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Die schwierige Lage des öffentlichen Verkehrs
abseits der Ballungsräume ist hinreichend
bekannt: Hohe Motorisierung, ein in
absoluten Zahlen geringeres Fahrgastpotenzial
sowie dessen Verteilung auf viele kleine
Siedlungen und disperse Verkehrsbeziehungen
sind – sehr kurz zusammengefasst – die
Randbedingungen. Zusätzliche Herausforderungen
gibt es durch den viel diskutierten
„demografischen Wandel“, die prekäre Haushaltslage
vieler Kreise und Kommunen und
die anhaltende Unsicherheit über die künftige
Finanzierung des ÖPNV in Deutschland.
Die Branche steht also insgesamt vor
großen Schwierigkeiten. Während aber der
ÖPNV in Ballungsräumen anerkannt ist, vom
Wertewandel profitiert und relativ effizient
betrieben werden kann, führt er auf dem
Land ein Schattendasein und riskiert weitere
Marginalisierung. Stadt und Land brauchen
daher unterschiedliche Maßnahmen. Auf
dem Land geht es besonders darum, die Wirtschaftlichkeit
der Angebote zu verbessern
- durch das Gewinnen zusätzlicher Fahrgäste,
insbesondere im sogenannten
„Jedermannverkehr“ (außerhalb des Ausbildungsverkehrs),
der vergleichsweise ertragreich
ist und eher außerhalb der Spitzenzeiten
stattfindet und
- durch die Weiterentwicklung von (planerischen)
Angebotsformen und (betrieblichen)
Organisationsweisen, die für disperse
Verkehre wirtschaftlich wie praktisch
geeignet sind.
Diese Aufgaben sind für die etablierten Akteure
oft ungewohnt. Dabei ist es sowohl eine
Chance wie eine Schwierigkeit, dass viele Sektoren
(etwa Gesundheit, Einzelhandel, soziale
Dienste) im ländlichen Raum vor demselben
Problem (geringe Nachfragedichte) stehen.
Bisher versucht oft jeder dieser Sektoren, das
Problem für sich und anhand seines altbewährten
Instrumentariums zu lösen.
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Bürgerbusparade bei der Gründung des Landesverbands in Uhingen im September 2014. Foto: Florian Ellenbörger |
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Um hier neue Wege zu gehen und die
Zusammenarbeit in neuen Konstellationen
zu erleichtern, hat das Verkehrsminsterium
Baden-Württemberg 2014 das „Kompetenzzentrum
innovative Angebotsformen
im ländlichen Raum“ bei der landeseigenen
Nahverkehrsgesellschaft eingerichtet. Das
Zentrum soll als Ideengeber, Berater und
Kontaktstelle dienen. Dieses Angebot richtet
sich an Kommunen und Kreise (als Aufgabenträger),
Verkehrsunternehmen und Verbünde,
aber darüber hinaus auch an andere Akteure
in der ländlichen Mobilität – etwa Bürgerbusvereine
oder weitere Mobilitätsanbieter.
Dabei ist die lokale Arbeit zwar wichtig, aber
nicht auf diese Ebene beschränkt. Vielmehr
sind zugleich enge Kontakte zu Ministerien
und Fachbehörden sowie der Politik erforderlich.
Die vier Arbeitsfelder des Zentrums
sind daher:
- Strategieentwicklung
Die Chancen des ÖV werden durch
zahlreiche Faktoren beeinflusst, die
auch jenseits der Verkehrspolitik
liegen (z. B. Regionalentwicklung,
Bildungsplanung, Steuerrecht
oder Soziales). Das Zentrum sieht
daher eine seiner Aufgaben darin,
in den geeigneten politischen
und fachlichen Gremien über das
Themenfeld ländliche Mobilität zu
informieren und Bewusstsein für
die anstehenden Aufgaben wie auch Gestaltungsmöglichkeiten
zu schaffen.
- Beratung
Gemeinsam mit Akteuren der Praxis soll
das Zentrum dazu beitragen, neue Konzepte
für den ÖPNV zu entwickeln und zu
erproben. Im Mittelpunkt stehen dabei
Maßnahmen für die Fläche, für Zeiten
schwacher Verkehrsnachfrage und die weitere
Differenzierung des Angebots. Neben
der Innovation soll das Zentrum auch über
schon bestehende Ansätze und Randbedingungen
informieren und so dazu beitragen,
den mit Änderungen verbundenen
Planungs- und Arbeitsaufwand vor Ort zu
begrenzen. Dabei wird das konkrete Vorgehen
jeweils im Rahmen der verfügbaren
Kapazitäten anhand des Themas entwickelt.
- Vernetzung
Mobilität betrifft viele Aspekte des täglichen
Lebens. Für den ländlichen Raum gilt
dies in besonderem Maße, da hier wegen
der geringeren Dichte an Einrichtungen
mehr Mobilität nötig ist, um Aktivitäten
durchzuführen. Oftmals kennen sich die
im Verkehrswesen vor Ort tätigen Akteure
und haben einen Überblick, was in ihrem
Gebiet geschieht. Für den Blick über die
eigene Region hinaus fehlen dagegen oft
Zeit oder Gelegenheit. Dasselbe gilt für den
Blick über den „fachlichen Tellerrand“
des eigenen Arbeitsgebiets.
Das Zentrum versteht sich daher
auch als Einrichtung, die Kontakte
vermittelt und Gelegenheit
zum Austausch bietet. Dies gilt
sowohl für die Kommunikation
vor Ort wie für den überörtlichen
Austausch. Dazu werden öffentliche
wie interne Veranstaltungen
durchgeführt und themenspezifische
Foren eingerichtet.
- Forschung und Entwicklung
Das Zentrum steht für die Begleitung
von Forschungsvorhaben in
seinem Zuständigkeitsbereich zur
Verfügung und führt nach Bedarf eigene
Studien durch. Dabei sieht es sich in erster
Linie als Partner für Akteure aus Baden-
Württemberg; es unterstützt aber auch die
überregionale und internationale Zusammenarbeit.
Inhaltlicher Schwerpunkt sind bisher ehrenamtliche
Verkehrsdienste (Bürgerbusse und
Bürgerrufautos), deren Zahl besonders in den
letzten Jahren stark gestiegen ist. Diese Entwicklung
soll durch geeignete Maßnahmen
zur Beratung und Förderung systematisch
unterstützt werden.
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Bürgerbusse in Baden-Württemberg Zurzeit gibt es in Baden-Württemberg 30 Verkehre, die im ehrenamtlichen Betrieb im öffentlichen Linienverkehr mit konkretem Fahrplan („Bürgerbus“ genannt) unterwegs sind. Darüber hinaus existieren etwa zwölf weitere ehrenamtliche Projekte, die Fahrten vollflexibel in einem lose definierten Zeitraum anbieten (also ohne festen Fahrplan, „Bürgerrufauto“ genannt). Und zusätzlich gibt es noch zahlreiche ehrenamtliche Fahrdienste, die meist zeitlich stärker eingeschränkt arbeiten und auch nur für bestimmte Personengruppen und Fahrzwecke gedacht sind. |
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Baden-Württemberg ist nicht das einzige
Bundesland, das sich dem Thema Bürgerbus
widmet, gehört aber mit der Einrichtung einer
auf den ländlichen ÖV insgesamt gerichteten
Position sicher zu den Vorreitern. Neben dem
direkten Kontakt mit zahlreichen lokalen Initiativen
hat sich das Zentrum seit seiner Gründung
bereits an mehreren Forschungsprojekten
beteiligt und einige landespolitische Initiativen
mitgestaltet, über die in den Jahren
2015/2016 etwa 2 Mio. Euro zusätzlich für die
Förderung ländlicher Mobilitätskonzepte zur
Verfügung stehen werden. Die Landesebene
hat sich dabei als sehr sinnvoll erwiesen, um
einerseits Einfluss auf die Rahmenbedingungen
nehmen zu können und andererseits den
Kontakt zur lokalen „Basis“ und den dortigen
Bedürfnissen nicht zu verlieren.
Martin Schiefelbusch, Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg
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