Das letzte Kapitel
Mit dem Beginn des dunkelsten Abschnitts
der deutschen Geschichte erfuhren Bahnlinie
und Brücke eigentlich ihre Blütezeit,
und es mag wie ein böses Omen sein, daß
das Ende des Dritten Reiches gleichzeitig
ihr Ende war.
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Die seit Mai 2000 auch durch die Eisenbahn befahrene Klappbrücke bei Wolgast. Trotz der neuen Brücke kommt es in der Saison zu langen Wartezeiten. Abhilfe könnte ein Wiederaufbau der Hubbrücke der Karnin bieten! Foto: Reinhard Hübener, Oktober 1999 |
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Bis es soweit war, stieg die Auslastung
ständig. Anhand der Fahrpläne aus jener
Zeit kann man die Bedeutung des Schienenstrangs
erkennen. 1938 zum Beispiel
passierten in den Sommermonaten 26
Züge die Brücke bei Kamin, davon allein
12 Schnellzüge Berlin - Swinemünde direkt.
Mit Beginn des Krieges traten natürlich
Kriegsgüter in den Vordergrund und
der zivile Verkehr gänzlich in den Hintergrund.
Von den Folgen bis dahin relativ
verschont, wurde Usedom in den letzten
Kriegsjahren 1943 bis 1945 Ziel alliierter
Vergeltung. Peenemünde bekam dies zuerst
in Form nächtlicher Bombenangriffe
zu spüren. Am 12. März 1945 schließlich
zeigte der Krieg seine Grausamkeit beim
Tagangriff auf Swinemünde, der über
20.000 Menschen den Tod brachte, die
den Hafen als letzte Fluchtmöglichkeit vor
der anrückenden Roten Armee sahen. Militärisch
kaum von Bedeutung bezahlten sie
und die Stadt einen furchtbaren Preis.
Heute ruhen die über zwanzigtausend
Opfer auf dem Golm, der einst das Naherholungsgebiet
der Bürger Swinemündes
war. Jedes Jahr wird der Menschen gedacht,
die damals ihr Leben verloren und
viele Überlebende und Hinterbliebene begehen
diesen Tag der Erinnerung als Mahnung
an die Zukunft unserer Kinder.
Mit dem Vorstoß der russischen Truppen
über die Oder bei Küstrin mit Richtung
Berlin, brach auch für die Hubbrücke das
vorerst letzte Kapitel ihrer Geschichte an.
In schnellen Vorstößen, als in der Hauptstadt
schon gekämpft wurde, drangen die
russischen Truppen über Anklam Richtung
Stralsund und über die Insel Wollin gegen
Swinemünde vor. Die Flüchtenden, Zivilisten
wie Wehrmacht, zogen sich auf die
Insel Usedom zurück, und es war nur eine
Frage, wann auch die Insel fallen würde.
Zeit war unter dem Eindruck der sich
überschlagenden Ereignisse keine vorhanden.
Die hoffte man zu gewinnen, indem
die Verbindungen zwischen Insel und Festland,
um die schon einige Tage erbittert
gekämpft wurde, unterbrach. Da alle Vorbereitungen
dafür getroffen waren, entschloß
sich der Seekommandant nach Absprache
zur Sprengung der Brücken. Am
29. April kam dann das Ende. Gegen Mittag
wurden die festen Überbauten der
Hubbrücke Karnin und der Zecheriner
Bäderbrücke gesprengt. Damit endete ein
besonderes Kapitel deutscher Eisenbahngeschichte
ebenso wie die Träume von einem
Großdeutschen Reich. In den Tagen
nach der Sprengung wurden noch ca.
35.000 Menschen über See evakuiert, ehe
es den russischen Truppen am 4. Mai 1945
gelang die Insel zu besetzen.
Die Zeit danach
Da nach dem Krieg keine finanziellen Mittel
vorhanden waren, war nicht an einen
Wiederaufbau der Hubbrücke zu denken.
So kam es, daß die Teilung der Insel in einen
deutschen und einen polnischen Teil
die Bahnlinie vor Swinemünde unterbrach.
Da auch alle anderen Brücken zerstört waren,
richtete sich wieder Fährbetrieb ein. In
Karnin vollzog diesen bis 1948 das
„Eisenbahnfährschiff Stralsund".
Im Rahmen der Reparationen wurde mit
der Demontage der Bahnlinie Swinemünde
- Ducherow begonnen. Das war der
Grundstein, der bis heute beinahe allen
Bemühungen zum Wiederaufbau im Wege
steht. Anfang der fünfziger Jahre wurden
die Trümmer der festen Überbauten aus
der Peene geborgen. Material, das wiederverwendbar
war, kam bei der Reparatur
anderer Brücken, zum Beispiel der Oderbrücke
Küstrin, zum Einsatz.
Ein Lichtblick war, daß die beweglichen
Brückenteile, also das Hubwerk der
Karniner Brücke, sowie die Klappen der
Zecheriner und Wolgaster Brücke nur minimal
in Mitleidenschaft gezogen waren.
Der Grund dafür war, daß man Marineeinheiten,
die im Haff operierten, nach der
Sprengung der Brücken die Flucht in die
Ostsee ermöglichen wollte. Aus heutiger
Sicht ein Glücksfall für die Karniner Brücke,
auch sie wäre sonst gesprengt worden.
Für viele Inselbewohner entwickelte sich
in den folgenden Jahren das Hubteil der
Brücke zu einem Symbol der Hoffnung auf
den Wiederaufbau der Strecke. Sie verbinden
bis heute ganz eigene Erinnerungen
und Vorstellungen an jene Zeit, als diesen
Teil der Insel noch Züge befuhren. Und
diese Hoffnung wurde auch genährt durch
Meldungen und Gerüchte: „Die Brücke
wird wieder aufgebaut!" Tatsächlich gab
es solche Überlegungen.
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Bus in Swinemünde. Foto: Reinhard Hübener, Oktober 1999 |
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1960 erfolgte eine umfangreiche Konservierung
des Hubteils in Vorbereitung
auf Bautätigkeiten. Dadurch läßt sich der
heute relativ gute Zustand der Stahlkonstruktion
erklären. Allerdings wurden die
Pläne damals aus Geldmangel wieder fallengelassen,
ebenso wie 1968, als Tageszeitungen
den Hoffnungen neue Nahrung
gaben. In der Tat wäre es beinahe zum
Wiederaufbau gekommen, man entschied
sich jedoch seitens des Staates, die vorgesehenen
Mittel anderweitig zu investieren.
Danach geriet die Hubbrücke gänzlich in
Vergessenheit - bis 1990.
1990: Der Abriß droht
Das Jahr der Wende brachte die Hubbrükke
wieder in die öffentliche Diskussion.
Grund waren Pläne der Reichsbahn, das
Hubteil zu demontieren und zu verschrotten.
Doch nun traten die Bürger für „ihre"
Brücke ein; etwas, das ihnen in den zurückliegenden
Jahren nicht möglich war.
Und der Grund war ungewöhnlich: so verlassen
die Brücke seit Kriegsende war,
wurde sie zur Heimat von seltenen Turmfalken.
Die unter Naturschutz stehenden
Vögel hinderten die Mächtigen. Eingaben
an das Umweltministerium setzten Ereignisse
in Gang, die andere Mitstreiter, zum
Beispiel Eisenbahnfreunde, auf den Plan
riefen und gemeinsam kämpften sie alle
um den Erhalt der Brücke. Die besten
Chancen, für die Tiere als auch für die
Technik, bestand darin, die Hubbrücke unter
Denkmalschutz zu stellen.
Per Urkunde wurde die Eisenbahn-Hubbrücke
Karnin am 7. Juni 1990 unter Denkmalschutz
gestellt und somit vor der Demontage
gerettet. Als Nebenwirkung dieses
„Kampfes um die Karniner Hubbrücke"
gründete sich aus Teilnehmern der Bürgerinitiative
von 1990 der Verein „Usedomer
Eisenbahnfreunde e. V.", der in seinem
Statut nicht nur den Erhalt der Brücke,
sondern sogar den Aufbau der gesamten
ehemaligen Bahnlinie Ducherow - Swinemünde
festgeschrieben hat. In diesem Zusammenhang
ist das Wirken des damaligen
ersten Vorsitzenden Hans Nadler hervorzuheben,
dessen Einsatz der Verein
und besonders die Region viel zu verdanken
hat. Gerade in bezug auf die Denkmal-Schutzerklärung
der Hubbrücke war sein
Engagement ausschlaggebend.
Viele Versuche, die Landesregierung und
Bahn AG für eine Rekonstruktion der
Bahnlinie und der Brücke zu gewinnen
schlugen fehl. Das vordergründige Argument
war stets Geldmangel. Um das große
Ziel nicht aus der öffentlichen Diskussion
zu verlieren, entschlossen sich die
Eisenbahnfreunde 1998 zum Kauf des seit
1992 ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden
historischen Bahnhofs von Karnin,
um darin langfristig ein Dokumentationscenter
zur Geschichte einzurichten.
Für das hundertjährige Gebäude war
dies die Rettung in letzter Sekunde. Anfang
1998 wurde mit Maßnahmen zur Rekonstruktion
des historischen Bahnhofs
begonnen. Da das Projekt die Eigenmittel
des Vereins überstieg, wurden Fördermittel
des Landes Mecklenburg- Vorpommern,
des Landkreises Ostvorpommern,
der Kreisdenkmalpflege sowie des Arbeitsamtes
beantragt. Zur weiteren Finanzierung
konnten private sowie Spenden aus
der Wirtschaft, zum Beispiel der Sparkasse
Vorpommern, akquiriert werden.
Am 25. Mai 1998 nahmen 44 ABM-Beschäftigte
ihre Arbeit auf und begannen
mit den Vorbereitungen für die eigentlichen
Baumaßnahmen.
Eröffnung des sanierten Bahnhofs
Am 22. Mai 1999 erfolgte dann die Eröffnung
des Bahnhofs mit Ausstellungs- und
Informationscenter. Seither wird im Historischen
Bahnhof anhand vieler historischer
Fakten und umfangreichem Bildmaterials
über die Geschichte von Bahnlinie und
Brücke, aber auch der Eisenbahn auf Usedom
informiert. Seit dem 1. Mai 2000 ist
ein Cafe integriert. Mit kulturellen Veranstaltungen,
dem 100jährigen Bahnhofsgeburtstag
am 1. Juni und dem 10. Jahrestag
der Denkmalerklärung der Hubbrücke
ist ein kultureller und touristischer Beitrag
geleistet worden. In die ganze Euphorie
darüber mischt sich nur etwas Wehmut,
daß ihre Funktion heute nur mehr eine
symbolische denn eine praktische ist.
Ausblick
Wenn heute viele Menschen den Wunsch
hegen, daß Bahnlinie und Brücke eines Tages
wieder aufgebaut werden, steht dahinter
kein nostalgischer, sondern ein sehr
realer gesellschaftspolitischer Wunsch.
Nach einer touristischen Durststrecke
entwickelt sich die Insel wieder zu der Blüte,
die sie vor dem Krieg und ab den Sechzigern
in der DDR innehatte.
Die Probleme, die einer gesunden touristischen
Entwicklung entgegenstehen,
sind in der Infrastruktur begründet. Mag
sich dies auf der Insel in den letzten Jahren
zum Positiven geändert haben, so gibt es
bisher außer der Straße keine zeitgemäße
Alternative im Fernverkehr. Mit der Fertigstellung
der Ostseeautobahn A 20 Ende
2002 haben es Besucher aus den nördlichen
Bundesländern leichter, Usedom zügig
zu erreichen. Für den Rest bleibt nur
die nervenaufreibende Anreise über oft
überfüllte Straßen.
Gerade weil Berlin wieder Hauptstadt ist
und seit jeher Haupteinzugsgebiet unserer
Region war (was das geflügelte Wort von
der „Badewanne Berlins" prägte), wirken
die Fernverbindungen eher abschreckend
als anlockend. Die Reisezeiten heute stehen
in keinem Verhältnis zu denen aus
1938. Damals fuhr ein Schnellzug gerade
2 Stunden 36 Minuten für die Strecke Berlin
- Swinemünde! Heute braucht die
Bahn dafür 4,5 Stunden mit Umsteigen.
Die Pläne, in Mecklenburg-Vorpommern
die Fernverbindungen zu kappen, einhergehend
mit der Ablehnung der Landesregierung,
für Usedom eine attraktive Anfeindung
zu schaffen, widersprechen jeder
Logik. Heute befinden wir uns da, wo unsere
Altvorderen 1872 waren, als sie um
ihren Bahnanschluß kämpften.
Die im Mai 2000 vollzogene bahntechnische
Anbindung der Insel an das
Festland ist ein erster Schritt. Endlich
bleibt es dem Besucher erspart, 800 Meter
vom Bahnhof Wolgast Hafen über die
neue Klappbrücke („Blaues Wunder" genannt)
zum Inselbahnhof Wolgaster Fähre
zu Fuß zurückzulegen. Die rührige Usedomer
Bäderbahn verkehrt von Züssow bis
Ahlbeck, was aus touristischer Sicht zu begrüßen
ist. Aber hier liegt ein Manko. Die
Strecke ist nur durch die Bäderbahn befahrbar,
da die Brücke in Wolgast nur für
eine maximale Achslast von 16 Tonnen
ausgelegt ist. Des weiteren sind Steigungen
und Kurvenradien im Bereich der
Brückenanbindung zu extrem bzw. zu
eng, als daß Fernzüge sie befahren könnten.
So ist diese Variante der Bahnanbindung
letztendlich nur halbherzig.
Als zeitgemäße Alternative für eine
schnelle und direkte Fernverbindung bietet
sich also immer wieder die alte Trasse
Ducherow - Swinemünde an, die 1874
nicht ohne Grund so gebaut wurde.
Mittlerweile setzen viele Menschen ihre
Hoffnung in den Beitritt Polens zur EU. Mit
dem Wegfall der Grenze wird Swinemünde
aufgrund seiner günstigen Lage wieder
zu einem der bedeutendsten Häfen an der
Ostsee werden. Touristisch gesehen birgt
das auch Gefahren für die Insel. Ist Polen
einmal EU-Mitglied, wird manch einer die
wunderschönen Strände entlang der pommerschen
Ostseeküste favorisieren. Hat
sich Usedom bis dahin nicht fest etabliert,
wird es hier einen wirtschaftlichen Einbruch
geben. Das ist nur zu verhindern, indem
die Verkehrsverbindungen zur Insel
so günstig und attraktiv sind, daß die zu
erwartenden Veränderungen dadurch abgefedert
werden.
Bei allen Überlegungen für eine Zukunft
der Insel steht also die ehemalige Bahnlinie
Ducherow-Swinemünde und mit ihr
die Eisenbahnhubbrücke stets im Vordergrund.
Aus diesem Grund ist sie nicht nur
ein Symbol der Vergangenheit sondern
Wegweiser in die Zukunft. Es liegt an uns
und den Verantwortlichen aus Politik und
Wirtschaft, ob wir der Richtung die sie
weist, folgen wollen. Usedomer Eisenbahnfreunde e. V.
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