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Reisevorbereitungen:
Berlin, Stettin und Swinemünde
Wer heute die Insel Usedom zu seinem
Reiseziel wählt, kann gewiß sein, daß er,
aufgrund der landschaftlichen und strukturellen
Vielfalt des Eilands in der Odermündung,
ein geeignetes Fleckchen finden
wird, das seinen Neigungen und Ansprüchen
zusagt.
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Südlich von Aklam, dort wo die Inselzunge am weitesten an das Festland heranreicht, stand die Hubbrücke Karnin; heute nur noch ein Eisenrest in der Ostsee. Der ehemalige Streckenverlauf von Ducherow auf die Insel Usedom ist mit Punkten gekennzeichnet. Bei gutem Wetter ist die Hubbrücke von Karmin übrigens auch aus der Eisenbahn zu erkennen. Karte: Deutsche Reichsbahn, Sammlung IGEB |
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Ob entlang des Achterwassers, wie der
Peenestrom, der die Insel vom Festland
trennt auch genannt wird und wo stille,
vergessen scheinende Winkel und Orte wie
ungeschliffene Kostbarkeiten die Neugier
wecken, oder in Heide, Wald und Moor
wie bei Mellenthin oder dem Thurbruch,
kann der aufmerksame Beobachter selten
gewordene Tierarten und Pflanzen entdecken.
Kleine Seen mit reizvollen Ufern,
landschaftliche Erhebungen, sprachlich
gutmütig Berge genannt und in ihrem Ergebnis
Zeugnisse der eiszeitlichen Moränen
wecken die Lust auf Natur. Als Badegast
in einem der wiederaufstrebenden
Kaiserbäder, beim Schlendern auf den
prächtig rekonstruierten Promenaden und
unter dem steten Rauschen der Ostsee
und einem manchmal brisenden Landwind,
kann man angesichts vornehmer
Gäste und Bediensteter auf den Cafe-Terrassen
der Hotels, einen vermeintlichen
Hauch der einstigen Exklusivität dieser
Orte empfinden. In einem Strandkorb vielleicht,
wie ehedem die Großeltern dem
Jauchzen und Lachen Badender im Meer
lauschend, wird der eine oder andere vielleicht
den Ton oder das Bild in der Erinnerung
behalten, das letztlich für ihn den
Zauber der Insel ausmacht.
Möglicherweise sind seine Eindrücke
ähnlich denen der ersten Badegäste vor
hundert oder noch mehr Jahren die, damals
wie heute, Anlaß für die Gründung
und die darauf folgende rasche Entwicklung
der Seebäder auf Usedom Mitte des
19. Jahrhunderts waren.
Das erste von ihnen war Swinemünde,
das als drittes deutsches Seebad um 1821
einen geregelten Badebetrieb aufnahm.
Die Ursprünge, so heißt es, gehen auf eine
Initiative des preußischen Staates zurück,
der verwundete Offiziere des Französischen
Krieges 1806 - 1813 zur Genesung
nach Swinemünde schickte. Als Folge dieser
Aktion entwickelte sich daraus ein erster
Badetourismus, dem schon bald andere
Orte folgten, so zum Beispiel das
wohl bekannteste Seebad auf der Insel
Usedom, Heringsdorf.
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Postkarte von Swinemünde, 1910. Sammlung: Joachim Evers |
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„Die Gründung Heringsdorfs erfolgte im
Jahre 1819. Oberhofmeister v. Bülow, Besitzer
der Herrschaft Gothen und der Dörfer
Neuhof und Neukrug, lichtete einzelne
Waldstellen und verkaufte diesen BauplatzÄ
an Büdner und Fischersleute.
Im Laufe der Zeiten, in denen sich
Heringsdorf mehr und mehr vergrößerte,
wechselten die Besitzer. Im Jahre 1872
wurde Seebad Heringsdorf von der Gräfin
zu Stolberg-Wernigerode an eine Aktiengesellschaft
verkauft, die, unter Leitung
der Familie Delbrück stehend, mit Geschick
und Geldopfern Heringsdorf zu einem
Bad ersten Ranges gemacht hat ...
Der Name Heringsdorf ist königlichen Ursprungs.
Auf einer Reise von Swinemünde
nach Wolgast am 6. Juni 1820 verweilte
König Friedrich Wilhelm III. in der neuen
Schöpfung des Oberhofmeisters von Bülow,
u m Augenzeuge des Heringsfanges
zu sein. Bei d em Genuß frischgefangener
Heringe verlieh der gleichzeitig anwesende
Kronprinz, später König Friedrich Wilhelm
IV., den Namen 'Heringsdorf"'(Aus: See-,
Sol- und Moorbad Heringsdorf, 1928)
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Die Karniner Drehbrücke (nach 1908). Blick von Kamp nach Karnin. Sammlung: Hans Nadler, Leipzig |
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Nun mag man heute zuweilen darüber
streiten, wann genau Heringsdorf gegrünt,
det wurde und von wem und ob es sich
mit der Namensgebung tatsächlich so verhielt.
In unserem Fall ist das noch nicht so
entscheidend. Für uns ist erst einmal wichtig
zu wissen, daß die Entstehung und
Entwicklung der Seebädern auf Usedom
mit ausschlaggebend war für den Bau der
Bahnlinie Ducherow - Swinemünde.
Denn Swinemünde und sein Hafen auf
der einen und die Inseln Usedom und
Wollin auf der anderen Seite waren von
großer strategischer und wirtschaftlicher
Bedeutung für den preußischen Staat.
Ohne diese Tatsache hätte es sicher noch
sehr lange gedauert, bis eine Anbindung
der Insel an das Festland und somit an das
Verkehrsnetz von und nach Berlin geschaffen
worden wäre.
Die Gründe dafür waren eine Folge des
Stockholmer Friedens von 1720. Darin
wurde Pommern, mit der Peene als Grenze
(und darin eingeschlossen die Inseln Usedom/Wollin)
Brandenburg-Preußen zugeschlagen,
wobei der Rest Vorpommerns
(einschließlich Rügens) schwedisch blieb.
Da nun das Hauptfahrwasser in das Oderhaff,
allein aufgrund des Tiefgangs, die
Peene war, ergab sich die ärgerliche Situation,
daß Schweden diesen Zugang zum
Haff, und somit die Versorgung Stettins
und des übrigen Landes, nach Belieben
kontrollieren und im schlimmsten Fall gar
unterbinden konnte. Also gewann der Hafen
von Swinemünde an eben besagter
Stelle strategischer Bedeutung, da er
Preußens einziger Zugang zur Ostsee war
und dem Staat als eine Art Brückenkopf in
der schwedischen Einflußspähre eine gewisse
Unabhängigkeit brachte.
Diese Umstände brachten eine Menge
Unannehmlichkeiten mit sich. Wohl war
der Weg in das Haff über die Swine kürzer,
aber die ungünstigen Strömungsverhältnisse
der Pommerschen Bucht führten
dazu, daß der Hafen von Swinemünde
und somit die Einfahrt in die Swine versandete,
was es großen Überseeschiffen unmöglich
machte, Stettin direkt anzulaufen.
Dadurch entwickelte sich Swinemünz
um 'Vorhafen' für Stettin und wurde
Umschlagsort für die sogenannte Leichterschiffahrt.
Schiffe, denen es aufgrund ihres
Tiefgangs nicht möglich war in die
Swine einzufahren, wurden ganz oder teilweise
entladen (geleichtert) bis sie so
selbst die Fahrt fortsetzten oder das Ladegut
mit leichteren Kähnen oder Schiffen
nach Stettin befördert wurden. Zwar war
man seit Mitte des 18. Jahrhunderts bemüht,
durch Bau von Molen den Hafen
und die Swine vor dem Versanden zu bewahren,
aber alle Aktivitäten waren halbherzig
und scheiterten meist am Geldmangel.
Diesem mißlichen Umstand wurde
erst 1826 mit der Fertigstellung von Ostund
Westmole teilweise abgeholfen.
Swinemünde geriet, inzwischen mittels
der Leichterschiffahrt einen ordenlichen
wirtschaftlichen Aufschwung erfahren,
gegenüber dem übermächtigen Stettin ins
Hintertreffen. Die Umschlagszahlen wie
die Zahl der gebauten Schiffe in Swinemünde
gingen stetig zurück. Zudem waren die ungünstigen
Verkehrsanbindungen
der Inseln Usedom und Wollin ein
Hindernis für eine wirtschaftliche Entwicklung
der Region und der Hafensstadt Swinemünde.
Da keine Brücken die Insel Usedom mit
dem Festland verbanden, mußten Personen
und Güter mit Fähren übersetzen und
das weitere Reisen mit Pferd und Wagen
auf holprigen Straßen in die Seebäder war
langwierig und äußerst unbequem.
Zwischen 1858 und 1861 wurde auf der
Insel wegen umständlicher Verkehrsverbindungen,
zunächst die Chaussee Zecherin
- Usedom - Swinemünde (heute Bundesstraße
110) für 471 000 Reichsmark
gebaut. Jedoch lag darin nicht allein die
Lösung des Problems. Die fand sich im
Ausbau des preußischen Eisenbahnnetzes!
Die Initiative, so heißt es, geht auf den
damaligen Schriftleiter der Ostsee-Zeitung
zurück, der 1835 Stettiner Kaufleuten seine
Idee einer Bahn Berlin - Stettin vorstellte.
Diese waren davon so angetan, daß sie
im März 1836 das Berlin-Stettiner-Eisenbahnkommitee
gründeten. Das war eine
damals durchaus übliche Form, denn der
Staat sah sich außerstande, bei derartig
aufwendigen und auch risikobehafteten
Projekten die Geldmittel beizusteuern.
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Die Eisenbahn-Hubbrücke bei Karnin 1935. Sammlung: Hans Nadler, Leipzig |
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Die im „Kommitee" vereinigten Berliner
und Stettiner Kaufleute waren zunächst
skeptisch, was die zu erwartende Rentabilität
anbetraf, doch die Bedenken wandelten
sich in Euphorie, als man die Zahlen
der 1838 in Betrieb genommenen Strecke
Berlin - Potsdam zum Vergleich heranzog.
Nun wollte der preußische Staat zwar
kein finanzielles Risiko eingehen, doch erkannte
er die Nützlichkeit der Bahn. Auf
Anweisung des Kabinetts vom 10. Juli
1836 erhielt die Berlin-Stettiner-Eisenbahngesellschaft,
wie sie sich nun nannte,
die vorläufige Konzession. Als Gesellschaftssitz
galt Stettin.
Am 12. Oktober 1840 wurde der Bau
der Bahnlinie beschlossen. Als Streckenverlauf
wählte man die Route über Bernau,
Biesenthal, Neustadt, Eberswalde,
Angermünde, Passow, Tantow bis zur
südlichen Festungsanlage Stettin. Ausgangspunkt
in Berlin wurde ein neu zu errichtender
Bahnhof in der Invalidenstraße.
Der Bau wurde in mehreren Etappen rasch
vollzogen, so daß am 15. August 1843 die
Strecke feierlich eröffnet werden konnte.
Das erste Geschäftsjahr erfüllte wirtschaftlich
alle Erwartungen der Aktionäre
und beflügelte sie zum weiteren Ausbau
des Netzes, zumal der Staat sein Interesse
daran bekundete, Pommern wirtschaftlich
zu erschließen. Im Laufe der nächsten Jahre
wurden weitere Strecken eröffnet:
1. Mai 1846 Stettin - Stargard
1. Juni 1859 Belgard - Kolberg
16. März 1863 Angermünde - Anklam
1. Nov. 1863 Anklam - Stralsund
1. Nov. 1863 Züssow-Wolgast
1. Juli 1870 Zopot-Danzig
Am 15. Mai 1876 wurde die Linie Ducherow - Swinemünde
eröffnet. Doch bis es
soweit war, gab es einige Schwierigkeiten
zu überwinden.
Natürlich erkannten die Swinemünder
Kaufleute die Bedeutung einer Anbindung
an das bestehende Streckennetz. Aber sie
hatten voreilig ihre Anteile an der
Eisenbahngesellschaft abgestoßen, so daß sie
nun kein Mitspracherecht mehr hatten.
Die Stettiner dominierten, alle Planungen
gereichten zu ihrem Vorteil. Swinemünde,
daß sich auch aufgrund des beginnenden
Tourismus, ein wenig erholten und neuen
wirtschaftlichen Aufschwung anstrebte,
war ein unliebsamer Konkurrent.
Die Swinemünder Kaufleute setzten alle
Hebel in Bewegung, um das Vorhaben zu
realisieren. „1868 gelang es dem Swinemünder
Konsul Heyse, die Breslau-Schweidnitzer
Eisenbahngesellschaft für
den Bau einer Bahn über die Insel Wollin
zu gewinnen. Die Strecke wurde vorläufig
nur bis Gollnow gebaut. Erst 1890 konnte
sie bis Wollin, 1900 bis Ostswine durchgeführt
werden" (Aus: Die Insel Usedom -
Ein Heimatbuch und Reiseführer, Peter August
Rolfs, 1933). Damit kam man den
Wünschen der Swinemünder Kaufleute
nur bedingt entgegen. Und gerade der
aufstrebende Tourismus forderte eine zeitgemäße
Anbindung, die allenfalls mit
Dampfern von Stettin aus oder wie bisher
mit Fähren und Pferd und Wagen bewerkstelligt
werden konnte.
Swinemünde drohte wirtschaftlich ins
Hintertreffen zu geraten, zumal sogar
Wolgast 1863 einen Bahnanschluß erhielt.
Also setzte man alles daran, angebunden
zu werden. Nachdem man innerhalb der
Eisenbahngesellschaft grundsätzlich bereit
war, Swinemünde an das Eisenbahnnetz
anzubinden, entbrannte nun ein Streit
über die Linienführung. Letztlich schälte
sich die Lösung von Swinemünde über
Usedom nach Ducherow heraus, die nun
energisch bei der der preußischen Regierung
verfochten wurde. Und man besann
sich rechtzeitig (aufgrund eines Hinweises
aus dem preußischen Handelsministerium)
auf die strategische Bedeutung.
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... nach Berlin 179,1 Kilometer, ist noch heute am Bahnhof Usedom zu lesen. Foto: Michael Föge |
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Im April 1872 endlich, nach langen zähen
Verhandlungen, wurde der Bau der
neuen Linie beschlossen. Nach Erteilung
der Konzession durch Preußen am 11. Dezember
1872 konnte schon zu Beginn des
Jahres 1873 mit den Arbeiten auf der ganzen
Strecke begonnen werden. Im Frühjahr
1876 wurde die Inbetriebnahme
durch die Landespolizeibehörde genehmigt,
am 5. Mai 1876 konnte die Strecke
(aus Gründen der Sparsamkeit) ohne große
Jubelfeiern eingeweiht werden.
Einer direkten, bequemen und auch raschen
Anbindung an die begehrten Ferienziele
der Ostsee stand nun nichts mehr im
Wege. Die kraft- und nervenaufreibende
Anreise mit Pferd, Wagen und Fähre gehörte
der Vergangenheit an und Wirtschaft,
Marine und Tourismus profitierten
von diesem mutigen Schritt der
Berlin-Stettiner-Eisenbahngesellschaft, wie wir
im weiteren noch sehen werden.
Abfahrt: Berlin, Stettiner Bahnhof
„...Die Sommerreise war für uns alle etwas
Selbstverständliches, für die Eltern, weil sie
den Hauptteil ihres Lebens in kleinen, fast
ländlichen Städten verbracht hatten und
nie recht Großstädter wurden... Wir Kinder
aber wollten wenigstens einmal im Jahre
»raus«; grade weil wir echte Großstadtkinder
waren, hatte eine Sommerfrische auf
dem Lande alle Reize einer Entdeckungsfahrt
ins Ungewisse für uns." (Aus: Damals
bei uns daheim, Hans Fallada)
Für alle Züge nach Norden an die Ostsee
aber auch Richtung Skandinavien, im Besonderen
jedoch zur „Badewanne Berlins",
der Insel Usedom, war der 1876 gebaute
Stettiner Bahnhof (nach 1945 in Nordbahnhof
umbenannt) Ausgangspunkt für
die Reisenden.
Wie zufällig scheint seine Einweihung
mit der Eröffnung der Bahnlinie Ducherow
- Swinemünde in Zusammenhang zu stehen.
In jedem Falle entwickelte er sich im
Laufe der Jahre zum verkehrsreichsten Berliner
Bahnhof, wohl auch als Folge der
Sehnsucht erholungsuchender Berliner,
die es sich leisten konnten, die Ostsee als
Ferienziel zu nutzen.
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Berliner Lokal-Anzeiger 10. Juni 1928. Sammlung: IGEB |
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Der Schriftsteller Hans Fallada beschreibt
im weiteren seine Eindrücke von
Reisevorbereitungen um 1910 so: „Dann
ist es endlich soweit! Obwohl unser Zug
vom Stettiner Bahnhof erst gegen acht
Uhr fährt, ist die ganze Familie, Vater einschließlich,
schon um halb sechs aus den
Betten gejagt worden, denn auch die Betten
müssen noch eingepackt werden.
Während Mutter mit der alten Minna sie
in einen ungeheuren Bettsack aus Segeltuchstopft
und pfropft, ist Christa in der
Küche damit beschäftigt, Stapel Butterbrote
anzuhäufen ... Der ganze Haushalt
war in Auflösung begriffen. Fünf weibliche
Wesen rannten - anscheinend ziellos - hin
und her, setzten hier etwas ab, trugen
dort etwas fort. Auf der Diele stand Vater
und versuchte das Gepäck zu zählen, ein
fruchtloses Beginnen. Denn immer, wenn
er die endgültige Zahl ermittelt zu haben
glaubte, wurde ein Stück wieder weggeschleppt
und zwei neue kamen hinzu.
Es war der erste Tag der großen Ferien.
Ganz Berlin, soweit es Kinder hatte und es
sich leisten konnte, war im Aufbruch ...
Überall standen auf den Bürgersteigen
hinter Kofferbastionen Familientrupps ...
Aber der Stettiner Bahnhof ist ein wallen der,
wogender Strudel. Vor uns Gepäckdroschken,
die halb ausgeladen sind, hinter
uns Gepäckdroschken, die abladen
wollen und schon zu drängeln beginne
Und kein Gepäckträger, der auf Vaters Ruf
hört!"
Die Erinnerungen Hans Falladas sollen
hier nur als Beispiel für die Beliebtheit der
mecklenburgischen und pommerschen
Ostseeküste stehen, die ihren Ausgangspunkt
in den meisten Fällen eben von den
Berliner Bahnhöfen hatten. „Die Wahl des
Ortes war stets recht schwierig, denn er
mußte billig sein, nicht zu weit von Berlin
entfernt liegen, und er mußte dem Ideal
entsprechen, das meine Eltern von ländlicher
Stille und Schönheit hatten. So haben
die Eltern Sommerfrischen entdeckt, in die
noch kaum je ein Berliner gekommen
war."
Aber warum wurden die Küsten der Ostsee
und die Erholung am Meer so beliebt?
War es das dringende Bedürfnis der Menschen,
schon damals den Belastungen des
beginnenden Industriezeitalters und der
Enge in den Städten, speziell Berlin, zu
entfliehen?
Beim Versuch, diese Frage zu beantworten,
gehen wir in der Geschichte noch einen
Schritt zurück in das Jahr 1793. Der
Rostocker Arzt Hofrat Samuel Gottlieb Vogel
richtete eine Denkschrift an Herzog
Franz von Meckelnburg-Schwerin, in der
das Fehlen von Badeanstalten an der
Ostsee bedauerte. Gerade das Bad im
Meerwasser sei für sehr „viele Schwachheiten
und Kränklichkeiten" überaus heilsam.
Des weiteren regte er an, in Doberan
eine derartige Einrichtung in Seenähe zu
installieren, „wohin das Seewasser mit
leichter Mühe und geringen Kosten herbeygeschafft
würde". Heute kann mit Fug
und Recht behauptet werden, daß dieser
Vorschlag der Ursprung des Badewesens
an der Ostsee ist. So entstand in Doberan
am „Heiligen Damm" das erste deutsche
Seebad. Dem Beispiel Doberans folgte
1816 Putbus auf Rügen und wie erwähnt
1821 Swinemünde. Die Anregung für seinen
Vorschlag hatte sich Hofrat Vogel in
England geholt. (Das Seebad ist keine
deutsche Erfindung, es stammt aus England!)
und seine Hoheit, der Herzog fand,
daß unserem Land etwas Vergleichbares
fehle.
Aber, was vielleicht kaum jemand weiß,
die deutschen Seebäder standen den englischen
ihrer Blütezeit in nichts nach! „Heringsdorf
galt lange Zeit als der vornehmste
Badeort unserer Insel. Heute nimmt
Bansin diesen Ruhm ... in Anspruch." (Aus:
Die Insel Usedom - Ein Heimatbuch und
Reiseführer, Peter August Rolfs, 1933).
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Schlepper der Reederei Lange im Hafen von Karin. Sammlung: Hans Nadler, Leipzig |
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Daraus entwickelte sich der Tourismus -
wie wir ihn kennen -, geboren aus jener
Unsitte, am hellichten Tag (!) im offenen
Meer zu baden. Und natürlich waren die
Urheber dieser Umtriebe nicht etwa jene
einfachen bodenständigen Menschen, die
an den Küsten wohnten. Nie im Leben (!)
wäre ihnen eingefallen, es den „närrischen
Städtern" gleichzutun. Aber nachdem
auch die königliche (und später kaiserliche)
Familie Gefallen an der Erholung an
der See fand und die Seebäder regelmäßig
besuchte, ja sogar allerlei Repräsentanten
anderer europäischer Königshäuser bis hin
zum Zaren Nikolaus sowie adelige und
nichtadelige Prominenz, war eben diese
Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.
Fortsetzung folgt Usedomer Eisenbahnfreunde e. V.
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