei allen Verkehrsmitteln mit der Anzahl
der Sitzplätze zuzüglich 4 stehenden Fahrgästen
je Quadratmeter. Eine Ausnahme bildet
der Schülerverkehr mit Bussen. Hier sind laut
Vertrag auf maximal 2 km Linienlänge bis zu
90 Prozent Auslastung zulässig.
Auf den ersten Blick lesen sich diese Werte
fahrgastfreundlich. Wer sich aber verdeutlicht,
wie dicht die Fahrgäste stehen müssen, um
auf einen durchschnittlichen Wert von 4 je m²
zu kommen, dem wird klar, dass hier die viel
zitierte Sardinenbüchse als akzeptabler Belegungsgrad
definiert wird. Denn zu bedenken
ist, dass sich die Fahrgäste vor allem beim Bus
dank Zwang zum Vordereinstieg nicht gleichmäßig
verteilen und dass bei allen Verkehrsmitteln
ein Teil der Stehflächen durch Kinderwagen,
Rollstühle, Gepäck und Fahrräder
belegt wird.
Service und Tarif
Auch der Umgang mit den Kunden wird vertraglich
festgelegt. So muss eine Kundenbeschwerde
innerhalb von 20 Werktagen beantwortet
werden. Die Antworten sollen im Zweifel
im Sinne des Kunden kulant beantwortet
werden. Ebenso wird im selben Paragrafen
festgelegt, dass die BVG eine Fahrgastcharta
erarbeitet, die ausgehend von den bestehenden
Kundengarantien Fahrgastrechte für den
gesamten Berliner ÖPNV erarbeitet. Von derartigen
Aktivitäten war in den letzten Jahren
allerdings nichts zu hören.
Ein häufiges Ärgernis stellen beispielsweise
Verfrühungen dar. Per Vertrag wird eine um
mehr als 60 Sekunden zu früh stattgefundene
Abfahrt als Ausfall gewertet. Technisch wird
dies durch das rechnergestützte Betriebsleitsystem
überwacht. Ab 91 Sekunden zu früher
Abfahrt soll die Abfahrt im System als Ausfall
registriert werden. Dies führt jedoch nur zur
Verringerung der registrierten Zuverlässigkeit
und kann durch Maluszahlungen sanktioniert
werden.
Im Falle größerer Betriebsstörungen im
Schienennetz sieht das Vertragsregelwerk das
Einrichten von Busersatzverkehren vor, wenn
die Störung vorrausichtlich länger als 45 Minuten
andauern wird. In der Schwachverkehrszeit
sind hierfür 60 Minuten vorgesehen.
Der Artikel wird fortgesetzt.
Der Verkehrsvertrag mit der BVG ist verfügbar
unter
crocodoc.com/5SWQH5L
Die Verkehrsverträge mit der S-Bahn sind
verfügbar unter
stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/oepnv/s_bahn
Berliner Fahrgastverband IGEB
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