Verkehrspolitik und -planung

Zur Strukturreform der Bundeseisenbahnen

Im Vorfeld der Beschlüsse zur Strukturreform bei den Deutschen Bahnen fand am 19. Januar in Bonn eine Anhörung statt. Zu diesem Termin hatte das Bundesverkehrsministerium u.a. PRO BAHN eingeladen. Die Vertreter des Verbandes nutzten den Anlaß, die bereits vom Bundeskongreß der Fahrgäste 1989 erhobenen Forderungen nach geregelter Beteiligung der Fahrgäste einzubringen (s. "Berliner Resolution" in SIGNAL 6/89 ). Nachfolgend dokumentieren wir die vollständige, inzwischen schriftlich eingereichte Stellungnahme.

Vorbemerkung

Die Ziele der Strukturreform und in Grundzügen auch die im Januar 1993 vorgelegten Gesetzes- und Gesetzesänderungsentwürfe werden vom PRO BAHN-Hauptverband ostdeutscher Fahrgastverbände begrüßt. In einigen Punkten allerdings erscheint uns eine Nachbesserung der Entwürfe erforderlich, die im folgenden beschrieben werden. Die nachstehende Grundposition des PRO BAHN-Hauptverbands ostdeutscher Fahrgastverbände zur Strukturreform der Bahn erhebt nicht den Anspruch der umfassenden Auseinandersetzung mit der Bahnreform. Als Fahrgastverband haben wir uns hier bewußt auf die Sicherung von "Grundrechten" der Fahrgäste beschränkt, um die Grundversorgung an umweltfreundlichem Schienenverkehr im Rahmen der Daseinsvorsorge von Schienenverkehrswege-Infrastruktur für die Zukunft zu reklamieren.

1. Die Bundesländer müssen mit ausreichenden finanziellen Mitteln zum Betreiben des SPNV ausgestattet werden.

Da die Länder künftig die Grundversorgung des öffentlichen Nahverkehrs auf der Schiene sicherzustellen haben, benötigen sie dafür eine zusätzliche finanzielle Ausstattung. Nur so kann die auch in der Begründung zur Strukturreform genannte Zielsetzung, den ÖPNV zu fördern, erreicht werden, da dieser in den meisten Fällen nicht kostendeckend betrieben werden kann. Eine solche Finanzausstattung kann durch eine Aufstockung der GVFG-Mittel und gleichzeitige Öffnung des GVFG für die Förderung des laufenden Betriebes, jedoch nur bis zur Höhe der aufgestockten Mittel, erreicht werden. Denkbar ist aber auch eine Neuaufteilung des Mineralöl- oder eines anderen Steueraufkommens zugunsten der Länder. In welchem Umfang sich die finanzielle Ausstattung bewegt, muß zwischen Bund und Ländern grundsätzlich geklärt werden. Auf jeden Fäll muß die entsprechende Gesetzesänderung mit der Bahn-Strukturreform verabschiedet werden.

2. Erhalt der Bahn-Infrastruktur darf nicht von wirtschaftlichen Interessen abhängen.

Die Schienenwege und der darauf ablaufende Verkehr sind Daseinsvorsorge für die Bevölkerung. Der Nahverkehr wird als Grundversorgung eingestuft. Aus diesen fundamentalen Gründen müssen für alle Schienenwege - auch Zweigstrecken - Bestandsgarantien rechtlich verankert werden. Nur wenn Konsens darüber besteht, daß ein Schienenweg nicht mehr benötigt wird, auch nicht zur Grundversorgung, kann über ein geeignetes Verfahren auf den Erhalt verzichtet werden. Dieser Konsens kann aber nur durch politische Gremien festgestellt werden, keinesfalls durch eine eigenwirtschaftlich ausgerichtete Gesellschaft. Deshalb sollte der Fahrweg grundsätzlich im öffentlichen Eigentum (Bund, Länder, Kommunen) bleiben, so wie dies bei den übrigen Verkehrswegen (Straßen, Autobahnen, Wasserstraßen) üblich ist. Bei Schaffung von durch PRO BAHN Ost-Deutschland nicht mitgetragenen Schienenwegeunternehmen muß sichergestellt werden, daß bei fehlendem Interesse eines solchen Unternehmens am Betrieb einer Strecke diese Strecke in öffentlichen Besitz(Bund", Land, Kommune) übergeht. Grundstücksspekulationen seitens des Eigentümers sollen damit weitgehend vermieden werden, da der Weiterverkauf von Grundstücken der Strecke nur möglich ist, wenn alle betroffenen Gebietskörperschaften den endgültigen Verzicht auf die Betriebsstrecke beschlossen haben. Hierbei muß es sich um Mitentscheidung handeln. Das Verfahren der bloßen Stellungnahme, wie bislang in § 44 BbG geregelt, ist für die Entscheidungsträger nicht bindend und daher unzureichend. Für die Zukunft muß ein bedarfs- und betroffenenrelevantes Auflassungsverfahren geregelt sein.

3. Das Streckennetz muß vor der Regionalisierung auf modernen Stand gebracht werden.

Vielfach wurden von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn notwendige Ersatzinvestitionen insbesondere ins Zweigstreckennetz nicht getätigt. Diese jetzt anfallende finanzielle Last darf im Zuge des Übergangs der Verantwortung für solche Strecken auf Länder und Kommunen diesen nicht aufgebürdet werden, sofern die Strecke für einen festzulegenden Mindestzeitraum für den Verkehr benötigt und betrieben wird. Vorhandene Güterstrecken oder bereits stillgelegte Strecken müssen hierbei ebenfalls Gegenstand sein. Dieser Sachverhalt sollte in einem, im Rahmen der Strukturreform, ebenfalls neu zu schaffenden "Regionalisierungs-Gesetz" festgeschrieben werden.

4. Verkehrliche Einheit des Eisenbahnwesens

Um im Personenverkehr die Eisenbahnen auch durchgehend über mehrere Strecken bzw. Züge unterschiedlicher Unternehmen benutzbar zu halten, müssen rahmenrechtliche Richtliniengeschaffen werden, welche folgendes gewährleisten:

  • durchgehende Fahrkarten,
  • aufeinander abgestimmte Fahrpläne,
  • einheitliche Fahrplanperioden,
  • gemeinsame Veröffentlichung der Fahrpläne (Kursbuch),
  • Vermeidung willkürlichen Ausfalls planmäßiger Züge (nicht berührt sind hierdurch Verspätungen, höhere Gewalt, etc.).

Diese Ziele müssen im Allgemeinen Eisenbahn-Gesetz (AEG) festgeschrieben werden, wie dies in der Schweiz üblich ist bzw. für den Bereich der Tarife im § 6 Abs. 2 des derzeitigen AEG geregelt wird. Falls Unternehmen sich nicht an diese Regelungen halten, muß die Betriebsgenehmigung gem. § 6 des neuen AEG zurückgezogen werden.

5. Nahverkehr muß sichergestellt werden

Wird der Nahverkehr als Grundversorgung auf einer bestimmten Strecke vom Land oder den Kommunen für erforderlich gehalten und bestellt, muß die Durchführung sichergestellt werden. Sie darf nicht durch überhöhte Infrastruktur-Benutzungsentgelte oder gar ausschließliche Vorhaltung von Fahrplantrassen für andere Verkehrsarten unmöglich gemacht werden. Dieses Ziel kann nur durch das Verbleiben der Schienenwege in öffentlicher Hand oder eine die Schienenwegeunternehmen verpflichtende gesetzliche Regelung sichergestellt werden.

6. Grundversorgung im Fernverkehr

Damit sich der Fernverkehr nicht ausschließlich auf lukrative Fahrplantrassen beschränken kann, muß der Bund die Mobilität der Bevölkerung durch eine Grund versorgungsgarantie gewährleisten. Bei entsprechendem Bedarf, der durch die Betreiber nicht als solcher erkannt wird, muß notfalls der Bund als Besteller fungieren.

7. Bundesanstalt statt Bundesamt - Mitbestimmung der Fahrgäste

Da die Eisenbahnen der Versorgung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen dienen, also im öffentlichen Interesse handeln, muß der längst überfälligen Mitbestimmung der Fahrgäste bei der Angebotsgestaltung in Schienenpersonenverkehrs-Untemehmen in geeigneter Form Rechnung getragen werden, ähnlich den Möglichkeiten nach dem Betriebsverfassungsrecht für das Personal. Hierzu ist es erforderlich, daß Fahrgastverbände als Interessenträger rechtliche Anerkennung erfahren. Das im Entwurf des Gesetzes über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes §2 Abs. 1 geforderte Eisebahn-Bundesamt sollte nicht als Bundesoberbehörde, sondern als selbstverwaltete Bundesanstalt geschaffen werden. Hier böte sich die Möglichkeit der Mitbestimmung nicht nur der Fahrgastverbände in Verwaltungsrat oder Vertretergremien.

PRO BAHN
Hauptverband ostdeutscher Fahrgastverbände

aus SIGNAL 2/1993 (März 1993), Seite 16

 

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