Aktuell

DB-Fernverkehrskonzept Berlin 2006 mit Nachbesserungsbedarf

Duo-S-Bahnfahrzeuge könnten Erreichbarkeit des künftigen Hauptbahnhofs entscheidend verbessern

„Im Herbst", so die Ankündigung der Deutschen Bahn, wollte sie ihr Fernverkehrskonzept 2006 für Berlin vorstellen. Weil aber seit Anfang Mai dieses Jahres in der Öffentlichkeit intensiv und kontrovers über die scheibchenweise bekannt gewordenen DB-Pläne diskutiert worden war, wurde das zwischenzeitlich mehrfach überarbeitete Konzept bereits am 6. Juli präsentiert. Im Wesentlichen hat die DB genau das der Öffentlichkeit vorgestellt, was erwartet beziehungsweise befürchtet wurde (siehe SIGNAL 3/2005 ): Konzentration auf den Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof, kein Fernbahnhalt Zoologischer Garten. Doch eine zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Wie kann die Erreichbarkeit des künftigen Hauptbahnhofs von Norden und Süden her entscheidend verbessert werden? Der Berliner Fahrgastverband hält nur eine Lösung für finanzierbar: Duo-S-Bahnfahrzeuge im Fernbahntunnel.

Die am 6. Juli von der Bahn vorgestellte Aufteilung der Fernverkehrslinien auf die Stadtbahn und den neuen Nord-Süd-Tunnel ab 28. Mai 2006 entspricht genau der bisherigen Planung, über die wir bereits in SIGNAL 5/2004 berichtet hatten. Neu gegenüber der ein jahrzehntlang verfolgten Planung ist allerdings,

  • dass ausnahmslos alle Fernzüge auf der Stadtbahn den Bahnhof Zoo ohne Halt durchfahren sollen,
  • dass ab Dezember 2006 eine weitere ICE-Linie nicht mehr über die Stadtbahn, sondern durch den Nord-Süd-Tunnel fahren soll, so dass weitere ICE-Halte vom Ostbahnhof zum neuen Bahnhof Südkreuz verlagert werden.

Keine Fernzüge im Bahnhof Zoo

Nachdem die DB sich wochenlang der öffentlichen Diskussion um den Fernbahnhof Zoo entzog, hat sie nun offiziell bestätigt, dass in diesem Bahnhof ab 28. Mai 2006 kein einziger Fernzug mehr halten soll. Lässt man einmal die zahlreichen unsachlichen Argumente außer Acht, dann bleiben folgende Gründe als Motiv der DB-Entscheidung übrig:

Baustelle Südkreuz
Der Bahnhof Papestraße, künftig Berlin Südkreuz, im Mai 2005 mit der Halle des neuen Ring-S-Bahnsteigs und darunter den Bahnsteigen für den Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr auf der Anhalter und Dresdener Bahn. Diese Bahnsteige sind von den bunkerähnlichen Betondecken der künftigen Parkhäuser überdeckt. Auf der Sandfläche unten im Bild soll der Haupt-Vorplatz des Bahnhofs entstehen, aber noch streiten Bahn und Land Berlin, wer die Kosten dafür tragen muss. Foto: DB AG
  • Ohne den Halt am Bahnhof Zoo sind die Züge vier Minuten schneller am sogenannten Hauptbahnhof. Doch das ist nicht das entscheidende Motiv der Bahn, wie man am Berlin—Warszawa-Express erkennen kann. Künftig müssen auch die Reisenden dieser von Osten nach Berlin kommenden Züge im Hauptbahnhof aussteigen, bevor ihr Zug leer über den Bahnhof Zoo (ohne Halt) zur Abstellanlage in Grunewald fährt -absurd.
  • Jeder Halt kostet Stationsgebühren. Die kann der Fernverkehr mindern, wenn die Züge im Bahnhof Zoo nicht mehr halten. Aber auch das kann nicht das entscheidende Motiv der Bahn sein, denn der Verzicht auf den Zoo-Halt wird zum Verlust von Bahnkunden führen. So könnten die eingesparten Stationsgebühren durch verlorene Fahrgelder neutralisiert werden.
  • Das entscheidende Motiv der Bahn sind die vielen Läden und Restaurants im künftigen Hauptbahnhof. Ein Zughalt im gut erreichbaren Bahnhof Zoo würde Reisende und damit potenzielle Käufer vom schlecht erreichbaren Hauptbahnhof abziehen. Die Bahn ist jedoch dringend auf maximale Mieterlöse in dem extrem teuer gewordenen Hauptbahnhof angewiesen. Deshalb hat Bahnchef Hartmut Mehdorn den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit auch gebeten, den ZOB vom Messegelände zum Hauptbahnhof zu verlegen - nicht weil es Umsteiger zwischen Fernbussen und Fernzügen gäbe, sondern um Kunden in die neuen Läden zu bekommen. Während sich die Busunternehmen gegen ein solches Ansinnen wehren können, kann es der DB-Fernverkehr nicht. Er muss hinnehmen, dass sein Kerngeschäft Beförderung von Reisenden der Vermarktung von Ladenflächen untergeordnet wird.

Fazit

  • Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält es für einen schweren Fehler der Bahn, die Fernzüge, die auch künftig über die Stadtbahnstrecke fahren, nicht am Bahnhof Zoo halten zu lassen, weil sich damit für viele Reisende aus Teilen Berlins und Brandenburgs die Gesamtreisezeiten deutlich verlängern.
  • Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt die klare Haltung der Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, die sich auch dann noch zum Bahnhof Zoo bekannte, als ihr der Regierende Bürgermeister Wowereit mit seinen Äußerungen leider in den Rücken fiel.
  • Der Berliner Fahrgastverband IGEB ist zuversichtlich, dass die DB eines Tages merken wird, dass es verkehrlich nicht sinnvoll und für den neuen Hauptbahnhof gar nicht entscheidend ist, die ohnehin nicht mehr zahlreichen Fernzüge auf der Stadtbahn im Bahnhof Zoo ohne Halt durchfahren zu lassen.

Mehr Fernzüge im Bahnhof Spandau

Liniengrafik
Neue Strecken und neue Bahnhöfe für den Fern- und Regionalverkehr im Raum Berlin ab 28. Mai 2006 Grafik: DB AG

Als Reaktion auf die lebhaften Proteste gegen die Abschaffung der Fernbahnhalte im Bahnhof Zoo lässt die Bahn leider noch nicht alle, aber deutlich mehr Fernzüge als bisher im Bahnhof Spandau halten. Damit wird den Reisenden aus Spandau und dem Havelland, aber auch aus Teilen von Charlottenburg und Reinickendorf mehr als nur ein Trostpflaster für den Wegfall von Zoo geboten. Selbst für Hennigsdorfer und Potsdamer kann der Spandauer Bahnhof eine Alternative zu Berlin Hauptbahnhof sein, um die Gesamtreisezeit zu mindern.

Fazit

Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt die zusätzlichen Spandau-Halte ausdrücklich, zumal die bisherige Praxis, nur jeden zweiten ICE dort halten zu lassen, von den Reisenden ohnehin immer wieder heftig kritisiert wurde. Deshalb müssen künftig alle Fernzüge, die über Spandau fahren, hier auch halten.

Weniger Fernzüge im Ostbahnhof

Dass Züge, die ab Mai 2006 nicht mehr über die Stadtbahn fahren, im Ostbahnhof nicht mehr halten können, ist natürlich nicht neu. Neu aber ist, dass die Bahn nun Geld investiert, um Züge vom Ostbahnhof zum neuen Bahnhof Südkreuz umzulenken. Lange Zeit war ungewiss, ob der heutige S-Bahnhof Papestraße von der Bahn überhaupt zum Fernbahnhof Südkreuz ausgebaut wird oder dem Rotstift zum Opfer fällt. Schließlich entschied man sich doch für den Bau dieses Bahnhofs, verzichtete aber auf einen von drei Fernbahnsteigen, um stattdessen Geld in milllionenschwere Vorleistungen investieren zu können, die es einem Privaten ermöglichen sollen, irgendwann einmal zwei große Parkhäuser über den Bahnsteigen zu errichten und zu bewirtschaften.

Als nun die Bahn Ende Mai 2005 dem Berliner Senat und kurz danach der staunenden Öffentlichkeit verkündete, man könne ja schon deshalb keinen ICE mehr in Zoo halten lassen, weil alle ICE nicht mehr über die Stadtbahn fahren, sondern durch den Nord-Süd-Tunnel zum Südkreuz, wunderten sich auch die Fachleute der Bahn, wie die Konzernspitze es betrieblich bewältigen will, zwei im Stundentakt verkehrende ICE-Linien am Bahnhof Südkreuz enden bzw. kehren zu lassen. Also wurde fieberhaft geplant und gerechnet mit dem Ergebnis, dass die Züge aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet weiterhin über die Stadtbahn fahren und in Ostbahnhof enden müssen, während man die Züge aus dem Rhein-Main-Gebiet von der Stadtbahn und dem Ostbahnhof in den Nord-Süd-Tunnel umlenken kann, falls der gerade eingesparte dritte Fernbahnsteig doch noch gebaut wird. Weil das aber nicht mehr bis zum 28. Mai 2006 zu schaffen ist, werden die Züge erst ab Dezember 2006 zum Südkreuz fahren und dort enden bzw. kehren können.

Das Motiv? Siehe oben: Geld. Auch dem Bahnhof Südkreuz müssen Reisende und damit Kunden zugeführt werden, damit die Läden und die teuren Parkdecks gefüllt werden. Während das Umlenken der Fahrgastströme beim Hauptbahnhof zu Lasten des Bahnhofs Zoo erfolgt, geschieht es beim Südkreuz zu Lasten des Ostbahnhofs. Dass (derzeit) nicht auch noch die letzte ICE-Linie vom Ostbahnhof zum Südkreuz umgelenkt wird, hat der Ostbahnhof lediglich betrieblichen Zwängen zu verdanken. Doch die im Ostbahnhof wegfallenden DB-Fernzüge eröffnen die Chance, dass künftig private Bahnunternehmen hier halten. Warum soll zum Beispiel der Vogtland-Express künftig noch im Bahnhof Lichtenberg enden, wenn er auch im attraktiver gelegenen Ostbahnhof ankommen kann?

Fazit

Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält die Maßnahmen zur Belebung des Bahnhofs Südkreuz finanziell und betrieblich für äußerst fragwürdig, obwohl sogar eine gewisse Logik darin steckt, dass künftig alle von Berlin in den Süden fahrenden Fernzüge am Südkreuz erreichbar sind. Städtebaulich ist der Bahnhof Südkreuz, ebenso wie der künftige Hauptbahnhof, ein Solitär ohne Umfeld. Hinzu kommt, dass das Ankommen am Südkreuz unter den Parkdecks für die Reisenden visuell noch erbärmlicher ist, als das Ankommen an den Tunnelbahnsteigen des Hauptbahnhofs.

Was ist zu tun?

Unabhängig davon, ob die DB künftig doch wieder Fernzüge am Bahnhof Zoo halten lässt, oder ob private Bahnunternehmen Zoo und Ostbahnhof als Fernbahnhöfe für sich entdecken, oder ob die Bedeutung des Einkaufszentrums am Hauptbahnhof durch Lockerung des Ladenschlussgesetzes ohnehin vermindert wird, bleibt festzuhalten:

Berlin hat ab 28. Mai 2006 einen Bahnhof mit dem Namen Hauptbahnhof, der im polyzentrischen Berlin sicherlich niemals eine solche herausragende Stellung erlangen wird, wie die Hauptbahnhöfe in Leipzig, München oder Frankfurt am Main, der aber dennoch ein wichtiger Fernbahnhof werden wird. Der entscheidende Mangel des Berliner Hauptbahnhofs ist seine schlechte Erreichbarkeit mit dem ÖPNV von Norden und Süden. Daran werden auch einzelne, wegen kurzzeitiger Straßensperrungen im Regierungsviertel besonders unzuverlässige Buslinien, die künftige Straßenbahn, die neue U 55/U 5 nichts ändern. Der Fehler, den neuen S-Bahn-Nord-Süd-Tunnel (sogenannte S21) aus der Baumaßnahme „Tiergartentunnel" Mitte der 1990er Jahre zu streichen, ist nicht wieder gut zu machen. Keinem Politiker, keinem Bürger in Görlitz, Kassel oder Aachen und schon gar keiner Finanzverwaltung wird heute noch zu vermitteln sein, dass nach den Milliardenausgaben für einen derzeit mit vier Gleisen erheblich überdimensionierten Bahntunnel nochmals mehrere hundert Millionen Euro für einen weiteren Bahntunnel mit einem fünften und sechsten Gleis, dieses Mal für die Berliner S-Bahn, ausgegeben werden sollen.

Infrastruktur nutzen!

oberer Bahnsteig des Hauptbahnhofs
Allzuviele Fernreisende werden 2006 die Begrüßung nicht lesen können, weil sie im Tunnel ankommen. Foto: Florian Müller

Deshalb müssen nun alle Anstrengungen darauf gerichtet werden, die vorhandene teuer errichtete Infrastruktur besser zu nutzen, denn durch den neuen viergleisigen Tunnel werden mit stündlich fünf bis sechs Zugpaaren, darunter drei des Regionalverkehrs, nur halb so viele Züge fahren, wie jetzt über die zweigleisige Stadtbahntrasse. Einen derart überdimensonierten Streckenneubau hat es in der Nachkriegsgeschichte der Deutschen Bahn noch nicht gegeben. Selbst bei Einrichtung eines Flughafenzubringers im 15 Minuten-Takt, der irgendwann einmal durch den Nord-Süd-Tunnel zu einem neuen Berliner Flughafen Schönefeld verkehren soll, wäre der Nord-Süd-Tunnel erst zur Hälfte ausgelastet.

Duo-Fahrzeuge als Lösung

Deshalb sind jetzt nicht (weitere) teure, sondern intelligente Lösungen gefragt. Und die führen zwangläufig zu Zweistrom-Fahrzeugen, auch Duo-Fahrzeuge genannt, die auf den Berliner S-Bahngleisen ebenso fahren können, wie auf den Fernbahngleisen des Nord-Süd-Tunnels. Dann könnten zum Beispiel einige Züge von der Wannseebahn und der Dresdener Bahn (Blankenfelde/Lichtenrade) zwischen Yorckstraße und Moabit durch den neuen Nord-Süd-Tunnel fahren. So - und nur so - ließe sich die Erreichbarkeit des künftigen Hauptbahnhofs innerhalb weniger Jahre entscheidend verbessern.

In Hamburg werden solche Zweistrom-S-Bahnfahrzeuge bereits in zwei Jahren nach Stade fahren, hergestellt von Aistom in Salzgitter und Bombardier in Hennigsdorf.

Fazit

Wenn die Bahn das (unterstützenswerte!) Ziel erreichen will, in Berlin jährlich mehrere Millionen Reisende zusätzlich für den Fernverkehr zu gewinnen, dann schafft sie das nicht, indem sie den gut erreichbaren Bahnhof Zoo ohne Halt durchfährt und jahrelang auf eine bessere ÖPNV-Erschließung des Hauptbahnhofs wartet. Deshalb muss die DB sowohl den Fernbahnhalt Zoologischer Garten beibehalten, als auch die Erreichbarkeit des neuen Hauptbahnhofs entscheidend verbessern. Die im Vergleich zum Bau eines neuen S-Bahntunnels erheblich schnellere und preiswertere Lösung: Auch die Berliner S-Bahn nutzt den für sehr viel Geld gebauten, aber nicht annähernd ausgelasteten neuen Nord-Süd-Tunnel mithilfe von Zweistrom-Fahrzeugen nach Hamburger Vorbild.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 4/2005 (August/September 2005), Seite 5-7

 

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