... Unter solchen Voraussetzungen wuchs
die Zahl der erholungsuchenden Stände,
wie auch der Bedarf an standesgemäßen
Unterkünften. Um der steigenden Nachfrage
gerecht zu werden, wurden in großem
Maße, vornehmlich von Berliner Finanziers,
Villen, Pensionen, Hotels und
„Logierhäuser' in jener Pracht und Vielfalt
errichtet, wie man sie teilweise in den Kaiserbädern
heute noch findet. Und möglich
wurde diese Entwicklung zum großen Teil
erst durch den Ausbau des preußischen Eisenbahnnetzes
und besonders dem Bau
der Bahnlinie Ducherow-Swinemünde.
Aber folgen wir nun wieder dem Schienenstrang,
der von Berlin ausgehend seinen
Weg durch die Mark Brandenburg in
Richtung Ostsee nahm.
Über das Wasser - Die Eisenbahnbrücken
von Karnin
Bei den Vorbereitungen und der Planung
der Bahnlinie war man sich über eine große
Schwierigkeit besonders bewußt: die
Überquerung des Peenestroms bei den Orten
Kamp und Karnin. In allen Streckenvarianten
war das Wasser ein entscheidendes
Hindernis, weshalb man sich damals
mit der Entscheidung so schwer tat. Als
die Berlin-Stettiner Eisenbahn sich schließlich
für die endgültige Variante Swinemünde
- Ducherow entschied, geschah
dies wohl auch unter dem Gesichtspunkt,
daß bei diesen beiden Orten die Insel dem
Festland am nächsten war. Zudem konnte
für den Trassenbau durch das Haffbruch
eine Art natürlicher Damm genutzt werden,
was die Kosten gering hielt.
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Blick auf Karnin, ca 1955. In diesem Zustand dämmerte das Areal bis 1998 dahin. Das Bahnhofsgebäude ist zwischen den Bäumen am Bahndamm erkennbar. Foto: Reimann, Sammlung Ausstellungs- und Informationscenter Hist. |
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Bahnhof Karnin. Bahnhofsgebäude Karnin, zwei Wochen vor Beginn der Rekonstruktion 1998. Foto: Sammlung Joachim Evers |
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Nach der Rekonstruktion, im Juni 1999, ist das Bahnhofsgebäude wieder ein Schmuckstück. Foto: Sammlung Ausstellungs- und Informationscenter Historischer Bahnhof Karnin. |
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Die für die Querung des Peenestroms
vorgesehene Stelle maß aber immer noch
rund 500 Meter, was ein kostspieliges
Brückenbauwerk bedeutete. Man entschied
sich schließlich, durch festland- und
inselseitige Dammschüttung den Strom
hier noch einmal einzuengen, bis insgesamt
360 Brückenmeter übrig blieben. Als
Folge davon entstanden die kleinen Hafenanlagen
in Kamp und Karnin.
Man stand vor der Frage, welcher Art
die Brücke sein sollte. Um eine Schiffsdurchfahrt
durch die flach über dem Wasser
geführte Brücke zu ermöglichen, kam
nach den damaligen technischen Möglichkeiten
nur eine Klapp- oder Drehbrücke in
Frage. Diese waren wegen ihrer einfachen
Statik und Antriebstechnik beliebt und
weit verbreitet. Den Ausschlag gab die
Schiffahrtsverwaltung, die im Brückenbereich
für jede Fahrtrichtung eine getrennte
Durchfahrt forderte.
Man entschied sich für eine Drehbrücke
und 1874 begann der Brückenbau. Als
Standort wählte man die tiefste Stelle der
Fahrrinne. Dadurch wurden zur Festlandseite
drei feste Brückenüberbauten und
inselseitig deren zwei notwendig.
Zwar wurde die gesamte Strecke eingleisig
gebaut, man bewies aber Weitblick, indem
Bahnkörper und Brückenfundamente
schon für zweigleisigen Betrieb ausgelegt
wurden. Das Drehteil selbst saß auf einem
Mittelpfeiler, der somit gleichzeitig die
Fahrtrichtungen für die Schiffahrt trennte.
Die Auflager der Drehbrücke waren jeweils
von zwei Türmen eingerahmt, in denen
neben dem notwendigen Bedienungspersonal
für Signale und Brücke auch Wachmannschaften
untergebracht werden
konnten, denn ein so wichtiges Bauwerk
mußte auch unter militärischen Gesichtspunkten
geplant werden. Deshalb befand
sich an der Brückenzufahrt auf der Festlandseite
ein kleines Festungsbauwerk (Kasematte),
um die Brücke im Bedarfsfall verteidigen
zu können.
Die Bedienung der Drehbrücke erfolgte
von Hand. Im Gegensatz zu heute hatte
der Schiffsverkehr Vorrang und so mußte
die Brücke ständig geöffnet sein und durfte
nur zum Passieren eines Zuges geschlossen
werden. In so einem Fall begab sich
das Brückenpersonal zu einem Ruderboot,
setzte zum Mittelpfeiler über und begann
dort mittels Kurbel das Drehteil ein- bzw.
auszuschwenken. Diese Aktion nahm ca.
eineinhalb Stunden in Anspruch.
Da es außer Fähren keine andere Verbindung
zwischen Insel und Festland gab, befand
sich an der nordwestlichen Seite der
Drehbrücke ein Steg für Fußgänger, der
bei geschlossener Brücke benutzt werden
konnte.
Da zu jener Zeit die Segelschiffahrt noch
überwog, wurden auch hier besondere
Vorkehrungen getroffen. So durften Segelschiffe
nur bei bestimmten Windverhältnissen
aus eigener Kraft die Brücke
passieren, mußten aber ansonsten die Hilfe
von Schleppern in Anspruch nehmen.
In der Sommersaison wurde aufgrund
des erhöhten Personenverkehrs die Strecke
als Hauptbahn geführt und im Winter als
Nebenbahn.
Höchstgeschwindigkeit auf der Strecke
war ca. 75 km/h für Personen- und maximal
45 km/h für Güterzüge. Nachts verkehrten
keine Züge.
Nach zweijähriger Bauzeit wurde die
Brücke im Dezember 1875 fertiggestellt.
Jeder der festen Überbauten hatte eine
Länge von 61,60 Meter, die Drehbrücke
selbst war 43,90 Meter lang und 3,10 Meter
breit. Über dem Mittelpfeiler hatten die
Blechträger eine Höhe von 1,95 Meter, an
den Endauflagern von 0,86 Meter.
Am 15. Mai 1876 wurde die Bahnlinie
mit den Bahnhöfen Karnin, Usedom, Dargen
und Swinemünde ohne große Feierlichkeiten
in Betrieb genommen.
Verschleiß und Ausbau
der Drehbrücke
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Die Hubbrücke nach der Sprengung 1945. Foto: Sammlung Hans Nadler, Leipzig |
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Von Beginn wies die Drehbrücke bei Karnin
Mängel auf, die nie richtig beseitigt
werden konnten. Die Gründe lagen in ihrer
Konstruktion und im Material. Als Folge
dieses Zustandes versah man die Drehbrücke
1890 mit einer Verschlußvorrichtung.
Mit den Jahren stieg die Wirtschaftlichkeit
der Strecke stetig an, besonders
aufgrund des kräftig aufstrebenden Tourismus
in Swinemünde und anderen Seebädern
der Insel Usedom.
Die Verkehrslasten und die Anzahl der
Züge in den Sommermonaten erhöhte
sich. Ab 1892 verkehrten zudem an Wochenenden
neueingerichtete Schnellzüge,
im Volksmund „Strohwitwer-Expreß" genannt.
Das erhöhte Verkehrsaufkommen erforderte
die Sanierung der Brücke und den
Ausbau der Strecke. 1907 wurde mit dem
schrittweisen Ausbau der Strecke (von
Swinemünde ausgehend) begonnen, die,
nach der technischen Abnahme am
23. Mai 1908 zum 1. Juli desselben Jahres
in Betrieb genommen wurde.
Wesentliche Veränderungen im Brückenbereich
waren der Neubau der Überbauten
für das zweite Gleis und die Verstärkung
der seit 1876 bestehenden Überbauten
des nordwestlichen Gleises. Neben
die vorhandene Drehbrücke baute man
eine identische zweite, welche mit der ersten
mechanisch gekuppelt wurde. Hinzu
kam ein elektrischer Antrieb, der die mühsame
Handbedienung ablöste und die
Schließzeit auf ca. eine halbe Stunde begrenzte.
Allerdings unterstand auch diese
neue Technik einem hohen Verschleiß und
es kam häufig zu Kabelbrüchen.
Mit diesem Ausbau wurde die gesamte
Strecke zwar endgültig zur Hauptbahn,
doch alte Probleme blieben nach wie vor
bzw. mehrten sich. Es war abzusehen, daß
die Drehbrücke und die alten Überbauten
des nordwestlichen Gleises den Beanspruchungen
nicht länger standhalten würden.
Demontage und Neubau
Mittlerweile waren alle Eisenbahnen verstaatlicht
und die K.P.E.V. von der Deutschen
Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) abgelöst
worden. Diese war nun verantwortlich
für den Neubau der Brücke bei Karnin.
Man entschied sich für eine bis dahin ein
Deutschland einmalige Konstruktion im Eisenbahn-Brückenbau,
deren Vorbild das
zur gleichen Zeit im Bau befindliche
Schiffshebewerk in Niederfinow bei Eberswalde
war: eine nach dem Fahrstuhlprinzip
arbeitende Hubbrücke. Die Bauarbeiten
begannen im Frühjahr 1932.
Die gemauerten Türme auf den Wiederlagern
wurden abgenommen, denn die
Pfeiler sollten das eigentliche Hubgerüst
der neuen Brücke tragen.
Die Ausführung des Stahlbaus wurde
der Firma Beuchelt aus Grünberg (Schlesien)
übertragen, während MAN Mainz/Gustavsburg
für Aufhängungen, Gegengewichte
und maschinentechnische Ausrüstung
zuständig war.
Bei der gesamten Konstruktion machte
man sich den Umstand zunutze, daß der
Mittelpfeiler, der die alte Drehbrücke getragen
hatte, erhalten bleiben mußte. Dieser
diente nun als drittes Auflager.
Das Gewicht eines Hubüberbaus betrug
134 Tonnen. Dieser hing, verbunden
durch Stahlseile, an zwei Gegengewichten,
mit zusammen 132 Tonnen. Der
Kraftaufwand des Motors, der zum Hub
benötigt wurde, konnte dadurch gering
gehalten werden. Das erklärt sich dadurch,
daß lediglich die Differenz von zwei
Tonnen zwischen Gegengewichten und
Hubüberbau bewältigt werden mußten.
Zudem wurde die Gewichtsverteilung gerade
so gewählt, um eine sichere Auflage
des Hubüberbaus im heruntergefahrenen
Zustand zu gewähren.
Jeder Träger eines Hubüberbaus war an
seinen Enden durch je zwei Haupttragseile
mit dem Gegengewicht verbunden. Das
zum Heben und Senken der Hubüberbauten
notwendige Hubwerk befand sich
in der Mitte des Hubgerüsts zwischen den
beiden Längsriegeln. Für jeden Überbau
gab es einen 33 PS leistenden Motor mit
zwei Seiltrommeln. Durch die mittige Anordnung
des Hubwerks wurde die unterschiedliche
Längung der Seile verhindert.
Vom Bedienungsraum aus konnte an einem
Teufenanzeiger die jeweilige Höhenlage
der Hubüberbauten abgelesen werden.
Ferner war vor dem Bedienungsraum
eine freie Bühne, die zum einen gute Sicht
auf das gesamte Brückenbauwerk bot sowie
zum Abstellen von Lasten diente, die
mittels eines am ersten Hubturm neben
dem Bedienungshaus angebrachten Lastkran
bewegt werden konnten. Am Turm
befand sich zudem eine kleine Treppe,
über die man nach oben auf das Hubgerüst
gelangte, zum Beispiel zu Wartungszwecken.
Am südostlichen Gleis befand
sich ein Fußweg, über den man bei
heruntergefahrenem Hubüberbau den
Peenestrom überqueren konnte.
Wer oft Bahn fährt kennt sicher das heftige
Stoßen der Wagen bei schlechten
Schienenübergängen. Bei der Hubbrücke
Karnin wäre dies im Bereich der festen
Überbauten auf die beweglichen Hubteile
der Fall gewesen. Um das zu vermeiden,
entwickelte man abklappende Schienenzungen,
die sich im geschlossenen Zustand
an Backenschienen der festen Überbauten
anlegten. Dadurch entstand keinerlei
Beeinträchtigung der Überfahrt und
die mit 110 km/h ausgelegte Brücke konnte
im Regelfall mit 100 km/h befahren
werden.
Im Regelbetrieb waren die beiden Hubüberbauten
stets in höchster Lage, denn
der Schiffsverkehr hatte Vorrang und die
Wasserstraße mußte generell frei sein. Daher
wurden die Hubüberbauten auch stets
gemeinsam bewegt, weil „...die Schiffer
wenig an die Beachtung von Signalen gewöhnt
sind und daher zu fürchten ist, daß
sie, wenn zunächst nur ein Überbau nach
oben fährt, ihr Schiff irrtümlich zu früh in
Bewegung setzen und dann gegen den
zweiten Überbau fahren." So arg mißtraute
die DRG den Schiffern. Abgesehen davon
konnten die Hubteile natürlich einzeln
bewegt werden.
Am 26. Juni 1933 war der nordwestliche
Brückenzug fertig und wurde zum ersten
Mal Probebefahren. Am 15. September
1933 schließlich übergab man ihn unter
dem Jubel der anwesenden Bauarbeiter
und Ingenieure dem offiziellen Betrieb.
Schon Ende Dezember konnte die gesamte
Eisenbahnbrücke bei Karnin als neue
und leistungsfähige Schienenverbindung
komplett in Betrieb genommen werden.
In knapp zweijähriger Bauzeit war an
dieser Stelle die bis dahin modernste Eisenbahn-Hubbrücke
Europas und die
einzige auf der Welt mit einem Mittellager
entstanden. Heute kann man ohne Übertreibung
vor dieser einfachen wie genialen
technischen Leistung bewundernd den
Hut ziehen.
Aber schon bei ihrer Einweihung 1933
zogen gerade in Berlin, dem Ort, den ihr
Bau eigentlich so bequem mit der Insel
Usedom verbinden sollte, dunkle Wolken
auf.
Das letzte Kapitel?
Mit dem Beginn des dunkelsten Abschnitts
der deutschen Geschichte erfuhren Bahnlinie
und Brücke eigentlich ihre Blütezeit
und es mag wie ein böses Omen sein, daß
das Ende des Dritten Reiches gleichzeitig
ihr Ende war.
Fortsetzung in SIGNAL 7/2000
Für alle, die den ersten Teil versäumt haben:
Sie finden ihn auf der IGEB-Homepage
„www.igeb.org ". Usedomer Eisenbahnfreunde e. V.
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