In der Aufbruchstimmung der Nachwendejahre
schien alles möglich zu sein. Bis zum Jahr
2000 sollte Berlin einen neuen Hauptbahnhof
bekommen, dort, wo sich die vorhandene
Stadtbahn und der neue Nordsüd-Tunnel
kreuzen. Erschlossen werden sollte der neue
Zentralbahnhof durch einen zweiten Nordsüd-S-Bahn-Tunnel
und die Verlängerung
der U-Bahn-Linie 5 vom Alexanderplatz zum
Hauptbahnhof.
Bekanntlich kam es anders.
Der Hauptbahnhof
wurde erst im Mai 2006 fertig. Von
der U-Bahn-Linie 5 konnte im August 2009
zunächst nur eine Stummelstrecke
Hauptbahnhof—Bundestag—Brandenburger Tor
mit Inselbetrieb eröffnet werden. Die Durchbindung
zum Alexanderplatz wird erst 2019
oder vielleicht auch 2020 möglich sein (siehe
Seite 15).
Gravierende Fehlentscheidungen
zulasten der S 21
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Der 1. Bauabschnitt verläuft weitgehend parallel zu den Fern- und Regionalbahngleisen nördlich des Hauptbahnhofes. Grafik: DB Netze |
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Noch schlechter sieht es für den neuen Nordsüd-Tunnel
der S-Bahn aus, stets als Projekt
S 21 bezeichnet – lange bevor dieses Kürzel
auch für das Großprojekt „Stuttgart 21“ verwendet
wurde. Nachdem der S-Bahn-Tunnel
zunächst Bestandteil des „Pilzkonzeptes“
bzw. der „Verkehrsanlagen Zentraler Bereich“
war, wurde die Planung 1993 aufgegeben
und erst 1995 im Grundsatz, ab 1999 verbindlich
wiederaufgenommen (siehe u. a. SIGNAL 1
und 2/1995 ).
Der zwischenzeitliche Verzicht auf den
S-Bahn-Tunnel hatte jedoch schwerwiegende
Folgen. Der Tiergartentunnel als Gesamtprojekt
von Fernbahn-, Straßen- und
U-Bahn-Tunnel wurde ohne Vorleistungen
für die S-Bahn gebaut, so dass für diese zwischen
Hauptbahnhof und Brandenburger Tor
nun eine eigene Trasse weiter östlich gefunden
werden musste. Das bedeutete nicht nur
Zeitverzug, sondern auch Mehrkosten.
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Die Baugrube der S 21 zum Hauptbahnhof ist Mitte Januar 2014 noch geflutet. Hier entsteht der Tunnel des 1. Bauabschnitts. Foto: Florian Müller |
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Zwar wurde die S-Bahn-Trasse durch die
Senatsbeschlüsse von 1995 und 1999 wenigstens
beim Bau der Gleisanlagen auf dem
Nordring und zwischen Nordring und Hauptbahnhof
berücksichtigt, teils durch Trassenfreihaltung,
teils durch bauliche Vorleistungen.
Aber ausgerechnet am Hauptbahnhof
wurde auf einen Teil der baulichen Vorleistungen
verzichtet, um die Fertigstellung des
Bahnhofs zur Fußballweltmeisterschaft im
Sommer 2006 nicht zu gefährden. Entsprechend
aufwändiger und teurer sind nun die
Arbeiten an dieser Stelle.
Beeinträchtigt wurde das S-21-Bahn-Projekt
auch durch den Verzicht auf Unterwegshalte,
so dass die Erschließungsfunktion der
Strecke zwischen Gesundbrunnen und Potsdamer
Platz erheblich vermindert ist. Nachdem
der Bahnhof Perleberger Brücke zurückgestellt
und auf eine Station am Reichstagsgebäude
(geplant unter dem Friedrich-Ebert-Platz) auf „Wunsch“ des Deutschen
Bundestages verzichtet wurde, gibt es bei
der S-Bahn auf dem Abschnitt
Gesundbrunnen—Hbf—Potsdamer Platz im Vergleich
zum Regionalverkehr auf den Fernbahngleisen
nur einen zusätzlichen Halt: den bereits
bestehenden S-Bahnhof Wedding.
Fertigstellung voraussichtlich 2019
Finanziert wird der Bau der S 21 aus dem
GVFG-Bundesprogramm mit einer Aufteilung
60 Prozent Bundesmittel und 40 Prozent
Landesmittel. Nach der Finanzierungszusage
des Bundes im November 2010 erfolgte im
Juni 2011 der offizielle Spatenstich für den
ersten rund 2,5 km langen Bauabschnitt vom
Nordring zum Hauptbahnhof. Die Fertigstellung,
einst für 2015 und beim Spatenstich für
2017 geplant, wird nun erst für 2019 erwartet.
Unmittelbar anschließend soll der zweite
rund 2 km lange Bauabschnitt vom Hauptbahnhof
zum Potsdamer Platz realisiert werden.
2013 wurden die Planungsleistungen
ausgeschrieben, um rechtzeitig Planungsrecht
zu haben. Langfristig soll es noch einen
dritten Bauabschnitt vom Potsdamer Platz
zum Südkreuz geben (siehe Senatszeichnung),
der bei allen anderen Planungen
entlang dieser Trasse zu berücksichtigen ist
(Trassenfreihaltung).
Das Betriebskonzept für die S-Bahn nach
Fertigstellung des 1. Bauabschnitts sieht vor,
drei Linien im 20-Minuten-Takt zum Hbf zu
führen und dort enden zu lassen. Die jetzt in
Westend endende S 46 soll über den Nordring
zum Hbf verlängert werden. Die vom Ostring
kommende S 85 soll ab Gesundbrunnen nicht
mehr nach Waidmannslust, sondern zum Hbf
verkehren. Als Ersatz für die S 85-Nord soll
eine S 11 von Waidmannlust nach Gesundbrunnen
und weiter zum Hbf fahren.
Nach Fertigstellung des 2. Bauabschnitts
soll die S 1 nicht mehr durch den alten, sondern
durch den neuen Nordsüd-Tunnel fahren.
Es ist offensichtlich, dass mit der nach Fertigstellung
des 1. Bauabschnitts noch wenig
attraktiven Anbindung des Hauptbahnhofs
keine allzu hohen Fahrgastzahlen zu erwarten
sind, dass aber das „Kopfmachen“ von
drei Linien am Hauptbahnhof einige Risiken
für einen stabilen Fahrplan beinhaltet.
Nutzen-Kosten-Faktoren knapp über 1
So war es auch nicht möglich, mit der teuren
Stichstrecke und nur 24 000 Fahrgästen
täglich (Prognose für 2015) bei der
Nutzen-Kosten-Untersuchung 1998 auf einen Faktor
deutlich über 1 zu kommen. Selbst der prognostizierte
Anstieg der Fahrgastzahlen auf
täglich über 100 000 nach Durchbindung
zum Potsdamer Platz verbesserte 1998 den
Wert nicht, da viele der Fahrgäste keine
Neukunden sein werden, sondern bisherige
S 1-Fahrgäste im alten Nordsüd-Tunnel.
Kaum besser war das Ergebnis der
Nutzen-Kosten-Untersuchung 2010 mit den für 2025
prognostizierten Fahrgastzahlen. Gerechnet
wurde richtigerweise nur noch der Fall der
Durchbindung mit dem Ergebnis eines Nutzen-Kosten-Faktors von 1,35.
Dank massiver Unterstützung dieses Projektes
insbesondere auch durch die Deutsche
Bahn genügte dem Bund dieser Wert, um die
S 21 im Herbst 2010 in das GVFG-Bundesprogramm
aufzunehmen. Konsequenterweise
hat der Bund seine Finanzierungszusage aber
verbunden mit der Verpflichtung, nach Fertigstellung
des 1. Bauabschnitts umgehend
den 2. vom Hauptbahnhof zum Potsdamer
Platz zu realisieren. Dass damit beim Land
Berlin Gelder bis vermutlich 2025 für das
S-21-Projekt gebunden werden und nicht für
andere S-Bahn-, U-Bahn- oder Straßenbahnprojekte
zur Verfügung stehen, liegt auf der
Hand.
S-Bahnhof Perleberger Brücke bauen!
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S-Bahn-Neubaustrecke Nordring—Hauptbahnhof—Potsdamer Platz—Yorckstraße. Der 1. Bauabschnitt wird vsl. 2019 fertig sein. Unverständlich ist, dass der Senat auf den S-Bf Perleberger Brücke verzichten will. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – Abt. VII |
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Angesichts der relativ geringen Verkehrsbedeutung
des 1. Bauabschnitts ist es umso unverständlicher,
dass das Land Berlin und die
Deutsche Bahn den Bau des S-Bahnhofs Perleberger
Brücke zwar planerisch berücksichtigt,
die Realisierung aber auf unbestimmte
Zeit zurückgestellt haben. Denn mit der neuen
Station ließe sich der Verkehrswert der
Stichstrecke deutlich erhöhen.
Schon heute gibt es im Umfeld dieses
Standortes dicht bebaute Wohngebiete.
Außerdem verfolgt das Land Berlin auf
den Brachflächen beiderseits der Heidestraße
ehrgeizige Pläne für Wohnen, Büros,
Einzelhandel und Gewerbe. Auf ihrer Internetseite
schreibt die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Umweltschutz: „Der
,Masterplan Berlin Heidestraße´ formuliert
das städtebauliche Entwicklungskonzept
für die schrittweise Gestaltung des ca. 40
Hektar großen Areals zwischen Nordhafen,
Heidestraße und Humboldthafen. Leitbild
für die Heidestraße ist die nachhaltige Entwicklung.“
Nachhaltige Entwicklung ohne attraktive Schienenanbindung?
Bedeutung hätte der
S-Bahnhof Perleberger
Brücke auch als Umsteigebahnhof
zu mehreren
BVG-Buslinien, zurzeit
M 27, 123 und 142.
Die Seitenbahnsteige
auf der Brücke Richtung
Wedding würden rund
20 Millionen Euro kosten,
der Inselbahnsteig
Richtung Westhafen
rund 8 Millionen Euro.
Das sind angesichts der
Milliardenbeträge, die
das Land Berlin und private
Investoren für die
Entwicklung des Quartiers
an der Heidestraße
aufwenden, lächerliche
Summen.
Unverständlich ist die
ablehnende Haltung des
Senats auch vor dem Hintergrund
fehlender Fakten.
Zwar wurde immer
suggeriert, der Bahnhof
würde den Nutzen-Kosten-Faktor für die S 21
nach unten ziehen, aber
weder 1998 noch 2010
wurden Varianten mit einem
Bau des S-Bahnhofs
gerechnet.
Wird der Bau nun, wie
oben gefordert, im Rahmen
der Entwicklung des
Quartiers an der Heidestraße
und nicht aus dem
GVFG-Bundesprogramm
finanziert, dann ist es
allerdings auch nicht erforderlich,
eine Nutzen-Kosten-Untersuchung nachzuholen.
Deshalb kann und muss jetzt umgehend
mit der Planung für diesen wichtigen S-Bahnhof
begonnen werden. Rechnet man rund
2 ½ Jahre bis zum Planfeststellungsbeschluss
und rund 2 ½ Jahre Bauzeit, könnte die neue
Station noch zur Eröffnung der S-Bahn-Strecke
2019 fertig sein. Berliner Fahrgastverband IGEB
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