Alle neuen Fahrzeuge sind durch jeweils
zwei Rampen an den vorderen beiden Türen
behindertengerecht ausgestattet und
nutzen mit einer Breite von 2,55 Meter
die neuen gesetzlichen Möglichkeiten voll
aus. Sie verfügen über Klimaanlage,
„Kneeling", CRT-Filter, RBL-gesteuerte
Fahrgastinformations-Einrichtungen und
viele weitere Einrichtungen, die Techniker
und Fahrgäste erfreuen. Aber sie weisen
auch einen deutlichen Mangel auf - nämlich
viel zu wenige Sitzplätze.
Die Gesamt-Busbestellung der BVG teilt
sich für das Jahr 2002 wie folgt auf:
166 Wagen vom Typ Mercedes-Benz „Citaro"
(davon 96 „normale" mit 12 Meter
und 70 dreiachsige Citaro-L mit 15 Meter
Länge); 37 Wagen vom Typ Volvo 7000
(12 Meter) und vier Wagen des Typs „Urbino"
vom polnischen Hersteller Solaris (je
zwei mit 12 Meter und 15 Meter Länge).
Auch die 12 Meter-Wagen weisen jeweils
drei (Doppel-)Türen auf, wobei auch bei
allen Typen an der dritten Tür ein Niederflur-Einstieg
realisiert wurde.
Während bei den zuvor ausgelieferten
Bauserien eine Folge des dritten Niederflureinstiegs
war, dass im Heckbereich der Busse mehrere Stufen im Innenraum
überwunden werden mussten (um gewissermaßen
auf dem Motor sitzen zu können), ist bei den neuen Fahrzeugen
dieses nicht erforderlich, weil der Motor
nunmehr stehend im Heckbereich angeordnet
wurde. Negative Folge davon allerdings
ist, dass das Sitzplatzangebot dafür
erneut verringert werden musste. Während
die neuen Volvos immerhin noch
29 Sitzplätze aufweisen, stellen die neuen
„Citaros" in der BVG-Standard-Version
(12 Meter) mit nur noch 26 Sitzplätzen einen
Negativ-Rekord auf! (Das konnte
wohl auch die Zulassungsstelle kaum
glauben und zählte - damit es wenigstens
etwas freundlicher klingt - offenbar
den Fahrerplatz noch mit, weshalb die
offizielle Sitzplatzzahl immer mit 27 angegeben
wird.)
Wir wollen hier nicht um einen Sitzplatz
feilschen, es geht vielmehr um die Größenordnung
des Sitzplatzverlustes gegenüber
den bisher beschafften Fahrzeugtypen.
Es stellt sich die Frage, ob die
Einbuße von mehr als einem Drittel der
Sitzplätze gegenüber früheren Bauserien
als Preis für den 100 Prozent-Niederflur-Bus
aus Fahrgastsicht sinnvoll ist. Wir meinen:
Nein, denn ein (gut erreichbarer und
bequemer!) Sitzplatz für jeden Fahrgast
sollte als Grundregel einer annehmbaren
Beförderung gelten. Stehplätze sind eine
Notlösung und nur bei kurzfristig auftretenden
hohen Fahrgastmengen über kürzere
Entfernungen akzeptabel. Dies
schreibt auch der Berliner Nahverkehrsplan
vor (vergleiche Signal 3/2002 ).
Betrachtet man die jüngere Geschichte
von 12 Meter-Standard-Bussen bei der
BVG, so wurden Anfang bis Mitte der
neunziger Jahre ausschließlich Niederflurbusse
beschafft, die zweitürig und an der
ersten Tür mit einem Hublift ausgerüstet
waren. Diese von MAN und Mercedes
Benz gelieferten Serien wiesen 38 Sitzplätze
auf, erfüllten die Kriterien der Beförderung
mobilitätsbehinderter Personen
und sind auch heute noch im gesamten
Stadtgebiet im Einsatz. Ab Mitte der
neunziger Jahre wurden auch dreitürige
Standard-Wagen angeschafft, um die
Haltestellenaufenthaltszeiten durch zügigeren
Ein- und Ausstieg zu verkürzen.
Dafür wurde eine Verringerung des Sitzplatzangebotes
in Kauf genommen, mehr
als 30 Sitzplätze wurden aber auch in verschieden
ausfallenden Variationen immer
erreicht. Die weiteren Neuentwicklungen
der 12 Meter-Wagentypen zeichneten
sich dadurch aus, dass im Heckbereich bis
zur Hinterachse von der Quer- zur Längsbestuhlung
übergegangen wurde, angeblich
um Vandalismusschäden zu vermindern,
was wiederum Sitzplätze kostete.
Außerdem wurde auch die dritte Tür
in den Niederflurbereich einbezogen -
mit der negativen Folge, dass die letzte
Sitzreihe und die der Tür gegenüberliegende
Längssitzbank nur über Stufen erreichbar
ist und ihr Erreichen vom Fahrgast
im fahrenden Bus schon einiges Geschick
fordern. Busse dieser Bauart weisen
erstmals weniger als 30 Sitzplätze auf,
29 sind es im Regelfall.
Ein Drittel weniger Sitzplätze
Bei den eingangs beschriebenen neu ausgelieferten
Fahrzeugen mit dem „stehenden"
Motor fallen gegenüber den Vorgängerserien
nun also nochmals mehrere
Sitzplätze weg. Und so weisen die neuen
Mercedesbusse insgesamt nur noch 26
Sitzplätze auf, von denen im übrigen nur
ganze sieben Sitzplätze podestfrei erreichbar
sind. Somit haben die schönen
neuen „Citaros" fast ein Drittel weniger
Sitzplätze als die vergleichbaren zweitürigen
Vorgängertypen aus den 90er Jahren!
Eine Ausweitung des Steh- und Stellplatzangebotes
in der Wagenmitte ist
nicht erfolgt und ohne weitere Sitzplatzreduzierung
auch nicht möglich. Eine Beschleunigung
der Busumläufe durch einen
schnelleren Fahrgastwechsel infolge
der dritten stufenlosen Tür ist ebenfalls
kaum wahrnehmbar. Fazit: Der Vorteil des
Niederflur-Einstiegs an allen Türen ist
durch eine zu starke Verringerung des
Sitzplatzangebotes teuer erkauft worden,
die Verhältnisse stimmen nicht mehr.
Die Frage stellt sich, ob eine dritte Tür
bei (12 Meter-)Standard-Bussen tatsächlich
nutzbringend ist? Ein durch schnelleren
Fahrgastwechsel an den Haltestellen
wirklich relevanter Fahrzeitgewinn entsteht
kaum. Dies wird nicht zuletzt durch
den gemischten Fahrzeugeinsatz von
zwei- und dreitürigen Fahrzeugen auf
praktisch allen BVG-Buslinien von der BVG
selbst zum Ausdruck gebracht. Gerade
die dritte Tür wird im Regelfall nur von
sehr wenigen Fahrgästen benutzt. Lediglich
an wenigen zentralen Haltestellen,
mit hohem Fahrgastwechsel macht die
dritte Tür einen Sinn.
Es gibt aber nur wenige Linien, die an
mehreren derartigen zentralen Haltestellen
vorbeiführen und somit ist auch die
Notwendigkeit einer dritten Tür in den
allermeisten Fällen nicht wirklich gegeben.
Dagegen geht die erheblich höhere
Sitzplatzanzahl bei zweitürigen Standard-Bussen
aus den obigen Zahlen deutlich
hervor. So setzt zum Beispiel ein privates
Berliner Busunternehmen eine zweitürige
12 Meter-Version des Citaros mit 33 Sitzplätzen
ein, bei der die zweite Tür um
eine Sitzreihe nach hinten verschoben
wurde und somit unmittelbar vor der Hinterachse
liegt, so dass der „gefangene
Bereich" im hinteren Wagenteil um eine
Sitzreihe verkürzt ist. Alternativ bietet sich
aber auch eine in skandinavischen Ländern
gebräuchliche Variante an: Die Busse sind
dort dreitürig: Die dritte, mit Stufen
versehene Tür weist aber nur einen
Flügel auf. Auch so könnten wieder ein
paar Sitzplätze gewonnen werden.
100 % Niederflur bedeutet
weniger (Sitz-)Komfort
Aber selbst wenn die BVG trotz allem zukünftig
am Prinzip der dritten
(Doppel-)Tür auch beim 12 Meter-Eindecker
festhalten sollte: Die jetzt angeschaffte
Citaro-Version des 100%-Niederflur-Wagens
mit drei stufenlosen Türen kostet
deutlich zu viele Sitzplätze, ohne dass es
für den Fahrgast wirklichen Nutzen
bringt. Zwar ist es natürlich immer zu
begrüßen, an allen Türen stufenlos einsteigen
zu können; aber wirklich notwendig
ist es nicht. Rollstuhlfahrer benötigen
die an den vorderen Türen befindlichen
Rampen. Die anderen mobilitätsbehinderten
Fahrgäste können problemlos an der
ersten oder zweiten Tür einsteigen und
befinden sich dann auch direkt in dem
vorrangig für Behinderte ausgewiesenen
Sitzplatzbereich. Niemand dieser Personengruppe
muss die dritte Tür benutzen.
Für die glücklicherweise in der Mehrzahl
mobilen Fahrgäste aber wäre auch der
Einstieg an der dritten Tür über ein oder
zwei Stufen problemlos und schnell möglich.
Und der beim Aus- und Einstieg erlittene
geringfügige Komfortverlust würde
zugunsten von besser zugänglichen und
vor allem zusätzlichen Sitzplätzen mehr
als kompensiert werden! Der dreitürige,
100%ige Niederflurbus ist daher nicht
zwingend erforderlich und stellt für den
Fahrgast keinen Komfortgewinn dar.
Die Fahrzeugindustrie bietet serienmäßig
durchaus unterschiedliche Varianten
an. Der Blick auf bauartgleiche, bei anderen
Verkehrsunternehmen im Einsatz befindlichen
Bussen zeigt fast immer mehr
Sitzplätze als bei den Citaros, die von der
BVG jetzt beschafft worden sind. Jedenfalls
sollte auch die BVG zukünftig bei der
Neubeschaffung von Fahrzeugen darauf
achten, dass 12 Meter-Eindeckerbusse ein
Angebot von über 30 (gut erreichbaren
und bequemen) Sitzplätzen aufweisen
müssen.
IGEB Stadtverkehr
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