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Die wenigen Eingeweihten wissen Bescheid, wobei auch davon die wenigsten auf Anhieb
die genaue Stelle lokalisieren können. auf Treptower Seite sind fast alle Spuren verwischt.
Vielleicht ist auf der anderen Seite des Wassers etwas zu finden? Dazu müssen wir erst
einmal zur Treptower Spreebrücke zurück. Auf der anderen Seite des Wasser bringt uns der
147er Bus nach Alt-Stralau. Und siehe, da gibt es eine "Tunnelstraße". Das verblichene und
nicht mehr vollständige Schild eines einstigen Glas-Bier-Geschäfts verkündete bis vor kurzem über seinen
blinden Fensterhölen: "Zum Spreetunnel". Dann hört es aber auch schon auf. Es sei den, der Mittelstreifen
in Alt-Stralau läßt sich mit reichlich Phantasie als das indentifizieren, was er einmal war:
die Zufahrt zu besagtem Tunnel.
Von diesem durch den „Stralauer Fischzug“ bekannt gewordenen Halbinselchen hinüber zu den
Parkanlagen in Treptow gab es also einen Tunnel. An anderen weitaus exponierteren Stellen
hat es bis heute noch nicht einmal zu einer Brücke gereicht. Wieso hat man sich ausgerechnet
hier unter dem Wasser durchgegraben?
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Blick vom Treptower Park nach Stralau, in der Achse des ehemaligen Spreetunnels. |
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Blenden wir zurück in das Jahr 1891. Da gab es schon die auch nicht unbekannte Firma AEG. Dort
tätig war neben vielen anderen hellen Köpfen ein Herr D. Kolle. Selbiger präsentierte dem Verein für Eisenbahnkunde
am 8. Dezember 1891 ein Projekt für eine nach Londoner Vorbildin großer Tiefenlage zu bauende
Tunnelbahn. Dieses Projekt wurde auch den städtischen Behörden vorgelegt mit dem Ersuchen
um eine Baugenehmigung. Damit befand man sich in guter Gesellschaft. Denn auch Siemens & Halske
und die Thomson-Houston-International-Electric-Company hatten innerstädtische Schnellbahnpläne
vorgelegt, mit unterschiedlichen Trassierurgsmerkmalen allerdings. Durchsetzen konnte sich aus
verschiedenen Gründen Siemens mit seinen Hochbahnplänen.
Der Bau von Tunneln im Berliner Sand war zunächst den meisten Entscheidungsträgern suspekt. Aus
guten Gründen, bliebe fairerweiser anzumerken. Baustadtrat Hobrecht, der gerade eine brauchbare
Kanalisation hinbekommen hatte, war einer der stärksten Gegner. Die Abwasserkanäle im Boden zu
versenken, galt in seinen Augen schon als der Gipfel des Machbaren. Diese soeben mit erheblichem
Aufwand hergestellten Bauten sollten nicht noch durch weitere „Wühltätigkeit“ gefährdet werden. Auch
Werner von Siemens propagierte die technisch einfacheren Hochbahnpläne aus seinem Hause. In
New York wurde mittlerweile die Machbarkeit solcher Anlagen bewiesen. Zu den Tunnelprojekten der
AEG bemerkte er: „Unsere Urväter haben insofern eine schlechte Wahl getroffen, als sie sich an einem
Platz niedergelassen haben, wo der Grundwasserstand sehr hoch liegt. An einem solchen Orte sollte
eigentlich keine Stadt angelegt werden. Kein Baumeister wird so sein und im Grundwasser eine
Eisenbahn ausführen wollen“.
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Der westliche Tunnelmund in Treptow. Postkarte um 1900 |
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Wie stets bei Novitäten, wurden zahlreiche Probleme ins Feld geführt, die statt auf Lösbarkeit
überprüft zu werden, umgehend als Argument gegen die Realisierung solcher Projekte herhalten
mußten. Neben den Problemen durch Grundwasser und Schwemmsand sah man die Möglichkeit
der Entstehung von Bauwerksschäden durch Erschütterungen oder Setzungen. Diese Befürchtungen
waren nicht aus der Luft gegriffen, betrachtet selbst heute man die jüngsten Ergebnisse der Verlängerung der
U8. Einzige Möglichkeit, die damaligen Bedenken aus dem Weg zu räumen und die Machbarkeit
der Pläne zu beweisen, war der Bau einer Demonstrationsanlage. Diese wurde von der Stadt nach
langen Verhandlungen schließlich auch genehmigt, sollte aber außerhalb der Innenstadt liegen. Die
von den städtischen Behörden schließlich gebilligte
Anlage sollte am Treptower Park unter dem Spreebett vorgetrieben werden und danach als tote
Strecke sich selbst überlassen werden.
Nachdem somit diesem Versuch der Weg geebnet war, mußte zunächst das nötige Kapital für ein
derartiges Vorhaben aufgebracht werden. Nach Erteilung der Genehmigung zum Bau des
Versuchstunnels wurde noch 1894 die „Gesellschaft für den Bau von Untergrundbahnen (G.m.b.H.)" gegründet.
Beteiligt waren die AEG, die Baufirma Philipp Holzmann & Co. (Frankfurt/Main), die Deutsche Bank,
die Berliner Handels-Gesellschaft, die Nationalbank für Deutschland, die Firma Gebrüder Sulzbach
sowie die Bankhäuser Delbrück, Leo & Co. und Jakob Landau. Als Geschäftsführer wurden
Regierungs- und Baurat Schnebel sowie Ingenieur W. Lauter (Direktor bei Philipp Holzmann & Co.) berufen.
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Ansichten von der Tunnelbahn unter der Spree in Treptow bei Berlin, 15 m tief unter der Spree, 450 m lang, Fahrzeit 2 Minuten. Postkarten um 1900 |
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Allerdings sollte die Brauchbarkeit des Tunnels auch durch einen regelmäßigen Bahnbetrieb
nachgewiesen werden. Dazu wurde eine den Berliner Osten unter Einbeziehung des Tunnels
erschließende Straßenbahnlinie projektiert. Ingenieur Peine ersuchte 1894 beim Magistrat um baldige
Genehmigung für die Linie, um die Bahn noch vor Eröffnung der Gewerbeausstellung 1896 in Betrieb
nehmen zu können. Die Ausstellung fand im Treptower Park statt, so daß der Tunnel eine
enorme Attraktion hätte darstellen können. Geplant wurde eine durchgehende Linie
Warschauer Straße - Vor dem Stralauer Thore - Dorfstraße Stralau - Spreetunnel - Parkallee -
Köpenicker Landstraße - Bouchéweg - Kistholzweg - Lohmühlenstraße - Brücke über den Schiffahrtskanal -
Wiener Straße - Görlitzer Bahnhof. Zum Bau der Brücke im Zuge der Wiener Straße wollte das
Konsortium einen entsprechenden Beitrag leisten. Vom Görlitzer Bahnhof sollte die Linie dann noch
weitergeführt werden über Grünauer, Reichenberger, Ritter-, Junker- und Markgrafenstraße bis
Behrenstraße. Von der Warschauer Straße wollte Peine die Strecke später bis Küstriner Platz
weiterführen. Die gesamte Streckenlänge war mit 13,6 km veranschlagt. Auch der Fahrpreis
von 10 Pf. stand schon fest.
Die Bauarbeiten für den Tunnel begannen irn Sommer 1895 im Treptower Park. Allerdings konnte der
Vortrieb des Tunnels erst ab Februar 1896 erfolgen, da sich die Anlieferung des Brustschildes
verzögerte. Im Herbst 1896 wurde der Bau vorläufig eingestellt. Es war ein Drittel der Tunnelröhre
fertig. Man wollte zunächst Einigkeit herstellen über den Verlauf der im Anschluß an den Tunnel
betreibenden Straßenbahn. Das auf 160 Meter Länge fertiggestellte Teilstück konnte durch die Besucher
der Gewerbeausstellung besichtigt werden, die sich davon überzeugen konnten, daß die kontrovers
diskutierten Tunnelpläne durchaus ernst gemeint waren. Die Weiterführung der Arbeiten an der
eigentlichen Tunnelröhre erfolgte im September 1897. Sie konnten im Januar 1898 abgeschlossen
werden. Während dieser letzten Bauphase wurde ein täglicher Vortrieb von durchschnittlich 1,5 Meter
erbracht. Größere Hindernisse, wie Steine oder Baumstämme, traten zur Erleichterung der Unternehmen
nicht auf. Problematisch war die Herstellung des am Stralauer Ufer liegenden Teilstücks, das auf 80
Meter Länge in einer scharfen Krümmung liegt.
In Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen konnte am 15. März 1899 Regierungs- und Baurath
Schnebel mitteilen: „Der Spreetunnel ist nunmehr vollständig fertiggestellt und wird im kommenden
Frühjahre mit der durch denselben zu führenden Straßenbahn von Berlin (Schlesischer Bahnhof) nach
Treptow dem Betriebe übergeben werden. Der Spreetunnel ist der erste in Deutschland mit dem
Brustschild vorgetriebene Tunnel; er ist
meines Wissens auch der erste Tunnel auf der Welt, der in ganzer Länge in schwimmendem
Gebirge unter einem Flußlaufe erbaut ist und zugleich
auf einem wesentlichen Theil seiner Länge in einer scharfen Krümmung liegt.“
Nachdem der bisherige Lauf der Dinge durch Verzögerungen bestimmt wurde, ging die
Betriebsaufnahme schneller über die Bühne, als von Herrn Schnebel erwartet. Am 16. September 1899
erfolgten erste Probefahrten. Der Linienbetrieb durch den Tunnel wurde am 18. Dezember gleichen
Jahres aufgenommen. Die für den Betrieb dieser Linie ins Leben gerufenen „Berliner Ostbahnen“ setzten
auf der Strecke Schlesischer Bahnhof - Treptow 14 Trieb- und 17 Beiwagen einer speziellen Bauart ein, die
mit flachen Dächern dem Tunnelbetrieb angepaßt waren. Einer dieser Triebwagen aus einer späteren Serie
ist noch heute, allerdings im letzten Zustand als Turmlore, als historisches Fahrzeug erhalten. Der
Betriebshof für die Tunnelhahn wurde rechts hinter der Tunnelrampe auf
dem Grundstück Tunnelstraße 12 errichtet.
Bei einem Brand im Jahre 1912 wurde er zum Teil zerstört. Das Grundstück wird heute durch das
Bezirksamt Friedrichshain genutzt. Ein Gebäudeflügel erinnert noch an die Vergangenheit dieses Areals.
Die Erfahrungen des Spreetunnels machten deutlich klar, daß Schildvortrieb oder bergmännische
Bauweise für den Tunnelbau im Schwemmsand nach dem damaligen technologischen Stand ungeeignet
war. Die Menge des geförderten Erdreichs überstieg deutlich den Rauminhalt der Tunnelröhre. Der Sand
war infolge seiner fließenden Konsistenz ständig in den Tunnel nachgerutscht. Die zur Kontrolle über
Setzungen des Bodens über der Tunneltrasse aufgestellte Mauer war eingestürzt. Die Druckluft in der
Überdruckkammer suchte sich ihren Weg durch das Flußbett
nach oben, so daß der Eindruck entstand, die Spree fange an, zu kochen. In der Folgezeit Wurde
Statt dessen die offene „Berliner Bauweise“ entwickelt und perfektioniert. Das eigentliche Ziel dieses
Bauwerkes war aber erreicht: unterirdische Verkehrswege in Berlin können gebaut und betrieben
werden. Schnebel konnte sich des Erfolgs der Fertigstellung des unter seiner Leitung ausgeführten
Baues nicht lange erfreuen: er starb infolge Überanstrengung.
Die denkbar einfache Sicherungstechnik mittels Signalstab bescherte der Bahn sehr schnell einen
Spitznamen, unter dem sie ausgesprochen populär wurde: „Knüppelbahn“. Das Prinzip wird bei der
Straßenbahn in Störungsfällen noch heute genutzt: in den Tunnel (bzw. eingleisigen Abschnitt) einfahren
darf nur der Zug, der einen nur einmal vorhandenen Signalstab erhalten hat. Der Stab mutierte zum
„Knüppel“, der Bahnbetrieb zur erwähnten Knüppelbahn. Die Verwahrung des „Knüppels“ oblag Wärtern,
die an den Tunnelrampen in kleinen Wellblechbuden ihren Dienst taten.
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Der östliche Tunnelmund in Stralau. Postkarte um 1900: Dorfstraße (Untergrundbahn) |
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Die Berliner Ostbahnen erweiterten ihren Betrieb in den folgenden Jahren, es entstand ein Netz
mit Linien nach Baumschulenweg, Niederschöneweide, Johannisthal, Oberspree, Friedrichsfelde
und Köpenick. Der Betrieb der Spreetunnel-Linie selbst dümpelte in den folgenden Jahren vor sich
hin und war aufgrund der verkehrlich geringen Bedeutung dieser Strecke alles andere als gewinnbringend.
Dazu kamen Alterserscheinungen, die im Laufe der Zeit den Betrieb zusätzlich fragwürdig machten.
Insbesondere die Verbindungen der eisernen Tübbings rosteten durch und ließen Wasser durch. Der
Straßenbahnbetrieb durch den Tunnel (mittlerweile durch die BVG vorgenommen) wurde schließlich
am 15. Februar 1932 eingestellt. Die Pumpenanlage des Tunnels wurde aber in Betrieb belassen, so
daß er begehbar blieb. Während der Olympiade 1936 wurde der Tunnel auch noch einmal für
Fußgänger freigegeben. Die
Zugänge des Tunnels wurden während des Zweiten Weltkrieges als Luftschutzräume genutzt. Durch
Bombenabwürfe und weitere Alterung der Tübbings ließ sich während der Kriegszeit ein unvermindertes
Eindringen von Grundwasser nicht vermeiden, was auch durch das Einziehen von Trennwänden nicht
mehr aufzuhalten war. Die vollgelaufenen Rampen wurden nach Kriegsende zugeschüttet.
Die vollständig notwendige Instandsetzung des Tunnels wäre finanziell und technisch kaum machbar
gewesen, auch war kaum eine verkehrstechnische Notwendigkeit erkennbar. Bei der Umgestaltung der
Anlagen im Treptower Park im Jahre 1968 wurden die freigelegten Tübbings der Zufahrt entfernt. In der
Flucht der einstigen Tunnelzufahrt befindet sich heute ein erhöhtes Rasenrondell, so daß für den
aufmerksamen Betrachter die Lage der Rampe noch sichtbar ist. In den 70er und 80er Jahren wurde
gelegentlich in Pressebeiträgen an den Spreetunnel erinnert. Es waren auch Vorschläge zu hören, den
Tunnel wieder freizulegen und als Touristenattraktion erneut nutzbar zu machen. Da er seit den vierziger
Jahren aber völlig unter Wasser steht, kann davon ausgegangen werden, daß insbesondere der hohe
Anteil an Eisenkonstruktion vollständig erneuert werden müßte. Verkehrstechnisch wäre er wie schon
in den zwanziger und dreißiger Jahren bedeutungslos. Lassen wir es bei dem, was seinen eigentlichen
Reiz ausmacht: ein Stück Erinnerung an Vergangenes und ein Stück Geheimnis unter dem Wasser der
Spree. Vielleicht wäre es zumindest denkbar, im Treptower Parkin geeigneter Weise an den Standort
der Tunnelröhre zu erinnern und damit an einen bemerkenswerten Teil der Berliner Technik- und
Verkehrsgeschichte.
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weitere Folgen:
Bereits erschienen:
Fotos: Sammlung I. Köhler
Literatur:
Bauer (Hrsg.): Straßenbahn-Archive Bd. 5; Berlin 1987
Kammer: Ohne "Knüppel" ging´s nicht: in: BZ am Abend 25.5.1979
Saitz: Tunnel der Welt-Welt der Tunnel; Berlin 1988
Saitz: Der Verkehr der großen Städte; Berlin 1983
Seydel: Der Straßenbahntunnel zwischen Stralau und Treptow; in: Verkehrsgeschichtliche Blätter 1/1981
Schnebel: Der Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow bei Berlin; in: Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen,15. März 1899Ivo Köhler
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