|
Intercity Amsterdam—Berlin: Durch den Einsatz von Mehrsystemloks könnte der für den heutigen Lokwechsel notwendige Aufenthalt in Bad Bentheim verkürzt werden. Foto: Christian Schultz |
|
Die geplanten Verbesserungen bezüglich
der Angebotsqualität im Bahnverkehr zwischen
den Hauptstädten der Niederlande
und Deutschlands sind im Grundsatz zweifellos
positiv und auch überfällig, nicht zuletzt
zur Erreichung der Klimaschutzziele.
Aber die angestrebte Fahrzeit von vier Stunden
zwischen Berlin Hauptbahnhof und
Amsterdam Centraal dürfte Wunschdenken
bleiben.
Wesentliche Beschleunigung erst langfristig
Leider liegt der Fokus der geplanten Maßnahmen
viel zu sehr auf nur sehr langfristig
realisierbaren Verbesserungen im Bereich
der Infrastruktur, wie beispielsweise der
Neubaustrecke Hannover—Bielefeld oder
den weiteren Ausbaumaßnahmen zur Geschwindigkeitsanhebung
im Abschnitt
(Hannover—)Wolfsburg—Berlin auf 300
km/h (verbunden u. a. mit der Schaffung separater
Gleise zwischen den Abzweigstellen
Ribbeck und Bamme für den Hochgeschwindigkeitsverkehr
einerseits und der „Lehrter
Stammbahn“ andererseits – siehe auch Seite
7). Und ob das Genehmigungsverfahren
für die Neubaustrecke Hannover—Bielefeld
durch das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz
(MgvG) vom 22. März 2020
tatsächlich beschleunigt werden kann, muss
sich auch erst noch erweisen.
Nach der Corona-Pandemie muss jedoch
der forcierte Ausbau der Schieneninfrastruktur
in Deutschland einen wesentlichen Teil
eines Konjunkturpakets bilden und auf diese
Weise einen wirkungsvollen Beitrag zur
Erreichung der Klimaschutzziele leisten.
Aber es bestehen in der Relation Berlin—
Amsterdam auch kurz- bis mittelfristig realisierbare
Verbesserungsmöglichkeiten. Die
heutige Intercity-Linie 77 ist Bestandteil des
Deutschland-Takts und im 2. Gutachterentwurf
vom 7. Mai 2019 als eine im 2-Stunden-
Takt verkehrende Fernverkehrslinie (Linie FV
34) enthalten. In benanntem Entwurf fällt
allerdings negativ auf, dass Fahrzeitverkürzungen
auch durch den Entfall von Halten
realisiert werden sollen. So sieht der Gutachterentwurf
für diese Linie beispielsweise
keine Halte mehr in Wolfsburg und Stendal
vor. Der Umsteigebahnhof Stendal würde
sogar seine Fernverkehrshalte fast komplett
verlieren (es verbleiben lediglich Einzelzüge
der Linie FV 32 Berlin—Karlsruhe) – ein fragwürdiges
Konzept.
|
Mehrsystem-Elektroloks vom Typ VECTRON MS werden bereits durchgehend vor den Eurocity-Zügen der Relation Hamburg—Berlin—Prag eingesetzt, hier in Dresden Hauptbahnhof. Auch für die Bahnstromsysteme Deutschlands und der Niederlande ist eine entsprechende Variante bereits zugelassen. Foto: Christian Schultz |
|
Vermeidbarer Lokwechsel
Längst realisiert sein könnte dagegen
die Kürzung des Aufenthalts für den
derzeit noch notwendigen Lokwechsel
in Bad Bentheim durch den Einsatz von
Mehrsystem-Loks. Mit Triebfahrzeugen
vom Typ VECTRON MS stehen nicht nur
für Verkehre zwischen Deutschland und
Tschechien (15 kV Wechselstrom/3 kV
Gleichstrom), sondern auch für Verkehre
mit den Niederlanden (15 kV Wechselstrom/
1,5 kV Gleichstrom) geeignete und
in den betreffenden Ländern zugelassene
Loks zur Verfügung.
Anstatt bei der IC-Linie 77 Fahrzeitverkürzungen
durch den Entfall von Systemhalten
zu erzielen, sollte in dieser Relation besser
ein zusätzliches ICE-Sprinterangebot mit
drei bis vier täglichen Zugpaaren und wenigen
Zwischenhalten geschaffen werden.
Im Rahmen der geplanten Auslieferung
von insgesamt 30 mehrsystemfähigen ICEZügen
ab Dezember 2022 wäre diese Verbesserungsmaßnahme
auch bezüglich der
Fahrzeugkapazität möglich.
Und: In der Relation Berlin—Amsterdam
bietet sich angesichts einer Fahrzeit
von derzeit über 6 Stunden auch die Einrichtung
einer Nachtzugverbindung an,
die noch dazu ab/bis Poznan (Posen), ggf.
sogar Warschau durchgebunden werden
kann. Diese Verbindung hatte es bis zum
Fahrplanwechsel im Dezember 2014 sogar
bereits gegeben. Sie wurde dann, wie viele
andere Nachtreisezugverbindungen auch,
aus kurzsichtigen wirtschaftlichen Erwägungen
eingestellt.
|
Erfreulich: Die ECx von TALGO werden einen stufenlosen Ein- bzw. Ausstieg bei einer Bahnsteighöhe von 760 mm über Schienenoberkante ermöglichen. Computeranimation: DB AG |
|
Auch ein Bordbistro mit Stehtischen und Sitzgruppen gehört zur Ausstattung des ECx. Die Außenansicht des Zuges ist auf dem Titelbild dieses Heftes zu sehen. Computeranimation: DB AG |
|
Neue Fahrzeuge von TALGO
Erfreulich ist sicherlich der bereits beschlossene
Einsatz neuer Fernverkehrszüge auf der
Strecke Berlin—Amsterdam. Erste Einheiten,
die vom spanischen Hersteller TALGO geliefert
werden, sollen ab 2023 zwischen Berlin
und Amsterdam zum Einsatz kommen.
Der erste Abruf von 23 Zügen im Wert von
550 Millionen Euro ist dabei Teil eines Rahmenvertrags
von insgesamt bis zu 100 Zügen
einschließlich der Lieferung von Mehrsystemloks.
Die seitens der Deutschen Bahn
im Februar 2020 bestellten TALGO-Zuggarnituren
sind für eine Höchstgeschwindigkeit
von 230 km/h zugelassen.
Der nur in der Werkstatt trennbare Zugverband
besteht dabei aus siebzehn Reisezugwagen.
Charakteristisch für die Züge
von TALGO ist die Verwendung von Einzelradfahrwerken,
die allerdings eine deutliche
Reduzierung der Fahrzeugmasse gegenüber
der Verwendung von konventionellen
Drehgestellen ermöglichen. Erfreulich ist in
diesem Zusammenhang endlich der stufenlose
Einstieg in Fernverkehrszüge (und zwar
an allen Türen) bei Bahnsteighöhen von 760
mm über Schienenoberkante. Dies erleichtert
nicht nur Bahnkunden, die auf einen
Rollstuhl angewiesen sind, den Ein- bzw.
Ausstieg ganz wesentlich, sondern auch allen
übrigen Reisenden, speziell wenn viel
Reisegepäck mitgeführt wird. Es ist schade,
dass dies in Fernverkehrszügen nun erst im
Rahmen dieser Bestellung zum Standard
wird.
Der TALGO-Zugverband verfügt über 485
Sitzplätze in der 2. Klasse und 85 Sitzplätze
in der 1. Klasse, des Weiteren über drei Rollstuhlplätze
mit höhenverstellbaren Tischen.
Ein Bordbistro mit Stehtischen und Sitzgruppen
ist ebenfalls Bestandteil.
Nicht befriedigend ist jedoch, dass in
dem Zug lediglich acht Fahrradstellplätze
vorgesehen sind. Dies ist zu knapp
bemessen und wurde auch seitens der
„Fachgruppe Radmitnahme“ des ADFC bereits
kritisiert. Gerade in Amsterdam ist
das Fahrrad mittlerweile innerstädtisches
Verkehrsmittel Nummer 1! Die TALGOZugeinheiten
sollen darüber hinaus auch
auf touristischen Verbindungen, wie beispielsweise
nach Sylt, eingesetzt werden.
Auch hier ist im Urlaubsverkehr eine Kapazität
von gerade einmal acht Fahrrädern
pro Zug zu gering. Dies muss in der
laufenden Planungsphase noch korrigiert
werden. DBV und IGEB Fernverkehr
|