In Frankreich kamen im Sommer 2007 Vertreter
aus Politik, Verwaltung, Nichtregierungs-
Organisationen, Gewerkschaften sowie
Unternehmen zu einer Art rundem Tisch
zusammen. Ziel war es, Grundlagen für die
künftige Umweltpolitik Frankreichs zu entwickeln
– bekannt geworden ist dieser Umweltgipfel
als Grenelle de l’environnement.
In wesentlich stärkerem Maße als bisher soll
in Frankreich nunmehr auf eine nachhaltige
Nutzung der natürlichen Ressourcen geachtet
werden. Näheres dazu ist im Internet unter
http://www.legrenelle-environnement.fr/spip.php?rubrique113 zu finden.
Doch woher stammt der Begriff „Grenelle
de l’environnement“? Während das Wort
„l’environnement“ für Umwelt steht, bezieht
sich Grenelle auf einen heute zu Paris gehörenden
Ort und eine Straße namens Rue de
Grenelle. Im Jahre 1968 wurde dort ein runder
Tisch gebildet, nachdem es in Frankreich
vorher zu heftigen und teilweise gewalttätigen
politischen Auseinandersetzungen
gekommen war.
Geht es nach Präsident Nicolas Sarkozy,
bedeutet Grenelle de l’environnement
nichts weniger als eine Revolution auf dem
Gebiet des Umweltschutzes. Keine Frage,
dass sich daraus auch einschneidende Veränderungen
in der Verkehrspolitik ergeben
(können).
Stopp für den Autobahnbau
So kündigte Umweltminister Jean-Louis
Barloo im Rahmen dieses Umweltgipfels
das Ende des Autobahnbaus in Frankreich
an. Davon sind rund 2500 Kilometer bisher
projektierter
Autobahnen
betroffen. Man
stelle sich den
Aufschrei in
Deutschland vor,
würde hier eine
solche Entscheidung
getroffen
werden!
Zugleich sollen
Bahn und
Binnenschiff in
Frankreich wesentlich
stärker
als in der jüngeren
Vergangenheit
gefördert
werden. Für Automobile
mit hohem
Schadstoffausstoß schlug Nicolas Sarkozy
höhere Steuern vor. Vorerst gestoppt
werden sollen die Entwicklung gentechnisch
veränderter Pflanzen und der Bau weiterer
Atomkraftwerke.
Die Erkenntnisse
des runden Tisches
sind in ein Gesetz namens
„Loi Grenelle 1“
eingeflossen, das am
22. Oktober 2008 verabschiedet
wurde. Es
trifft Regelungen zu
den Themen Energie,
Ernährung, Konsum
und Verkehr.
1500 Kilometer
neue Tramstecken
Für die Durchsetzung
von Konzepten zur
nachhaltigen Stadt
verspricht der Staat
den Kommunen eine
Beteiligung von rund
800 Millionen Euro. Im Verkehrsbereich
werden dadurch insbesondere der schnellere
Ausbau des überregionalen Eisenbahnnetzes
sowie diverse Projekte für weitere
Straßenbahnstrecken und verbesserte
Bussysteme ermöglicht. Allein die Straßenbahnnetze
sollen außerhalb des Ballungsraums
Paris um 1500 Kilometer wachsen. In
Lyon und Marseille ist außerdem die Erweiterung
der U-Bahn-Netze vorgesehen. So
ist u. a. in den Städten Angers, Besançon,
Brest, Dijon und Tours die Wiedereinführung
der Tram zu erwarten. Die bereits
vorhandenen Straßenbahnnetze sollen
um weitere Strecken(abschnitte) ergänzt
werden, beispielsweise in den Städten Bordeaux,
Grenoble, Montpellier und Strasbourg.
Wer sich die aktuellen Vorhaben
betrachtet, wird vielleicht überrascht sein,
wie kurzfristig der Beginn vieler Baumaßnahmen
vorgesehen ist. Ganz anders als in
Berlin, wo selbst die wichtigsten Projekte
zum Ausbau der Straßenbahn regelmäßig
nach allen Regeln der Kunst blockiert, vertagt
oder zerredet werden.
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Straßenbahn auf Staatsbahngleisen im Bahnhof Bondy bei Paris. Das „Karlsruher Modell“ bewährt sich auch in Frankreich. So lässt sich das Angebot auf vielen Bahnstrecken deutlich verbessern. Nicht zuletzt ermöglichen solche „Tram-Train“-Systeme, einige seit langem stillgelegte Strecken für den Personenverkehr zu reaktivieren. Foto: Martin Schiefelbusch |
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Straßenbahn in Lyon im futuristischem Design. Im Vergleich dazu erscheinen deutsche Straßenbahnen eher bieder. Das gilt auch für die neuen Flexity-Züge in Berlin. Foto: Matthias Horth |
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Andererseits kann sich eine rasche Vergabe
von Finanzmitteln auch als „Schnellschuss“
erweisen, insbesondere dann, wenn
nicht ohne weitere Untersuchungen deutlich
wird, welches öffentliche Verkehrsmittel
im Einzelfall das Richtige ist. So ist in einigen
französischen Städten geplant, Bussysteme
auf Eigentrassen (bzw. mit sonstiger zusätzlicher
Ausstattung) zu schaffen, so etwa in
Saint-Brieuc, Cannes, La Rochelle, Nancy
und Nîmes. Wären diese Aufwendungen
aber in einigen Fällen nicht besser in „klassischen“
Straßenbahnlinien investiert?
Besonders problematisch ist in diesem
Zusammenhang die plötzliche Kehrtwende
der nordfranzösischen Stadt Valenciennes
im Oktober letzten Jahres. Dort wurde
am 16.6.2006 die Straßenbahn wieder eingeführt
– zunächst auf einer Linie, die am
3.9.2007 an ihrem südwestlichen Streckenende
um einige Stationen verlängert werden
konnte. Für weitere Strecken scheint die
Stadt aber nicht mehr die Tram, sondern ein
Bussystem namens Valway zu favorisieren.
Dabei handelt es sich nach ersten Bekanntmachungen
um eine Art O-Bus auf Eigentrasse
– im Grunde also „konventioneller
Wein“ mit neuem Etikett. Dass es sinnvoll ist,
ein solches „Patchwork“ nicht kompatibler
Systeme in einer Stadt mit lediglich 350 000
Einwohnern zu schaffen, darf bezweifelt
werden.
Großer Zuwachs, aber kleine Basis
Zudem muss bei allen diesen Plänen berücksichtigt
werden, dass Frankreich in den
ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten
Weltkrieg (und auch vorher schon) unzählige
Eisenbahn-, Straßenbahn- und O-Busnetze
aufgegeben hat. Dadurch und infolge des
umfassenden Trends zur Autonutzung sank
die Inanspruchnahme des Öffentlichen Personennahverkehrs
außerordentlich, vielerorts
bis fast zur Bedeutungslosigkeit – die
Region Île de France mit Paris einmal ausgenommen.
Eine wahrnehmbare Umkehr dieses
Trends setzte erst ab 1985 mit der Wiedereinführung
der Straßenbahn in verschiedenen
Städten Frankreichs ein. Die aktuellen
Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV in
Frankreich zielen folglich darauf ab, die
Nachfrage nach Bahnen und Bussen erst
einmal im Grundsatz weiter zu verbessern.
Einen vergleichbaren Kahlschlag beim Angebot
öffentlicher Verkehrsmittel hat es in
Deutschland bislang nicht gegeben, daher
geht es hierzulande heute oftmals eher darum,
prinzipiell gute ÖPNV-Angebote auch in
schrumpfenden Städten zu erhalten.
Ehrgeizig: „Grand Paris“
Von Schrumpfung kann in der Hauptstadt
Frankreichs allerdings keine Rede sein. Präsident
Sarkozy stellte am 29. April 2009 das
Projekt „Grand Paris“ vor. Der Ballungsraum
Paris mit seinen 11 bis 12 Millionen Einwohnern
soll wesentlich „grüner“ werden und
viel weniger Energie verbrauchen als bisher.
Erwartungsgemäß wurden auch großzügige
Pläne zum Ausbau
öffentlicher
Verkehrsmittel
vorgelegt. Neben
verschiedenen
Schnellbahnstrecken
ist derzeit
zusätzlich ein automatisches
Metrosystem
mit einer
130 Kilometer umfassenden
Ringlinie
geplant. Geradezu
bescheiden
nehmen sich im
Verhältnis dazu die
ebenfalls durchaus
ambitionierten Erweiterungspläne für die
Pariser Straßenbahn aus.
Inwieweit alle diese Pläne in Frankreich
im Allgemeinen und in Paris im Besonderen
praktikabel und finanzierbar sind, bleibt abzuwarten.
Was den Eisenbahnverkehr betrifft, so beziehen
sich viele Ausbauvorhaben wie in der
Vergangenheit stark auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr
(Lignes à grande vitesse). Projekte
für Schnellfahrstrecken gibt es zur besseren
Erreichbarkeit der Bretagne, des Loire-
Gebietes, des Burgunds, des Elsasses, der Alpen,
der Provence und der Côte d’Azur. Eine
wichtige Rolle spielt bei Eisenbahnprojekten
die Ausweitung des Schienengüterverkehrs,
wofür auch derzeit stillgelegte Strecken herangezogen
werden könnten. Hingegen soll
dem Lkw-Verkehr eine Emissionssteuer auferlegt
werden. Umweltschützer kritisieren
diese Steuer jedoch als zu niedrig, um echte
Verlagerungseffekte auszulösen.
Im Bereich des regionalen Eisenbahnverkehrs
sind im Zusammenhang der Grenelle
de l’environnement ebenfalls Vorhaben entwickelt
worden, Strecken(netze) zu erhalten
bzw. zu erneuern, z. B. in der Auvergne.
Handlungsbedarf im ländlichen Raum
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Bahnhof Aumontzey in den Vogesen an der stillgelegten Bahnstrecke Bruyères—Gérardmer. Geht es nach dem Verein TG2V, werden hier wieder regelmäßig Personenzüge verkehren. Vor allem der Tourismus würde davon profitieren. Foto: tg2v.org |
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Gleichwohl gibt es außerhalb der Ballungsräume
bzw. Großstädte noch weitreichenden
Handlungsbedarf bei der Förderung
des Schienenverkehrs. Stellvertretend sei
die seit 1988 stillgelegte Bahnstrecke nach
Gérardmer in den Hohen Vogesen genannt.
Seit 2004 müht sich der Verein TG2V vor Ort
um die Wiederinbetriebnahme dieser unter
anderem für den Wintersport-Verkehr bedeutsamen
Strecke (http://www.tg2v.org ).
Folgen den hehren Worten Sarkozys nun
auch konkrete Taten, was die Förderung solcher
kommunaler Bahnprojekte angeht? Wo
ein Wille ist, findet sich auch ein Weg. Das
zeigt jedenfalls das Beispiel der Stadt Grasse –
von Gérardmer aus betrachtet gewissermaßen
am anderen Ende Frankreichs gelegen,
nämlich in der Region Provence-Alpes-Côte
d’Azur – und ebenso wie Gérardmer ein Ort,
der traditionell viele Touristen anzieht. Nach
jahrzehntelanger Abstinenz fahren seit 2005
wieder Reisezüge bis in die Parfumstadt Grasse,
Endpunkt einer Strecke, die für die Reaktivierung
nicht nur modernisiert, sondern auch
(wieder) elektrifiziert wurde.
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Recht störungsanfälliger Betrieb: Straßenbahn auf Gummirädern und mit Führungsschiene in Nancy in Lothringen. Besser wäre es, das System zu einer „richtigen“ Straßenbahn auszubauen und mit dem regionalen Eisenbahnnetz zu verknüpfen. Foto: Martin Schiefelbusch |
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Fazit
Insgesamt scheint die Verkehrspolitik Frankreichs
aus Fahrgastsicht eine vielversprechende
Wendung zu nehmen, mag die Entwicklung
auch im einen oder anderen Fall
Anlass zur Kritik geben. Es wäre wünschenswert,
wenn auch in Deutschland öffentliche
Verkehrsmittel weniger als Kostgänger oder
als Objekt fragwürdiger Börsenträume betrachtet
würden, sondern als das, was sie
eigentlich sind: vorteilhaft und unerlässlich
für eine ebenso ökologisch wie sozialverträglich
ausgerichtete Gesellschaft. (hjb) Berliner Fahrgastverband IGEB
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